
In Teil 1 habe ich fünf Minimalanforderungen an akzeptable Gesetze formuliert und den Schlüsselbegriff des SBGG, Geschlechtsidentität, in Hinsicht auf seine Bedeutung und seine wissenschaftliche Belastbarkeit untersucht: Seine Bedeutung ist sehr unklar und eine wissenschaftliche Belastbarkeit nicht gegeben.
In Teil 2 zeige ich, dass die Grundidee des SBGG, den Geschlechtseintrag im Sinne der Selbstbestimmung an der gefühlten Geschlechtsidentität auszurichten, unsinnig ist.
Der Begriff des Geschlechts in der Verfassung und der bisherigen Gesetzgebung
Unsere Verfassung weist einen eindeutig biologischen Geschlechtsbegriff auf; ein anderer war für die Verfassungsväter seinerzeit auch gar nicht verfügbar. Es ist im Grundgesetz schlicht und einfach die Rede von Männern und Frauen. Das wurde meines Wissens auch nie durch eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages geändert – genau das wäre für eine Verfassungsänderung notwendig. Daran sollten bzw. müssen sich Interpretation und Neuformulierung von Gesetzen orientieren.
Für die Gesetze zum Geschlechtseintrag gab es bis zum November 2024 zwei Ausnahmen. Die erste betraf intergeschlechtliche Personen, also Personen, bei denen nicht alle üblicherweise verwendeten Merkmale für die Zuordnung zu einem der beiden biologischen Geschlechter kongruent sind.1)Das heißt nicht, dass sich im Einzelfall die Entscheidung „männlich oder weiblich“ nicht treffen ließe, sondern nur, dass die jeweilige Zuordnung nicht so klar ist wie in der Mehrheit aller anderen Fälle. Es heißt schon gar nicht, dass Geschlecht ein Kontinuum sei oder es weitere neben „männlich oder weiblich“ gäbe. https://de.richarddawkins.net/articles/ein-soziales-konstrukt-oder-wissenschaftliche-realitaet Der Gesetzgeber ermöglichte es in solchen Fällen, bei Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung das jeweilige (biologische) Wunschgeschlecht oder die Kategorie „divers“ eintragen zu lassen.2)https://www.buzer.de/gesetz/7606/al68481-0.htm Dadurch wird nicht in Zweifel gestellt, dass es beim Geschlechtseintrag um das biologische Geschlecht geht. Das ist bzw. war natürlich eine sinnvolle Regelung. Unser Rechtssystem kennt viele Ausnahmeklauseln, um unzumutbare Härten oder Belastungen für bestimmte Bürger zu vermeiden. Zur Erinnerung: Gesetze sind für uns Bürger da, nicht für die Staatsgewalt.
Die zweite Ausnahme betraf transsexuelle Personen. Lagen zwei medizinische Gutachten vor, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine dauerhafte Geschlechtsdysphorie vorliege und waren weitere Voraussetzungen erfüllt, konnte der Geschlechtseintrag gemäß Wunschgeschlecht geändert werden.3)Die meisten dieser Voraussetzungen – nicht jedoch die Forderung nach Gutachten – wurden inzwischen zu Recht als inakzeptabel bzw. verfassungswidrig eingestuft – deshalb auch das neue SBGG. https://dgti.org/2021/11/06/das-transsexuellengesetz/ Daraus lässt sich natürlich ebenfalls nicht folgern, es läge darin eine Änderung oder gar eine Ersetzung des biologischen Geschlechtsbegriffs in unserem Rechtssystem. Auch hier handelte es sich in bester Interpretation um eine Ausnahmeregelung aus medizinischen und ethischen Gründen. Konkret: Das durch Gutachten diagnostizierte starke Leiden am biologischen Geschlecht sollte durch die Ausnahmeregelung gemindert oder gemildert werden. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Geschlechtsidentität und Selbstbestimmung
Der Begriff Geschlechtsidentität steht an entscheidender Stelle im SBGG. Er taucht in Paragraph 1 auf, der Ziel und Anwendungsbereich des Gesetzes beschreibt:
„(1) Ziel dieses Gesetzes ist es,
1. die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken,
2. das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen.“
Er spielt ebenso in Paragraph 2 eine zentrale Rolle:
„(1) Jede Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht, kann gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag geändert werden soll, indem sie durch eine andere der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Angaben ersetzt oder gestrichen wird. Liegt kein deutscher Personenstandseintrag vor, so kann die Person gegenüber dem Standesamt erklären, welche der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Angaben für sie maßgeblich ist oder dass auf die Angabe einer Geschlechtsbezeichnung verzichtet wird.
(2) Die Person hat mit ihrer Erklärung zu versichern, dass
1. der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht,
2. ihr die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist.“
Das Scheitern des SBGG beginnt schon mit dieser Zielsetzung: Die „personenstandrechtliche Geschlechtszuordnung“ in unserem Rechtssystem gibt an, ob eine Person biologisch männlich oder weiblich ist. Das ist auch bei Trans-Personen eindeutig mit Hilfe wissenschaftlicher Kriterien feststellbar. Es geht ganz banal um die Feststellung einer Tatsache.4)Der Bezug auf intergeschlechtliche Personen wird oft hergestellt, hat aber mit der Trans-Thematik nichts zu tun. Bei Trans-Personen ist das biologische Geschlecht in so gut wie allen Fällen glasklar und sehr einfach festzustellen. Es macht deshalb schlicht und einfach keinen Sinn, diese Zuordnung für „Selbstbestimmung“ freizugeben, an einer mysteriösen Geschlechtsidentität auszurichten oder von der „Einschätzung dritter Personen“ zu lösen.
Auch mein Geburtsdatum ist objektiv festgelegt oder bestimmbar bzw. bestimmt – wie könnte „Selbstbestimmung“ daran im Nachhinein etwas ändern?5)Die ganze Astrologie käme in eine existentielle Krise! Gleiches gilt für den Eintrag meiner Körpergröße im Personalausweis: Die ist messbar und es macht ohne weitere Argumente keinen Sinn, Menschen, die an ihrer Größe leiden, „aus Gründen der Selbstbestimmung“ z.B. 20 cm mehr oder weniger „zuzugestehen“ und so eine Anpassung an ihre „gefühlte Größe“ vorzunehmen. Diese Vorstellung ist ähnlich seltsam wie es ein Gesetz mit folgender Zielsetzung wäre:
(1) Ziel dieses Gesetzes ist es,
1. die Identität und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken,
2. das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Seelenidentität zu verwirklichen.
Hier habe ich lediglich das Konzept der Geschlechtsidentität durch das gleichermaßen unwissenschaftlich-nebulöse der Seelenidentität ersetzt. Wollen wir wirklich ein Gesetz haben, das jedem Bürger erlaubt, seine legale Identität, die sich an objektiven Kriterien orientiert, aufgrund seiner stark gefühlten, subjektiv gewissen Seelenidentität festzulegen, sich also z.B. selbst zu Ramses den Großen zu erklären? Mit allen daraus resultierenden Folgen, z.B. den Einträgen im Geburtsregister?6)Ganz zu schweigen von Renten- und Erbansprüchen … Natürlich nicht – Identitätsansprüche aufgrund von Seelenwanderung sind rechtlich betrachtet irrelevant und sollten das auch bleiben. Jedenfalls bis zum wissenschaftlichen Nachweis der Existenz von Seelen, die durch Raum, Zeit und Körper wandern. Oder bis zum Auftauchen wirklich guter sonstiger Gründe …
Ein erster wichtiger Einschub: Im Vorgängergesetz war klar, dass sich durch den Eintrag weder das biologische Geschlecht der betroffenen Person ändert – wie denn auch? – noch das, was im Eintrag grundsätzlich erfasst werden soll. Es wurde allerdings aus guten (medizinischen und ethischen) Gründen eine Ausnahme zugelassen, also ein den Fakten widersprechender Eintrag. Das ist eine argumentativ und juristisch saubere Lösung.
Im SBGG fallen die Forderung nach Gutachten und die Einstufung als medizinische Problematik weg. Jetzt soll der Eintrag des biologischen Geschlechts auf Basis der Selbstbestimmung bzw. der Geschlechtsidentität der betroffenen Person erfolgen. Und er soll von der „Einschätzung dritter Personen“ gelöst werden, also von den klassischen biologischen Kriterien. Das ist keine argumentativ und juristisch akzeptable Lösung: Das biologische Geschlecht unterliegt weder unserer Selbstbestimmung, noch macht die Forderung Sinn, seine Bestimmung von wissenschaftlichen Kriterien abzulösen, noch ist der Schlüsselbegriff Geschlechtsidentität gesetzestauglich. Einschub Ende.
Also: Bereits die Zielsetzung macht klar, dass das SBGG nicht mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft vereinbar ist. Es verstößt klar gegen die erste oben genannte Minimalbedingung für ein akzeptables Gesetz. Gleiches gilt für Bedingung drei: Geschlechtsidentität ist ein ausgesprochen unklarer, schwammiger und mehrdeutiger Begriff.
PD Dr. Andreas Edmüller, 22. April 2025
References
1. | ↑ | Das heißt nicht, dass sich im Einzelfall die Entscheidung „männlich oder weiblich“ nicht treffen ließe, sondern nur, dass die jeweilige Zuordnung nicht so klar ist wie in der Mehrheit aller anderen Fälle. Es heißt schon gar nicht, dass Geschlecht ein Kontinuum sei oder es weitere neben „männlich oder weiblich“ gäbe. https://de.richarddawkins.net/articles/ein-soziales-konstrukt-oder-wissenschaftliche-realitaet |
2. | ↑ | https://www.buzer.de/gesetz/7606/al68481-0.htm |
3. | ↑ | Die meisten dieser Voraussetzungen – nicht jedoch die Forderung nach Gutachten – wurden inzwischen zu Recht als inakzeptabel bzw. verfassungswidrig eingestuft – deshalb auch das neue SBGG. https://dgti.org/2021/11/06/das-transsexuellengesetz/ |
4. | ↑ | Der Bezug auf intergeschlechtliche Personen wird oft hergestellt, hat aber mit der Trans-Thematik nichts zu tun. Bei Trans-Personen ist das biologische Geschlecht in so gut wie allen Fällen glasklar und sehr einfach festzustellen. |
5. | ↑ | Die ganze Astrologie käme in eine existentielle Krise! |
6. | ↑ | Ganz zu schweigen von Renten- und Erbansprüchen … |