Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung (Teil 4)

In Teil 3 habe ich die These begründet, dass es eigentlich keinen Sinn macht, von einer „Abweichung der Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag“ zu reden und zu fordern, die Vornahmenswahl am Geschlechtseitrag auszurichten.

In Teil 4 zeige ich, dass die umfangreichen Ausnahmeregelungen im SBGG zusammen mit dem Offenbarungsverbot wahrscheinlich zu einer so beachtlichen wie inakzeptablen Rechtsunsicherheit für viele Bürger führen.

Die Ausnahmeregelungen im SBGG

Das SBGG benennt zahlreiche Ausnahmen, d.h. Situationen oder Lebensumstände, in denen unabhängig von der Geschlechtsidentität das biologische Geschlecht juristisch relevant ist bzw. sein soll.  Zumindest scheint das gemeint zu sein, gesagt wird es nicht. Diese Ausnahmen finden sich vor allem in den Paragraphen 6, 7 und 8:

§ 6 Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen

(1) Der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag und die jeweils aktuellen Vornamen sind im Rechtsverkehr maßgeblich, soweit auf die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung oder die Vornamen Bezug genommen wird und durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt.

(3) Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden.

(4) Auf den aktuellen Geschlechtseintrag kommt es bei allen gesundheitsbezogenen Maßnahmen oder Leistungen nicht an, sofern diese im Zusammenhang mit körperlichen, insbesondere organischen Gegebenheiten stehen. 

§ 8 Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften

(1) Gesetze und Verordnungen, die Regelungen zu Schwangerschaft, Gebärfähigkeit, künstlicher Befruchtung sowie zu Entnahme oder Übertragung von Eizellen oder Embryonen treffen, gelten unabhängig von dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht der jeweiligen Person,

1. die schwanger oder gebärfähig ist,

2. die schwanger oder gebärfähig werden will,

3. die ein Kind geboren hat oder stillt oder

4. bei der eine künstliche Befruchtung durchgeführt wird oder der Eizellen oder Embryonen entnommen oder übertragen werden.

Gleiches gilt für Gesetze und Verordnungen, die Regelungen im Kontext von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillen treffen.

(2) Gesetze und Verordnungen, die an die Entnahme oder Übertragung von Samenzellen oder die Verwendung von Samenzellen zur künstlichen Befruchtung, an die Stellung als leiblicher Vater oder daran anknüpfen, dass ein Mann der Mutter eines Kindes während dessen Empfängniszeit beigewohnt hat, gelten unabhängig von dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht der jeweiligen Person,

1. die zeugungsfähig war oder ist,

2. die ein Kind gezeugt hat oder hätte zeugen können oder

3. die Samenzellen spenden will, gespendet hat oder der Samenzellen entnommen werden.

§ 9 Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall

Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird. Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.“

In diesen drei sehr langen Paragraphen wird der naheliegende Ausdruck „biologisches Geschlecht“ bei der Formulierung der Ausnahmen nicht verwendet. Es ist lediglich die Rede davon, dass sie „unabhängig von dem im Personenstandregister eingetragenen Geschlecht der Person“ gelten sollen. Was genau herangezogen wird oder herangezogen werden soll, um den Status der betroffenen Personen zu bestimmen, bleibt im SBGG offen! 

Abgesehen davon, dass dieses Herumschwurbeln so kindisch wie komisch ist, schafft es vermutlich eine enorme Rechtsunsicherheit: Auf Grundlage welcher Kriterien bzw. Argumente kann z.B. ein Frauenhaus, der Veranstalter eines „Ladies Only“ – Events oder der Besitzer einer Sauna mit Zeiten, die ausschließlich für (biologische) Frauen reserviert sind, Trans-Frauen, also biologische Männer ausschließen? 

Im SBGG wird durch die Aufwertung der Geschlechtsidentität zu einer juristisch relevanten Kategorie, die Vermeidung des Bezugs auf das biologische Geschlecht und die vage formulierten Ausnahmeklauseln genau für solche Situationen Rechtsunsicherheit erzeugt. Konkret: Hier wird eine beachtliche Grauzone mit hohem Risiko für die Bürger geschaffen, in zeit- und geldintensive gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Damit verstößt das SBGG gegen die fünfte Minimalbedingung: Ein gutes Gesetz lässt in dem Bereich, den es normativ abdecken soll keine Lücken, die massive Rechtsunsicherheit nach sich ziehen. 

Diese legislativ und normativ unbefriedigende Situation wird dadurch verschärft, dass das biologische Geschlecht einer Person durch Änderung des Geschlechtseintrages in zahlreichen Dokumenten verschleiert wird (§10 Änderung von Registern und Dokumenten) und laut Paragraph 13 nicht ausgeforscht werden darf: 

§ 13 Offenbarungsverbot

(1) Sind Geschlechtsangabe und Vornamen einer Person nach § 2 geändert worden, so dürfen die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden. Satz 1 gilt nicht, wenn

1. amtliche Register oder amtliche Informationssysteme personenbezogene Daten zu dieser Person enthalten und im Rahmen der jeweiligen Aufgabenerfüllung von öffentlichen Stellen die Verarbeitung von Daten nach Satz 1 nach anderen Rechtsvorschriften erforderlich ist,

2. besondere Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenbarung der Daten nach Satz 1 erfordern oder

3. ein rechtliches Interesse an den Daten nach Satz 1 glaubhaft gemacht wird.“

Das führt sofort zu dieser Frage: Wie soll z.B. das Hausrecht im konkreten Fall durchgesetzt werden, wenn das biologische Geschlecht einer Person, die abgewiesen werden soll, erstens für die betreffende Regelung relevant ist, zweitens aber weder ausgeforscht noch offenbart werden darf? 

Diese und ähnliche Überlegungen erhärten den Schluss aus dem letzten Kapitel, dass das SBGG gegen Bedingung Nummer vier verstößt: Ein gutes Gesetz muss in sich stimmig sein. Die zahlreichen Ausnahmen können und werden vermutlich zusammen mit dem Offenbarungsverbot zu vielen Unklarheiten und Rechtsrisiken für die Bürger führen. 1)Zudem sollte man immer das Risiko im Auge behalten, mit derartigen Gesetzen und den daraus resultierenden Streitigkeiten das Vertrauen in unser Rechtssystem und die Justiz zu schwächen und Raum für Lächerlichkeiten zu schaffen. Das ist keine leere Befürchtung: https://queernations.de/marla-svenja-liebich-selbstbestimmungsgesetz/

PD Dr. Andreas Edmüller, 22. April 2025

References   [ + ]

1. Zudem sollte man immer das Risiko im Auge behalten, mit derartigen Gesetzen und den daraus resultierenden Streitigkeiten das Vertrauen in unser Rechtssystem und die Justiz zu schwächen und Raum für Lächerlichkeiten zu schaffen. Das ist keine leere Befürchtung: https://queernations.de/marla-svenja-liebich-selbstbestimmungsgesetz/

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