Gesucht und gefunden: Die Bestätigungsfalle und das Internet

manipulationstechnikenFehlschlüsse und Denkfallen sind weit verbreitet. Sie gehören zu den dunklen Seiten unserer Argumentations- und Diskussionskultur, zu den Ärgernissen des Alltags und zum wesentlichen Handwerkszeug von Manipulatoren. Immer wieder fallen wir darauf herein, glauben einem Scheinargument oder lassen uns aufgrund einer Pseudobegründung zu Handlungen hinreißen, die wir im Nachhinein bereuen. In verschiedenen Büchern haben wir diese gedanklichen Fehlleistungen ausführlich untersucht. Eine der beliebtesten Denkfallen ist die Bestätigungsfalle – und um die geht es mir heute.1)Thomas Wihelm und Andreas Edmüller: Manipulationen erkennen und abwehren. Haufe, 2005.

Wie funktioniert die Bestätigungsfalle?

Wir suchen im Meer der Informationen mit Vorliebe nach solchen, die zu unseren Ansichten passen und blenden diejenigen aus, die unsere Überzeugungen in Frage stellen. Dieses Ausblenden kann verschiedene Formen annehmen: Ignorieren, Herunterspielen, Umdeuten oder Weginterpretieren. Die Folge ist oft, dass wir an unplausiblen, falschen und sogar hirnrissigen Behauptungen hartnäckig festhalten. Und zwar mit gutem Gewissen, weil wir für diese Behauptungen ja eine „gute“ Bestätigung finden bzw. liefern können. Bekannte Beispiele für dieses Phänomen sind Vorurteile, Feindbilder, Ideologien, Religionen und Verschwörungstheorien. Sie sind gegen Fakten oft erstaunlich immun – eben weil die Bestätigungsfalle wirkt.

Warum funktioniert die Bestätigungsfalle so gut?

Ganz einfach: Wir alle werden gerne in unseren Ansichten und Meinungen bestätigt. Wesentliche Elemente der Erklärung dafür sind bekannt:

  • Eine Bestätigung steigert das Selbstbewusstsein: Hab` ich doch schon immer gesagt, dass der FC Bayern von Islamisten gesteuert wird … oder … Siehste, auch Kurti ist da voll meiner Meinung – die USA gibt es gar nicht. Es ist einfach schön, wenn man Recht hat!
  • Eine Bestätigung vermeidet intellektuell aufwendige Revisionsarbeiten an unserem Überzeugungsnetz. Konkret: Es ist mühsam, sich neue Informationen zu beschaffen, bereits vorhandene in deren Licht neu zu bewerten oder deren Stimmigkeit genau zu überprüfen. Viel einfacher und bequemer ist es, sich die eigene Meinung erneut bestätigen zu lassen.
  • Zudem erspart eine Bestätigung emotionale Beunruhigung. Viele Überzeugungen haben für uns ja emotionale Bedeutung, z. B. politische, religiöse oder moralische Positionen. Eine Änderung unserer Überzeugungen/Vorurteile/Feindbilder/Verschwörungstheorien würde aber unseren Gefühlshaushalt durcheinander bringen und emotionale Unbequemlichkeit auslösen. Das ist unschön und wird deshalb gerne vermieden.

So weit so gut und bekannt. Warum also noch einmal diese Denkfalle diskutieren? Die Antwort liegt im Internet: Es ist wie gemacht für die Bestätigungsfalle und verschärft diese enorm! Was heißt das?

Das Internet priorisiert bestätigende Daten nach oben

Die Suchmaschinen vieler Internetdienste wie Facebook oder Google filtern ihre Ergebnisse systematisch anhand der Vorlieben der jeweiligen Benutzer. Die Ergebnisse einer Suche werden personalisiert und damit subjektiviert.2) Konrad Lischka: Vorgefiltertes Web. Die ganze Welt ist meiner Meinung. Spiegel online, 11.3.2011. Wenn ich z.B. schon oft nach Beiträgen einer bestimmten politischen Richtung gesucht und diese angeschaut habe, wird mir die Suchmaschine in Zukunft verstärkt Ergebnisse dieser politischen Richtung liefern. Auch bei Amazon funktioniert das sehr gut: Vorschläge für neue Bücher werden auf Basis der bereits angesehenen oder gekauften Titel gemacht. Habe ich ein Buch zum Thema Lebenskrise und Tarot gekauft, werden mir in Folge verstärkt Esoteriktitel angeboten. Diese Personalisierung der Internetsuche erleichtert und verkürzt den Weg in die Bestätigungfalle natürlich erheblich. Sie priorisiert bestätigende Daten unauffällig nach oben.

Das Internet erleichtert Bestätigung enorm

Es ist viel leichter als früher, bestätigende Daten oder Zustimmung zu jeder noch so abwegigen Meinung zu finden. Der Dorfspinner im Jahr 1975 musste sich in der Regel seine Spinnereien selber ausdenken und hat nicht leicht jemanden gefunden, der ihn darin dann ernsthaft bestärkt hat. Einschlägige Bücher und Druckerzeugnisse waren damals nicht so schnell und leicht zu finden. Heute sieht das ganz anders aus. Der Spinner geht in das Internet und findet in Sekundenschnelle viele Belege für seine Überzeugung. Egal worum es geht: Es ist fast unmöglich, keine bestätigenden Daten zu finden! Ich habe das gerade ausprobiert und folgende Suchaufträge bei Google gestartet:

  • Obama ein Außerirdischer?
  • Putin ein Agent der USA?
  • Merkel ein Ostspion?
  • UFOs am Ammersee?

Mein Vorschlag an den Leser: Ausprobieren! Denken Sie sich einfach was aus und machen Sie sich auf Google-Suche.

Das Internet erleichtert hirnfreie Diskussionen enorm

Es ist heute viel leichter als früher, eine falsche oder hirnrissige Meinung zur Diskussion zu stellen und als ernstzunehmende Option bestätigt zu bekommen. Wenn der Dorfspinner 1975 mit anderen über seine These diskutieren wollte, die DDR sei ein Konstrukt der Rothschilds, um die Deutschen unter Kontrolle zu halten, dann war grundsätzlich erst einmal mit Gegenwind zu rechnen. Sogar am Stammtisch bis 1,8 Promille. Heute ist das kein Problem, weil sich durch das Internet der Kreis möglicher Diskussionspartner gigantisch erweitert hat. Ich brauche den Stammtisch nicht mehr. In der immens großen Menge der Internetbenutzer finden sich leicht und schnell Personen, die meine Meinung teilen, mich also bestätigen. Mindestens welche, die ernsthaft mit mir über meine Meinung zu diskutieren bereit sind:

  • Die Hochplatte in den Chiemgauer Alpen ist in Wirklichkeit eine Pyramide? Klingt plausibel – in Bosnien hat man ja schon herausgefunden, dass einige Berge in Wirklichkeit alte Pyramiden sind … Und schon geht es los! Es taucht natürlich gleich die Frage auf, wer denn die Erbauer der Hochplatten-Pyramide waren und welche Technologien sie eingesetzt haben. Vielleicht sollte man nach Atlantis ja auch am Grunde des Chiemsees suchen?

Es ist im Internet praktisch unmöglich, niemanden zu finden, der meine Meinung nicht ernst nähme – egal um welche Inhalte es geht. Kurz: Die Bestätigungsfalle ist in den grenzenlosen Weiten des Internets kaum zu vermeiden!

Das Internet erleichtert den Aufbau geschlossener Diskussionswelten

Es ist viel leichter als früher, sich dauerhaft in geschlossenen Diskussionswelten zu bewegen und in der eigenen Meinung so langfristig wie umfassend bestätigt zu werden. Was heißt das? Das Internet ermöglicht den Aufbau von relativ umfassenden, stabilen und in sich ziemlich abgeschlossenen Diskussionsforen. Diese entwickeln in kurzer Zeit eigene Standards zur Beurteilung von Datenmaterial und Theorien, eine eigene Sicht der Dinge und der Welt. Wer jeden Tag mehrere Stunden in diesem Paralleluniversum verbringt, kann sich gegen skeptische Einflüsse sehr wirkungsvoll abschotten – er ist Teil einer relativ großen Diskussionswelt und in dieses Soziotop zieht er sich einfach wieder zurück, wenn ihm andere Weltteile auf die Nerven gehen oder kognitive Dissonanz droht.3)Matjaz Perc (Ed.): The spreading of misinformation online. PNAS, 19. Januar 2016..

Die Gefahren

Es wäre schön, wenn sich die Kombination aus Bestätigungsfalle und Internet in erster Linie als Quelle lustiger Anekdoten erweisen würde. Ich fürchte aber, wir müssen auf Dauer mit ernsteren Konsequenzen rechnen:

  • Liest man diverse Berichte zur Radikalisierungsgeschichte von Gewalttätern (links, rechts, religiös), so fällt auf, wie wichtig das oben erwähnte Abtauchen in eine geschlossene Diskussions- und Weltanschauungswelt im Internet ist. Es verschafft relativ leichten Eintritt in eine Gemeinschaft, eine Immunisierung gegen skeptische Argumente und eine willkommene Selbstbestätigung.
  • Mir fällt seit einiger Zeit auf, dass die Kommentarfunktion bei Internetmedien gerne im Sinne der Bestätigungsfalle benutzt wird. Ein Beispiel: Der Focus schaltet die Kommentarfunktion in aller Regel nicht ab – was ich als überzeugter Liberaler für ausgesprochen anerkennenswert halte. Bei einschlägigen Themen  – Flüchtlinge, Kritik an Russland oder Putin – ist dort immer wieder folgendes zu beobachten: Es werden in kurzer Folge recht viele Kommentare eingestellt, die sich gegenseitig in ihren Inhalten bestärken und bestätigen. Diese Kommentare haben ein paar Dinge gemeinsam, die mich stutzig machen. Erstens sind sie sprachlich und inhaltlich recht homogen. Zweitens sind die Verfassernamen meistens typisch unauffälliger deutscher Durchschnitt. Drittens sind sie klar alarmistisch. Und viertens haben diese Leute offenbar den ganzen Tag Zeit, um im Focus zu lesen und Kommentare zu verfassen. Meine Frage: Könnten da gut organisierte Manipulations-Trolle die Kombination aus Bestätigungsfalle und Internet für sich entdeckt haben?
  • Diese Kombination verstärkt schließlich auch eine Tendenz, die ich schon länger beobachte und in diversen Blogeinträgen angesprochen habe: Die zunehmende Fragmentierung unserer Gesellschaft in diverse Gruppen, die glauben, sich gegen „die anderen“ durchsetzen zu müssen, weil man mit „den anderen“ gar nicht vernünftig reden kann. Anders ausgedrückt: Ich glaube, dass wir es wieder lernen müssen, als offene Gesellschaft mit allen unterschiedlichen und weit auseinanderliegenden Positionen vernünftig zu diskutieren und zu dauerhaft angelegten, funktionierenden Lösungen zu kommen. Das Verschanzen in selbstimmunisierende Parallelwelten hilft dabei garantiert nicht.

 

PD Dr. Andreas Edmüller, 18.2.2016

References   [ + ]

1. Thomas Wihelm und Andreas Edmüller: Manipulationen erkennen und abwehren. Haufe, 2005.
2. Konrad Lischka: Vorgefiltertes Web. Die ganze Welt ist meiner Meinung. Spiegel online, 11.3.2011.
3. Matjaz Perc (Ed.): The spreading of misinformation online. PNAS, 19. Januar 2016.

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