Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung (Teil 3)

In Teil 2 habe ich kurz skizziert, dass unsere Verfassung einen eindeutig biologischen Geschlechtsbegriff aufweist. Dann habe ich argumentiert, dass es keinen Sinn macht, den biologisch fundierten Geschlechtseintrag unter Berufung auf Selbstbestimmung für eine Orientierung an der gefühlten Geschlechtsidentität freizugeben. 

In Teil 3 vertrete ich die These, dass es ebenso wenig Sinn macht, von einer „Abweichung der Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag“ zu reden und zu fordern, die Vornahmenswahl an der Geschlechtsidentität bzw. am revidierten Eintrag auszurichten.

Der angebliche Konflikt zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität

Nach diesem esoterischen Auftakt im SBGG folgt in Paragraph 2 Absatz (1) eine so absurde wie verfassungswidrige Aussage: Die Geschlechtsidentität könne vom Geschlechtseintrag abweichen. 

Was soll das heißen, wie soll das gehen? Der Geschlechtseintrag stellt schlicht und einfach das biologische Geschlecht einer Person fest; dafür haben wir klare Kriterien.1)Und wir hatten bis zum Inkrafttreten des SBGG auch klar bestimmte Ausnahmefälle. Der einzig vernünftige Grund, den Geschlechtseintrag zu ändern bestünde im Nachweis eines Irrtums oder einer Täuschung: Das biologische Geschlecht sei z.B. gleich nach der Geburt aus irgendeinem Grund bewusst oder irrtümlich falsch eingetragen worden. Warum sollte eine Änderung denn sonst erfolgen? Nach allem, was wir wissen verändert sich das biologische Geschlecht eines Menschen nicht im Lauf der Zeit, es bleibt stabil.2)Das ist übrigens ein signifikanter Unterschied zur Geschlechtsidentität – diese kann sich (oft) ändern. Zweitens wird und lässt sich das biologische Geschlecht eines Menschen auch nicht durch irgendwelche Interventionen medizinischer Art verändern. Drittens kann eine Änderung natürlich auch kein Gesetz leisten – nicht einmal durch eine Zweidrittelmehrheit. Gleiches gilt für die Schwerkraft: Gesetze sind ihr egal, sie wirkt einfach. 

Also: Was könnte es heißen, dass die Geschlechtsidentität vom biologisch fundierten Geschlechtseintrag abweicht? So eine Aussage macht nur Sinn, wenn das biologische Geschlecht eines Menschen mit Hilfe biologisch-wissenschaftlicher Kriterien auf einem Weg, über die Geschlechtsidentität auf einem anderen Weg bestimmt werden könnte – und in bestimmten Fällen die zwei Wege zu unterschiedlichen und gleichermaßen erkenntnistheoretisch belastbaren Ergebnissen führen. Dann hätten wir eine „Abweichung“. 

Genau das ist aber nicht der Fall: Wir haben ja schon gesehen, dass der Begriff der Geschlechtsidentität in Bedeutung und Bezug völlig unklar ist, auf jeden Fall aber etwas anderes damit gemeint sein muss als das biologische Geschlecht. Die Rede im SBGG von einer „Abweichung“ kann auch nicht heißen, dass die Person irrtümlich glaubt, ein biologischer Mann oder eine biologische Frau zu sein: Ihr biologisches Geschlecht kennen Trans-Personen ja – genau daraus entsteht für sie Leidensdruck. Klar ist eigentlich nur, dass die betroffene Person unzufrieden mit ihrem biologischen Geschlecht ist. 

Deshalb liegt auch kein logischer oder inhaltlicher Widerspruch vor zwischen biologischem Geschlecht männlich und gefühlter Geschlechtsidentität weiblich oder librafeminin: Wir haben es mit ganz unterschiedliche Begriffen zu tun, von denen einer klar ist und die anderen sehr unklar. Man kann das auch als Frage formulieren: Wie bestimmt das SBGG seine Idee der „Abweichung“ des einen vom anderen – unter welchen Bedingungen liegt eine vor?

Ein zweiter wichtiger Einschub: Wesentlich klarer wäre z.B. die folgende Formulierung: 

(1) Jede Person, deren Wunschgeschlecht von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht, kann gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag geändert werden soll, indem sie durch eine andere der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Angaben ersetzt oder gestrichen wird.

(2) Die Person hat mit ihrer Erklärung zu versichern, dass

1. der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags ihrem Wunschgeschlecht am besten entspricht,

2. ihr die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist.

Dann wäre natürlich zu begründen, warum in amtlichen Dokumenten ein Wunsch an die Stelle einer Tatsache treten soll. Ein bloßer Appell an unser Recht auf Selbstbestimmung reicht dazu sicher nicht. Damit wären wir wieder zurück auf dem Weg, die Änderung über eine Ausnahmeregelung an medizinische Gutachten anzubinden. Genau das sollte durch den Rekurs auf Selbstbestimmung aber vermieden werden – was offensichtlich nicht funktioniert. Einschub Ende.

Vielleicht könnte man das Problem so lösen: Was das Gesetz hier implizit anzunehmen scheint ist, dass der Geschlechtseintrag wie wir ihn in unseren Gesetzen haben gar nicht nach biologischen Kriterien erfolgt oder erfolgen sollte, sondern im Grunde bzw. „schon immer“ die Geschlechtsidentität wiedergibt oder das tun soll. Nur so macht Paragraph 2 Absatz (1) bzw. die Rede von einer Abweichung überhaupt semantischen Sinn. 

Aber dann ist, erstens, diese Stelle bzw. Vorgabe im SBGG klar verfassungswidrig. Denn, wie oben erläutert: Unsere Verfassung kennt nur den biologischen Geschlechtsbegriff – und keinen anderen.3)Aus klassisch liberaler Perspektive ist das natürlich kein entscheidendes Argument. Mir geht es in erster Linie um Gerechtigkeit – und davon kann eine Verfassung leider problemlos abweichen. Ich möchte damit allerdings darauf hinweisen, dass das SBGG an schwerwiegenden handwerklichen Fehlern leidet. Sie ist, zweitens, ausgesprochen abenteuerlich: Wie wäre es denn zu plausibilisieren, dass vom Gesetzgeber „eigentlich schon immer“ die gefühlte Geschlechtsidentität gemeint war – und nicht das biologische Geschlecht? Und drittens – wie bereits gezeigt – wäre das SBGG in dieser Lesart naturwissenschaftlich nicht akzeptabel. 

Ich habe folgende Vermutung: Was das SBGG bzw. seine „Autoren“ de facto mit diesen wirren Formulierungswindungen zu erreichen versucht, ist die „stille“ Abschaffung des biologisch fundierten Geschlechtseintrages. Es ersetzt ihn im Grunde durch den Eintrag der Geschlechtsidentität: Die gefühlte kann von der eingetragenen Geschlechtsidentität abweichen. Dieser Begriff ist allerdings wie gezeigt nicht gesetzestauglich.

Die dubiose und moralisch mehr als fragwürdige Hoffnung dahinter könnte sein, dass die aus dem SBGG resultierenden Unklarheiten später einmal durch ein Verfassungsgerichtsurteil zu Gunsten der Geschlechtsidentität aufgelöst werden. Das käme dann allerdings einer erschlichenen Verfassungsänderung gleich. Diese Vermutung lässt sich, wie wir sehen werden, durch mehrere Indizien bzw. Defizite erhärten: Das SBGG scheint nicht seriösem juristischen Handwerk entsprungen, sondern ideologisch motiviertem woken Aktivismus.4)Wie dem auch sei: Was vom Gesetzgeber dabei unberücksichtigt bleibt, sind die Auswirkungen auf alle bisherigen Geschlechtseinträge: Steht in meinem Reisepass plötzlich nicht mehr das biologische Geschlecht („M“), sondern eine für mich unverständliche Geschlechtsidentität „M“? Müssten jetzt nicht alle Einträge für alle Bürger dem neuen Gesetz mit dem neuen Begriff der Geschlechtsidentität angepasst werden? Müsste dazu nicht jeder Bürger nach seiner Geschlechtsidentität befragt werden – und darauf nach bestem Wissen und Gewissen antworten? 

Das Wirrwarr um Vorname und Geschlechtsidentität

Eine weitere Rätselfrage wird vom SBGG durch Paragraph 2 Absatz (3) aufgeworfen:

„(3) Mit der Erklärung nach Absatz 1 sind die Vornamen zu bestimmen, die die Person zukünftig führen will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen. § 11 in Verbindung mit § 3 Absatz 1 des Namensänderungsgesetzes bleibt unberührt.“

Vor dem Hintergrund etablierter gesellschaftliche Konventionen und Erfahrungswerte können wir recht gut beurteilen, ob ein Vorname zum biologischen Geschlecht seines Trägers passt bzw. diesem entspricht: Bei mir passt „Andreas“ sehr gut; „Andrea“, „Judith“ oder „Christine“ nicht. Da aber wie oben ausführlich erläutert völlig unklar ist, was die gefühlte Geschlechtsidentität besagt oder bedeutet, an der sich laut Paragraph 2 der Eintrag bestmöglich orientieren soll, ist genauso unklar, welche Namen zu welcher Geschlechtsidentität passen. Das ist bisher weder durch gesellschaftliche Konventionen, Praxis noch Erfahrungswerte geklärt. Wer sagt denn, dass der Geschlechtseintrag „weiblich“, die Geschlechtsidentität „libraflux“ und der Vorname „Leander“ für eine bestimmte Person nicht am besten zusammenpassen? 

Wäre das SBGG konsequent, müsste es auf diese Forderung also verzichten. In seiner aktuellen Form zieht es allerdings den Vorwurf der Unstimmigkeit auf sich, verstößt also gegen Bedingung Nummer vier: Ein gutes Gesetz muss in sich stimmig sein. Das SBGG wendet ausdrücklich Konventionen zur Namensgebung bezüglich des biologischen Geschlechts einfach auf einen ganz anderen Bereich, nämlich den der Geschlechtsidentität an – und das ist in sich nicht stimmig. Anders ausgedrückt: Ein Gesetz, das den Geschlechtseintrag mit dem Argument der Selbstbestimmung für die gefühlte Geschlechtsidentität freigibt, sollte das konsequenterweise auch für die Namenswahl tun.  

Mein Zwischenfazit: Das SBGG verstößt bereits in seiner Zielsetzung sowie den beiden ersten Paragraphen klar und deutlich gegen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften (Minimalbedingung 1), gegen die Forderung nach innerer Stimmigkeit (Minimalbedingung 4) und gegen die dritte Minimalbedingung für Gesetze, die klare Begriffe fordert: Der Begriff der Geschlechtsidentität ist ausgesprochen unklar, schwammig, mehrdeutig, kann sogar als Musterbeispiel für all diese Defizite herhalten. Und genau deshalb hat er in Gesetzestexten nichts verloren.

PD. Dr. Andreas Edmüller, 22. April 2025

References   [ + ]

1. Und wir hatten bis zum Inkrafttreten des SBGG auch klar bestimmte Ausnahmefälle.
2. Das ist übrigens ein signifikanter Unterschied zur Geschlechtsidentität – diese kann sich (oft) ändern.
3. Aus klassisch liberaler Perspektive ist das natürlich kein entscheidendes Argument. Mir geht es in erster Linie um Gerechtigkeit – und davon kann eine Verfassung leider problemlos abweichen. Ich möchte damit allerdings darauf hinweisen, dass das SBGG an schwerwiegenden handwerklichen Fehlern leidet.
4. Wie dem auch sei: Was vom Gesetzgeber dabei unberücksichtigt bleibt, sind die Auswirkungen auf alle bisherigen Geschlechtseinträge: Steht in meinem Reisepass plötzlich nicht mehr das biologische Geschlecht („M“), sondern eine für mich unverständliche Geschlechtsidentität „M“? Müssten jetzt nicht alle Einträge für alle Bürger dem neuen Gesetz mit dem neuen Begriff der Geschlechtsidentität angepasst werden? Müsste dazu nicht jeder Bürger nach seiner Geschlechtsidentität befragt werden – und darauf nach bestem Wissen und Gewissen antworten?

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