Der Populismusbegriff hat Hochkonjunktur. Das verwundert nicht. Begriffe die weitgehend sinnfrei, schwammig und emotional ansprechend sind, kann man in der Politik immer brauchen. Dass dieser Begriff so gerne verwendet wird, ist ein Symptom dafür, woran es uns wirklich fehlt. Uns fehlt eine akzeptable Argumentations- und Diskussionkultur.
Welchen Kriterien sollten politische Diskussionen genügen?
Diskussionen im Parlament und in der Öffentlichkeit sollen in einer offenen Gesellschaft Entscheidungen vorbereiten; sie sollen die beste Entscheidung erkennen helfen. Dazu sind 3 Ebenen der Argumentation wichtig:
- Die Ebene der Gerechtigkeit: Jede politische Entscheidung sollte gerecht sein. Konkret heißt das, dass Entscheidungen auf Basis einer klaren Gerechtigkeitskonzeption (bzw. Verfassung) transparent und nachvollziehbar begründet werden sollten. Ist ein Vorschlag als ungerecht erkannt, sollte er nicht weiter verfolgt werden.
- Die Ebene der Machbarkeit: Jeder gerechte Vorschlag sollte einer realistischen und nüchternen Nutzenüberlegung unterzogen werden: Welche Ziele sollen konkret erreicht werden? Welchen Nutzen oder Vorteil bietet die Erreichung dieses Ziels? Welchen Preis müssen wir für die Zielerreichung zahlen? Welche Schritte sind erforderlich, um ans Ziel zu kommen? Welche Risiken gibt es auf diesem Weg?
- Die Ebene des Bürgersinnes: Die Teilnehmer an diesen Diskussionen sollten sich gegenseitig als Bürger respektieren, die sich gemeinsam um die beste Lösung für komplexe Fragen bemühen. Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Sichtweisen sind in einer offenen Gesellschaft nicht nur zu erwarten, sie sind sogar erwünscht. Im Wettbewerb der Ideen und Argumente sollen sich ja gerade die besten Entscheidungen herauskristallisieren. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Aspekte sehr wichtig: Ein Minimum an Respekt gegenüber Personen und ein bewusster Verzicht auf moralisch fragwürdige Manipulationstaktiken.
Der Populismusbegriff und diese 3 Kriterien
Als populistisch werden Personen, Argumente, Parteien, Konzeptionen und Geisteshaltungen bezeichnet – und das sowohl in linker als auch rechter Variante. Alleine schon diese universale Anwendbarkeit sollte uns stutzig machen.
Ich halte es für wesentlich sinnvoller, auf vage Etikettierungen zu verzichten und einfach die folgenden kritischen Fragen an die Vertreter einer Position bzw. eines Vorschlags zu stellen:
- Warum glaubst Du, dass der Vorschlag tatsächlich gerecht ist?
- Warum glaubst Du, dass der Vorschlag machbar ist bzw. funktionieren wird?
- Gehst Du gemäß dem Bürgersinn respektvoll mit allen anderen Diskussionsteilnehmern um und verzichtest Du (weitgehend) auf manipulative Taktiken?
Das ernsthafte Bemühen, diese Fragen sauber zu beantworten,
- sollte in einer offenen Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sein;
- dürfte zu einem sprunghaften Anstieg des Argumentations- und Diskussionsniveaus führen – wozu auch gehört, dass manche Leute einfach mal schweigen;
- würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt spürbar stärken.
Ein Gedankenexperiment zur Plausibilisierung
Sie können einen guten ersten Eindruck davon gewinnen, wie sich mein Vorschlag auf unsere Argumentations- und Diskussionskultur auswirken würde, wenn Sie die folgenden Fragen durchdenken:
- Wie gut oder schlecht wurden die 3 Kriterien – Gerechtigkeit, Machbarkeit, Bürgersinn – im Wahlkampf zwischen Clinton und Trump umgesetzt?
- Wie gut oder schlecht wurden die 3 Kriterien – Gerechtigkeit, Machbarkeit, Bürgersinn – im Rahmen der Brexit-Debatte in Großbritannien umgesetzt?
- Wie gut oder schlecht wurden und werden die 3 Kriterien – Gerechtigkeit, Machbarkeit, Bürgersinn – im Rahmen der Flüchtlingsthematik bei uns umgesetzt?
- Wozu brauchen wir eigentlich den Populismusbegriff?
PD Dr. Andreas Edmüller, 2. Dezember 2016