
Worum geht es?
Die Bundesregierung hat eine neue Queer-Beauftragte, Sophie Koch. Sie fordert, den Schutz queerer Personen explizit ins Grundgesetz aufzunehmen und Artikel 3 in diesem Sinne zu erweitern:
- Queere Personen werden immer mehr angefeindet und wir sehen in Ländern wie den USA, wie schnell ihre Rechte auch wieder eingeschränkt werden können. Wir müssen sie durch das Grundgesetz schützen können …1)https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-06/queerness-menschenrechte-sophie-koch-spd-grundgesetz
Meine These: Queere Personen und deren Rechte werden vom Grundgesetz bereits exzellent geschützt – wie wir alle.2)Das sollte Frau Koch als Beauftragte der Regierung wissen. Sonst ist sie fehl am Platz und die Verschwendung von Steuergeldern wieder einmal vorprogrammiert. Kochs Vorschlag ist deshalb komplett überflüssig, widerspricht dem Zweck einer Verfassung, würde diese inhaltlich sogar schwächen. Ihre Forderung ist aber typisch für einen uninformierten, irrationalen und aggressiven queeren Aktivismus, der sich leider auch bei uns in den letzten Jahren entwickelt hat.
Sinn und Zweck der Verfassung
Unsere Verfassung drückt die zentrale Gerechtigkeitskonzeption aus, auf der das Zusammenleben der Bürger beruht. Sie beschreibt die Kernaufgaben des Staates, Inhalte, Grenzen und Kontrollmechanismen seines Gewaltmonopols. Sie legt den Freiraum der Bürger fest und definiert die grundlegenden politischen Entscheidungsmechanismen. Die Verfassung ist der normative Ordnungsrahmen für die Politik, soll der kurz- und mittelfristigen Tagespolitik entzogen sein. In gewisser Weise schützt sie uns auch vor uns selbst – z.B. vor emotional bedingten legislativen Schnell- und Fehlschüssen.
Um diese Funktionen zu erfüllen, sollte die Verfassung so einfach, klar und leicht verständlich wie möglich formuliert sein. Darüber hinaus sollte sie in sich weitgehend stimmig sein – Widersprüche beeinträchtigen ihren Zweck als Entscheidungsbasis politischer Fragen.3)Leider haben wir im Lauf der Jahrzehnte unser Grundgesetz schon kräftig ausgehöhlt und seine Kerngedanken zumindest partiell verfälscht – aber darum geht es heute nicht.
Der Vorschlag der Queer-Beauftragten ist sinnlos
Frau Koch schlägt vor, das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 explizit auf queere Personen auszudehnen. Wie sieht dieser Artikel aus?
Artikel 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.4)https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html
Artikel 3 basiert wie alle anderen der ersten 20 Artikel auf dem Leitprinzip der Würde des Menschen, wie in Artikel 1 formuliert:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.5)https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html
Der Würdegedanke liefert die Basis und den nicht hintergehbaren Rahmen für Verständnis und Auslegung der Grundrechte und der Verfassung. Besonders die Persönlichkeits-, Privat- und Intimsphäre eines jeden Bürgers werden konsequent geschützt. Gleiches gilt für die Ehre. Artikel 2 garantiert zudem die freie Entfaltung der Persönlichkeit, solange dabei weder die Rechte anderer Bürger, die Verfassung oder „das Sittengesetz“ verletzt werden.6)https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html. Die Sache mit dem Sittengesetz hat sich im Laufe der Zeit erledigt bzw. abgeschliffen. De facto sind damit mittlerweile einfach die anderen Gesetze gemeint.
Die Auflistung in Artikel 3 ist also rein veranschaulichend bzw. beispielhaft, nicht als vollständig zu verstehen. Artikel 3 lässt nicht zu, dass Bevölkerungsgruppen oder Personen diskriminiert werden dürfen, die in der Auflistung fehlen. Aus Artikel 3 im Verbund mit Artikel 1 und 2 geht klar und unmissverständlich hervor, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Vorlieben oder seines Lebensstils diskriminiert werden darf. Selbstverständlich gilt das auch für alle queeren Personen. Die Grenze dabei ist die gleiche wie bei allen Freiheiten: Sie wird durch die Rechte der anderen Bürger gesetzt.
Also: Frau Kochs Forderung nach Erweiterung von Artikel 3 ist komplett überflüssig und rational nicht zu begründen.
Was spricht konkret gegen eine Erweiterung von Artikel 3?
Argument 1: Es wird immer Gruppen geben, die sich diskriminiert fühlen oder das tatsächlich sind. Menschen sind keine Engel und die offene Gesellschaft mit unserem Grundgesetz als Rahmen bietet immensen Raum für neue Wege, Lebensexperimente, Formen der Selbstverwirklichung. Es versteht sich von selbst, dass die nicht immer allen Mitbürgern gefallen. Daraus erwächst immer wieder die Gefahr von Ausgrenzung und Diskriminierung. Es wird selbstverständlich auch immer Personen bzw. Gruppen geben, deren Charakteristika nicht in der Aufzählung in Artikel 3 vorkommen. Das ist aber, wie oben schon erläutert, kein Grund, um die Auflistung in Artikel 3 zu erweitern: Solange sie nicht die Rechte ihrer Mitbürger angreifen, werden sie und ihre Lebensweise von der Verfassung geschützt. Die offene Gesellschaft mit ihrem Toleranzgebot in Kombination mit den garantierten Freiheitsrechten fordert von den Bürgern, diese unvermeidlichen Spannungen auszuhalten, in ihre Lebenswirklichkeit zu integrieren und im besten Fall in eine gesellschaftlich positive Dynamik umzuwandeln. Genau dafür haben wir ja das Grundgesetz als stabilen und in gewisser Weise zeitlosen Ordnungsrahmen.
Argument 2: Eine explizite Auflistung, wie von Frau Koch gewünscht, würde ein verfassungsrechtliches Fehlsignal senden: Es könnte der Eindruck entstehen, dass unser Grundgesetz tatsächlich nur Personen oder Gruppen schützt, die ausdrücklich genannt werden. Das wiederum würde eine Schwächung des allgemeinen und umfassenden Schutzprinzips bedeuten, das auf dem Würdegedanken beruht.7)Ein Blick auf die staats- und rechtsphilosophische Debatte in Großbritannien und den USA zeigt, wie wertvoll dieses explizit formulierte normative Verfassungsfundament ist! Diese Gefahr sollten wir nicht auf die leichte Schulter nehmen: Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell wirre und falsche Ideen an Verbreitung gewinnen können – auch und gerade im Rahmen der Gender-Debatte.8)Ein Beispiel von leider sehr vielen diskutiere ich hier: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/amadeu-antonio-stiftung-und-deutsche-welle-fake-news-auf-steuerzahlerkosten/ Und wir mussten feststellen, dass es sogar möglich ist, offensichtlich unsinnige Gesetze wie das Selbstbestimmungsgesetz einzuführen.9)Hier geht es zu Teil 1 von 5; das SBGG hat viele unsinnige Facetten: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/ Also: Wehret den irrationalen Anfängen!
Argument 3: Eine weitere Gefahr sehe ich in der Möglichkeit von Präzedenzfällen bzw. permanenten überflüssigen Verfassungsdebatten: Wer fordert als nächstes Aufnahme in den Artikel 3? Ich nehme an, dass z.B. völkische Gruppen dieser Idee nicht abgeneigt sein dürften und es früher oder später ausprobieren werden. Schließlich erwähnt Artikel 3 mit keinem Wort die Lebensform altgermanisch-mythisch-völkische Sippe … Das naheliegende Motto: Wenn Gruppe X, warum nicht wir? Auch diverse Esoteriker fühlen sich immer wieder gerne diskriminiert und dürften in einer Erweiterung von Artikel 3 für sich und ihre Anliegen beträchtliches Potential sehen. Wollen wir unser Grundgesetz tatsächlich der Gefahr aussetzen, zum Gegenstand ständiger tagespolitischer Debatten zu werden?
Argument 4: Ein klassischer und gerade deshalb starker Einwand weist darauf hin, dass Queer ein ausgesprochen unklarer, schwammiger und vieldeutiger Begriff ist: Derartige Begriffe haben in einer Verfassung nichts zu suchen. Sie bergen ein hohes Risiko, Rechtsunsicherheiten zu erzeugen und die Verfassung dadurch insgesamt zu schwächen.10)https://de.wikipedia.org/wiki/Queer. https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/
Argument 5: Zudem ist Queer nicht nur schwammig und unklar – es ist wie Woke oder TERF ein ideologisch stark schillernder und emotional aufgeladener Begriff. Auch deshalb gehört er nicht in die Verfassung. Warum nicht? Die Verfassung sollte durch nüchterne, sachliche und klare Formulierungen eine normative Barriere sein, z.B. gegen übergriffigen und dynamischen Aktivismus – und kein Werkzeug für diesen und seine fragwürdigen Zwecke. Ein sehr aggressiv auftretender Strang des Queer-Aktivismus richtet sich gegen die Werte und das Weltbild der Aufklärung und argumentiert oft ausgrenzend, diskriminierend und sehr unredlich.11)https://de.richarddawkins.net/articles/der-trans-komplex-3-3. Meine Argumentation in Teil 1 bis 5 läuft darauf hinaus, dass das SBGG im Grunde der fragwürdige Erfolg eines aggressiven Queer-Aktivismus ist; solide juristische Arbeit erkenne ich darin nicht: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/. Hier noch einmal ein dreister Angriff auf Biologie und Naturwissenschaft: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/amadeu-antonio-stiftung-und-deutsche-welle-fake-news-auf-steuerzahlerkosten/. Zahlreiche weitere Beispiele finden Sie auf dem sehr informativen und absolut empfehlenswerten Blog der Initiative Queer Nations: https://queernations.de/de/blog/. Wollen wir das Grundgesetz ohne nachvollziehbaren Grund für solche Zwecke instrumentalisieren lassen oder auch nur das Risiko dafür signifikant erhöhen?
Argument 6: Zum Abschluss darf das klassisch liberale Argument der Kontrolle und Begrenzung staatlicher Macht nicht fehlen. Der normativ und wissenschaftlich mehr als fragwürdige Queer-Aktivismus wird von diversen NGOs mitgetragen und betrieben. Diese wiederum werden in teils erheblichem Umfang vom Staat aus Steuermitteln finanziert. Die Verfassung vor dem Aktivismus dieser NGOs und ihnen wohlgesonnener Parlamentarier und Regierungsmitglieder zu schützen heißt ipso facto, sie vor einem übergriffigen Staat zu schützen.12)https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/staatsfinanzierung-fuer-ngos/ Zur Erinnerung: Eine Kernfunktion unserer Verfassung ist es, legitime staatliche Machtausübung präzise zu bestimmen und ihr darüber hinaus klare und wirkungsvolle Grenzen zu setzen.
Mein Fazit
- Die von der Queer-Beauftragten geforderte Erweiterung unseres Grundgesetzes ist überflüssig und rational nicht begründbar.
- Spannungen und Diskriminierungstendenzen sind in der offenen Gesellschaft ganz normal, gehören zu ihrer Dynamik, sollten und können von den Bürgern selbst im Rahmen der Verfassung bewältigt werden.
- Eine (laufende) Erweiterung von Artikel 3 birgt das Risiko, das eigentlich fundamentale und umfassende Schutzprinzip der Menschenwürde in den Hintergrund zu schieben und aufzuweichen.
- Das Risiko für Präzedenzfälle ist nicht zu unterschätzen: Die Verfassung sollte der Tagespolitik entzogen sein und nicht durch permanente überflüssige Debatten in ihrer Bedeutung und Funktion geschwächt werden.
- Queer ist ein schwammiger und unklarer Begriff und hat somit nichts in einer wohl formulierten Verfassung verloren. Gleiches gilt aus einem anderen Grund: Der Begriff Queer ist darüber hinaus stark ideologisch belegt und emotional aufgeladen.
- Schließlich sollten wir uns vor Augen halten, dass ein beträchtlicher Strang des irrationalen und übergriffigen Queer-Aktivismus aus Steuergeldern finanziert wurde und wird und unser Grundgesetz somit auch vor dieser versteckten staatlichen Einflussnahme geschützt werden sollte. Die wichtige Frage dazu ist natürlich, ob das Grundgesetz eine Staatsfinanzierung dieser ideologischen Strömungen überhaupt zulässt bzw. zulassen sollte.
PD Dr. Andreas Edmüller, 15. Juni 2025
References
1. | ↑ | https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-06/queerness-menschenrechte-sophie-koch-spd-grundgesetz |
2. | ↑ | Das sollte Frau Koch als Beauftragte der Regierung wissen. Sonst ist sie fehl am Platz und die Verschwendung von Steuergeldern wieder einmal vorprogrammiert. |
3. | ↑ | Leider haben wir im Lauf der Jahrzehnte unser Grundgesetz schon kräftig ausgehöhlt und seine Kerngedanken zumindest partiell verfälscht – aber darum geht es heute nicht. |
4. | ↑ | https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html |
5. | ↑ | https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html |
6. | ↑ | https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html. |
7. | ↑ | Ein Blick auf die staats- und rechtsphilosophische Debatte in Großbritannien und den USA zeigt, wie wertvoll dieses explizit formulierte normative Verfassungsfundament ist! |
8. | ↑ | Ein Beispiel von leider sehr vielen diskutiere ich hier: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/amadeu-antonio-stiftung-und-deutsche-welle-fake-news-auf-steuerzahlerkosten/ |
9. | ↑ | Hier geht es zu Teil 1 von 5; das SBGG hat viele unsinnige Facetten: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/ |
10. | ↑ | https://de.wikipedia.org/wiki/Queer. https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/ |
11. | ↑ | https://de.richarddawkins.net/articles/der-trans-komplex-3-3. Meine Argumentation in Teil 1 bis 5 läuft darauf hinaus, dass das SBGG im Grunde der fragwürdige Erfolg eines aggressiven Queer-Aktivismus ist; solide juristische Arbeit erkenne ich darin nicht: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/das-selbstbestimmungsgesetz-eine-legislative-fehlleistung-teil-1/. Hier noch einmal ein dreister Angriff auf Biologie und Naturwissenschaft: https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/amadeu-antonio-stiftung-und-deutsche-welle-fake-news-auf-steuerzahlerkosten/. Zahlreiche weitere Beispiele finden Sie auf dem sehr informativen und absolut empfehlenswerten Blog der Initiative Queer Nations: https://queernations.de/de/blog/. |
12. | ↑ | https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/staatsfinanzierung-fuer-ngos/ |