Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung (Teil 5)

In Teil 4 habe ich argumentiert, dass die umfangreichen Ausnahmeregelungen im SBGG zusammen mit dem Offenbarungsverbot zu einer so beachtlichen wie inakzeptablen Rechtsunsicherheit für viele Bürger führen.

Im abschließenden Teil 5 zeige ich, dass im SBGG der für unser Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis enorm wichtige Schutz von Kindern und Jugendlichen aus den Augen verloren wurde. 

Das SBGG und der Schutz von Kindern und Jugendlichen

Das SBGG hebelt aus meiner Sicht konsequent den eigentlich selbstverständlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen durch den liberalen Rechtsstaat aus. Damit verstößt es gegen Minimalbedingung zwei, den Leitgedanken unseres Rechts- und Verfassungsverständnisses, nämlich die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Um das klar herauszuarbeiten, ist ein Blick auf andere Gesetze und die im März 2025 beschlossene Leitlinie zur Behandlung von Trans-Kindern und -Jugendlichen hilfreich.

Das Umfeld des SBGG

Konversionstherapien für homosexuelle Personen gelten zu Recht als unwissenschaftlich und moralisch höchst fragwürdig; sie haben viel Schaden und Leid angerichtet. Deshalb sind sie bei uns gesetzlich verboten. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen vom 12.6.2020 bezieht allerdings ausdrücklich Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der „selbstempfundenen geschlechtlichen Identität“ in das Verbot mit ein. 

Wissenschaftlich betrachtet ist das nicht haltbar: Sexuelle Orientierung ist etwas ganz anderes als die „selbstempfundene geschlechtliche Identität“.1)Damit hätten wir ein weiteres inakzeptables Gesetz identifiziert. Tatsache ist, dass Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie bei Kindern und Jugendlichen sogar in der großen Mehrheit der Fälle nach der Pubertät wieder verschwinden.2)Hier eine kurze Zusammenfassung: https://www.spektrum.de/news/geschlechtsinkongruenz-bei-jugendlichen-verschwindet-oft-wieder/2234002. Warum es verboten sein soll, diesen Prozess therapeutisch zu begleiten ist für mich unverständlich. Aber: Für unseren Fall heißt das, dass eine ergebnisoffene bzw. explorative Behandlung oder Beratung von Trans-Kindern und Trans-Jugendlichen praktisch nicht möglich ist: Welcher Therapeut würde schon so ein Risiko eingehen? 

Flankierend dazu gilt seit März 2025 die neue S2k-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter. Leitlinien sind keine Gesetze, aber die wichtigsten und juristisch relevanten Behandlungsempfehlungen im medizinischen Bereich. Diese höchst umstrittene Leitlinie orientiert sich so klar wie unsinnig am affirmativen Behandlungsmodell, das die selbstempfundene Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen als gesetzt und valide akzeptiert und therapeutisches Prüfen und Hinterfragen praktisch ausschließt. Es ist mehr als erstaunlich, dass so eine Leitlinie bei uns noch beschlossen werden konnte, während das darin propagierte affirmative Behandlungsmodell in zahlreichen Ländern gerade eingeschränkt, zurückgeschraubt oder sogar ganz verboten wird! Aber: Für unseren Fall heißt das, dass damit eine weitere Barriere für eine ergebnisoffene Beratung von Trans-Kindern und -Jugendlichen errichtet wurde.3)https://queernations.de/neue-transleitlinie-kann-jungen-menschen-schaden/

In Folge dieses Umfeldes, in das hinein das SBGG beschlossen wurde, gibt es wohl kaum genug seriöse Angebote für eine professionelle ergebnisoffene Beratung für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsinkongruenz bzw. -dysphorie. 

Beratung im SBGG

Paragraph 3 klärt die Anwendung des SBGG auf Kinder und Jugendliche:

§ 3 Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer

(1) Eine beschränkt geschäftsfähige minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) nur selbst abgeben, bedarf hierzu jedoch der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Stimmt der gesetzliche Vertreter nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht. Mit der Versicherung nach § 2 Absatz 2 hat die minderjährige Person zu erklären, dass sie beraten ist. Die Beratung kann insbesondere erfolgen durch

1. Personen, die über eine psychologische, kinder- und jugendlichenpsychotherapeutische oder kinder- und jugendpsychiatrische Berufsqualifikation verfügen, oder

2. öffentliche oder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

(2) Ist die minderjährige Person geschäftsunfähig oder hat sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) für die Person abgeben. Die Erklärung bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat. Ein Vormund bedarf hierzu der Genehmigung des Familiengerichts; das Familiengericht erteilt die Genehmigung, wenn die Erklärung unter Berücksichtigung der Rechte des Mündels aus § 1788 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem Wohl des Mündels nicht widerspricht. Mit der Versicherung nach § 2 Absatz 2 hat der gesetzliche Vertreter zu erklären, dass er entsprechend beraten ist.

(3) Für eine geschäftsunfähige volljährige Person, für die in dieser Angelegenheit ein Betreuer bestellt ist, kann nur der Betreuer die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen nach § 2 abgeben; er bedarf hierzu der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Das Betreuungsgericht erteilt die Genehmigung, wenn die Erklärung einem nach § 1821 Absatz 2 bis 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu beachtenden Wunsch oder dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht.“

Das Thema Beratung wird in Paragraph 3 an mehreren Stellen relevant: 

  • Bei Änderung des Geschlechtseintrages muss die minderjährige Person erklären, dass sie beraten ist. Diese Forderung ist im Grunde zahnlos: Wir haben oben gesehen, dass und warum es bei uns extrem schwierig ist, tatsächlich eine fundierte Beratung zu erhalten. Zudem wird die Erklärung des Beratenseins nicht auf ihre Seriosität hinterfragt. Unter diesen Bedingungen wäre es ehrlicher, auf diese Forderung ganz zu verzichten.
  • Stimmt der gesetzliche Vertreter dem Änderungswunsch zum Eintrag nicht zu, dann entscheidet laut SBGG das Familiengericht und orientiert sich dabei am Kindeswohl. Für mein Verständnis benötigt das Gericht dafür allerdings medizinische Gutachten – und damit taucht genau die oben skizzierte Problematik zum Thema Konversionstherapie und Leitlinie wieder auf. Gleiches gilt für die Forderung aus Absatz (2), die Erklärung dürfe dem Wohl des Mündels nicht widersprechen. Deshalb liest sich die im SBGG geforderte Orientierung am Kindeswohl für mich wie eine Farce.

Also: Das SBGG ist mit dem Gesetz zur Konversionstherapie  und den neuen Leitlinien stimmig – und genau deshalb nicht akzeptabel: Wenn schon Beratung gefordert wird, dann sollte deren Seriosität und wissenschaftliche Belastbarkeit sichergestellt, zumindest ermöglicht werden. Schließlich haben wir es mit Kindern und Jugendlichen zu tun, einer besonders vulnerablen Personengruppe.

Da Beratung als Entscheidungshilfe für Kinder, Jugendliche und deren Eltern praktisch ausfällt, ruht sehr viel Gewicht auf der erkenntnistheoretischen und moralischen Belastbarkeit der Entscheidung von Kindern und Jugendlichen bezüglich ihrer Geschlechtsidentität.4)Auch die Eltern bräuchten kompetente Beratung; das Thema ist ja komplex und kaum durch Alltagserfahrung alleine zu bewältigen. Das Gesetz geht in Paragraph 3 davon aus, dass Kinder und Jugendliche diese klar und deutlich genug „erkennen“ oder „wissen“ können, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. „Kontrollinstanz“ sind im Grunde nur noch die gesetzlichen Vertreter, also im Normalfall die Eltern. Das wirft die nächste Frage auf: Ist diese Annahme plausibel?

Die Datenlage zu Kindern und Jugendlichen

Nicht ohne gute Gründe haben wir klare Gesetze zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Ihre noch in der Entwicklung befindliche Entscheidungsfähigkeit und Reife, begrenzte Lebenserfahrung und Fähigkeit zur Weitsicht und nicht zuletzt die Hormonstürme der Pubertät machen das nötig. Natürlich kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an – aber da unsere Gesetze allgemein gelten sollen, brauchen wir klare Altersangaben als Richtlinie. Das SBGG scheint davon auszugehen, das Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren ihre Geschlechtsidentität so sicher erkennen können, dass sie die Änderung des Eintrages vornehmen können (mit Einverständnis der gesetzlichen Vertreter). Erschwerend kommt wie gesehen hinzu, dass auf Beratung praktisch verzichtet wird.

Wie plausibel ist diese Annahme? Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen zum Begriff der Geschlechtsidentität möchte ich den Leser bitten, folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Die Datenlage zeigt, dass bei weit mehr als der Hälfte der Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie diese die Pubertät nicht überdauert. Mit anderen Worten: Die vermeintliche Gewissheit, „im falschen Körper geboren zu sein“ oder „trans zu sein“, verliert sich in der großen Mehrzahl der Fälle mit und nach der Pubertät.5)Alexander Korte: Hinter dem Regenbogen. Stuttgart 2024. Korte liefert wie ich noch eimal betonen möchte einen sehr gut lesbaren und zuverlässigen Überblick zum Stand unseres Wissens. 
  • Die Datenlage zeigt, dass bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie sehr oft signifikante weitere Herausforderungen vorliegen. Konkret geht es immer wieder um  Essstörungen, Depressionen, sexuellen Missbrauch, schwierige Familienverhältnisse. Überdurchschnittlich oft wird Autismus diagnostiziert. Dazu kommen natürlich Fälle von krisenhaft erlebter und durchlebter Homosexualität.6)Das beschreibt auch der Cass-Review: https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ukgwa/20250310143933/https://cass.independent-review.uk/home/publications/final-report/ Deshalb drängt sich diese Frage auf: Wie sollen Ursachen von Symptomen unterschieden werden, wenn ausschließlich affirmativ beraten, also die „Ursache Trans“ als gesetzt betrachtet wird und andere Modelle als „Konversionstherapie“ verboten sind? 7)Zudem stellt das affirmative Modell im Konzert mit dem Verbot der Konversionstherapie praktisch sicher, dass deren Vorliegen bzw. Relevanz oft unerkannt bleibt, sie also unbehandelt bleiben.
  • In den letzten Jahren hat es einen enormen Anstieg an selbsterklärten Trans-Jugendlichen gegeben. Dabei handelt es sich vorwiegend um weibliche Teenager. Ein plausibler Erklärungsansatz dafür basiert auf dem Phänomen der sozialen Ansteckung vor dem Hintergrund des offenbar sehr hohen Drucks, gewissen weiblichen Idealen entsprechen zu müssen. Wie stellt das SBGG vor diesem Hintergrund sicher, dass es sich im konkreten Fall bei „trans zu sein“ nicht um eine leichte und attraktive Fluchtmöglichkeit aus diversen psychischen Problemen oder sozialem Druck handelt? Motto: Das Leben als Mann ist doch viel einfacher und unkomplizierter!8)https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0202330. Der Hintergrund für diese Problematik bräuchte selbst eine längere Abhandlung. Die Leser sollten sich zudem vor Augen halten, dass sich in den sozialen Medien ein regelrechter Trans-Hype entwickelt hat.

Man könnte jetzt einwenden, dass mit der Änderung des Geschlechtseintrags ja „eigentlich“ nichts passiert. Es handle sich dabei lediglich um einen von mehreren Bausteinen der sozialen Transition. Medizinische Interventionen wie die Gabe von Pubertätsblockern sind ein davon unabhängiger, nächster Schritt. Zudem könne man laut SBGG nach einem Jahr den Geschlechtseintrag erneut ändern. 

Aber, so einfach ist das nicht. Die Datenlage zeigt eindeutig, dass mit Pubertätsblockern der Weg zur Transition beschritten wird. Früher als „Pausetaste“ verharmlost, gelten sie heute als Auftakt des medizinischen Weges. Ich befürchte, dass durch die sehr unkomplizierte und praktisch beratungsfreie „juristische Transition“ bereits der erste Schritt auf diesem Weg erfolgt. 

Mein Fazit 

Bitte denken Sie an Ihre eigene Lebenserfahrung, aktivieren Sie Ihre Menschenkenntnis: Kinder und Jugendliche, die ihren Geschlechtseintrag ändern und damit nicht nur sozial, sondern eben auch „offiziell juristisch“ transitionieren, brauchen viel Mut, Energie und Zivilcourage und ein ganz besonderes soziales Umfeld, um das im Fall der Fälle noch rechtzeitig (!) als Irrtum zu erkennen und wieder zurückzurudern. Meine Befürchtung: Es entsteht durch die im SBGG sehr einfache „juristische Transition“ beachtlicher Druck auf die Jugendlichen, bei der einmal getroffenen Entscheidung zu bleiben – und das im oben skizzierten Umfeld.

Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Jugendlichen vor und während der Pubertät für eine Entscheidung von derartiger Tragweite reif genug ist. Dazu kommt, dass der zentrale Begriff, Geschlechtsidentität, keinerlei intersubjektive Anwendungskriterien zur Kontrolle aufweist und das Gesetz eine solche auch nicht ernsthaft vorsieht. Die ganze in meinem Essay skizzierte Gemengelage setzt meines Erachtens Kinder und Jugendliche einem enormen Schadensrisiko aus, vor dem der Gesetzgeber sie eigentlich konsequent schützen sollte. Genau für solche Fälle haben wir doch unsere Gesetze zur eingeschränkten Geschäftsfähigkeit Jugendlicher und zu deren Schutz! Warum sollten wir gerade bei der Trans-Thematik von diesem wertvollen Leitgedanken abweichen?

Ich fasse zusammen

Akzeptable Gesetze dürfen nicht gegen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften verstoßen, sollen die Würde des Menschen achten, auf unklare, schwammige und mehrdeutige Begriffe und Formulierungen verzichten, in sich stimmig sein und Rechtsunsicherheit abbauen. Das neue SBGG verstößt klar und deutlich gegen jede einzelne dieser fünf eigentlich selbstverständlichen Anforderungen.

Deshalb betrachte ich meine Forderung, dieses Gesetz so schnell wie möglich wieder zurückzuziehen als solide begründet und völlig berechtigt: Weg mit diesem Unsinn!

Als klassischer Liberaler stehe ich Staat und Gesetzen prinzipiell eher skeptisch gegenüber. Jedes Gesetz muss auf Basis der Kernaufgaben des Staates begründet werden: Schutz der Sicherheit und der individuellen Freiheits- und Eigentumsrechte eines jeden Bürgers. Meine erste Frage: Welchen Beitrag leistet das Personenstandregister bzw. die Erfassung des biologischen Geschlechts der Bürger dazu? Meine zweite Frage: Warum versuchen wir nicht, einen anderen Weg zu gehen und ganz ohne Eintrag des biologischen Geschlechts in ein zentrales Personenstandsregister auszukommen? Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann – aber was spricht gegen eine ernsthafte Prüfung?

PD. Dr. Andreas Edmüller, 22. April 2025

References   [ + ]

1. Damit hätten wir ein weiteres inakzeptables Gesetz identifiziert.
2. Hier eine kurze Zusammenfassung: https://www.spektrum.de/news/geschlechtsinkongruenz-bei-jugendlichen-verschwindet-oft-wieder/2234002.
3. https://queernations.de/neue-transleitlinie-kann-jungen-menschen-schaden/
4. Auch die Eltern bräuchten kompetente Beratung; das Thema ist ja komplex und kaum durch Alltagserfahrung alleine zu bewältigen.
5. Alexander Korte: Hinter dem Regenbogen. Stuttgart 2024. Korte liefert wie ich noch eimal betonen möchte einen sehr gut lesbaren und zuverlässigen Überblick zum Stand unseres Wissens.
6. Das beschreibt auch der Cass-Review: https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ukgwa/20250310143933/https://cass.independent-review.uk/home/publications/final-report/
7. Zudem stellt das affirmative Modell im Konzert mit dem Verbot der Konversionstherapie praktisch sicher, dass deren Vorliegen bzw. Relevanz oft unerkannt bleibt, sie also unbehandelt bleiben.
8. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0202330. Der Hintergrund für diese Problematik bräuchte selbst eine längere Abhandlung. Die Leser sollten sich zudem vor Augen halten, dass sich in den sozialen Medien ein regelrechter Trans-Hype entwickelt hat.

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