Star Wars – zurück auf „Start“: Replik auf einen Artikel der taz

Im Artikel der taz vom 1. Dezember 2023 mit dem Titel „Star Wars – nächstes Level“ behauptet die Autorin, in den Geisteswissenschaften habe sich ein Verständnis von Sprache durchgesetzt, das diese nicht nur als Abbildung der Realität, sondern als realitätsstiftend begreife.1)https://taz.de/Der-Gender-Gaga-Gigi-Gugu-Kampf/!5973767/ Abgesehen davon, dass sich diese u.a. auf die Sapir-Whorf-Hypothese und Wittgenstein zurückgehende Annahme nicht „durchgesetzt“ hat, sondern hochumstritten ist, kann leicht nachvollzogen werden, warum das keinesfalls so eindeutig sein kann. 

Angenommen, die fragliche These stimmt …

… dann schaffen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Wirklichkeiten. Es gäbe folglich gute und schlechte Sprachen in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter, also eine Sprachwertung. Naheliegend wäre in einem nächsten Schritt ein Index der besten Sprachen der Welt. An dessen Schluss stünden Sprachen, die man aus Gründen der Haltung nicht mehr sprechen oder gar unterrichten sollte, da man deren Sexismus perpetuieren würde. Wollen wir das? Oder, um das Gedankenexperiment an einem konkreten Fall festzumachen: Welches Argument hätte die Autorin gegen Forderungen, die Muttersprachen von patriarchalisch geprägten Migranten zu verdrängen, da sie ja wohl die Wirklichkeit mit erschaffen, die diese Gemeinschaften von der weniger frauenfeindlichen Gesamtgesellschaft unterscheidet? 

Ein Blick auf die Wirklichkeit

Unabhängig davon müssen wir die Annahme prüfen. Sollen wir dabei von der Wirklichkeit ausgehen oder von der Sprache? Wenn wir von der Wirklichkeit ausgehen, müssten die Sprachen in Afghanistan, Saudi-Arabien usw. eine männliche Dominanz aufweisen, da die Gesellschaften ziemlich patriarchalisch und frauenfeindlich sind. Aber Überraschung: Dari – ein persischer Dialekt, der in Afghanistan gesprochen wird – ist gender-neutral, es gibt also weder eine weibliche noch eine maskuline Form. Gleiches gilt für Türkisch, das sogar sprachlich auf ein wohl vergangenes Matriarchat hinweist.2)https://blog.projekt-philosophie.de/argumente-check/feministische-sprachkritik/  Und im Arabischen wird üblicherweise gegendert. 

Umgekehrt müsste Isländisch die gender-gerechteste Sprache der Welt sein, denn auf dem Gleichstellungsindex des WEF steht Island an erster Stelle.3)https://www.tagesschau.de/ausland/europa/gleichberechtigung-ranking-wef-100.html Komisch nur, dass die Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir „forsætisráðherra“, also „Präsidialratsherr“ und nicht einmal -herrin genannt wird.4)Siehe auch https://forssman-uebersetzer.de/baltikum/sprachen-ohne-genus/ Wie es den Isländern gelungen ist, trotz ihrer sehr maskulin dominierten Sprache auf Platz 1 zu landen, wäre eine Untersuchung wert. 

Ein Blick auf die Sprache

Wenn wir von der Sprache ausgehen, dann müssten gender-neutrale Sprachen wie Türkisch oder gendernde Sprachen wie Arabisch ideal sein. Wenn man sich allerdings die jeweiligen Gesellschaften anschaut, dann scheinen sich die Auswirkungen in überschaubaren Grenzen zu halten. Es ist also verzwickt. Sollte Sprache nur ein Faktor unter vielen sein, dann müsste man ihr ehrlicherweise lediglich einen minimalen Effekt zugestehen.

Schließlich müssten umgekehrt identische Sprachen dieselbe Wirklichkeit schaffen. Warum hat sich aber die deutsche Gesellschaft in den letzten zweihundert Jahren stark verändert, während wir Texte aus der Vergangenheit immer noch gut verstehen? 

Was mich als Kosmopolitin besonders stört

Die Theorie von der Wirklichkeitsschaffung durch Sprachen dürfte Kulturalisten und Rassisten erfreuen. Denn, wie wir es drehen und wenden – wir landen bei rassistischen Vorstellungen. Und denen möchte ich nicht Vorschub leisten.

Der Linguist und Kritiker der Sapir-Whorf-Hypothese John McWhorter (muss man erwähnen, dass er ein Mann, vielleicht auch alt, aber nicht weiß ist?) berichtet in seinem Buch „The Language Hoax“ von einer „rassistischen“ Sprache, deren Sprecher nicht rassistischer sind als andere Menschen:5)https://global.oup.com/academic/product/the-language-hoax-9780199361588?cc=us&lang=en&; Die Sprecher nutzen unterschiedliche Pronomina für Menschen der eigenen Ethnie und anderer Ethnien. Trotzdem: Die Sprecher dieser indigenen nordamerikanischen Sprache erwiesen sich nicht als fremdenfeindlicher als andere Menschen. Und das, obwohl ihre Sprache unterschiedliche Pronomina kennt für Personen des eigenen Stammes und alle anderen („In-Group-er/sie“, bzw. „Out-Group-er/sie“). 

Was lernen wir daraus? 

Nicht Sprachen sind rassistisch, sondern Menschen – genauso wie Menschen sexistisch sind, und nicht Sprachen. Davon unbenommen gibt es rassistische und sexistische Begriffe, aber das ist ein anderes Thema.

Bei der Gelegenheit erinnere ich an den beliebten „Sexismus-Test“ für Sprache: 

  • Ärzte tragen viel Verantwortung. 

Woran haben Sie gedacht? An Männer, an Frauen? Ich frage weiter: Welche Hautfarbe hatten sie? Waren Ärzte mit Behinderung dabei? Waren sie klein oder groß? Dick oder dünn? Sind Sie Rassist, weil Sie nicht an schwarze Menschen gedacht haben, obwohl unsere Sprache sie mitmeint? Oder liegt das Problem bei der Sprache? 

Sprache ist in erster Linie eben nicht dazu da, um Wirklichkeit abzubilden oder gar zu schaffen, sondern um zu kommunizieren. Derselbe Satz kann bei mir unterschiedliche Vorstellungen auslösen – je nachdem ob ich mich in einem Krankenhaus in Berlin oder in Dakar befinde. Ich denke automatisch an Frauen, wenn sie zu meiner Lebenswirklichkeit gehören. Ich hatte tatsächlich nie Probleme damit, auch an Frauen zu denken beim generischen Maskulinum, habe aber aufgrund der Debatten zur Kenntnis genommen (ja, ich lerne gerne dazu), dass die sprachliche Abstraktion vielen Menschen, auch Akademikern, wohl schwerfällt. Fehlt es hier an Abstraktionsvermögen? Die Frage ist nur, wie wir das lösen wollen: Mit einer Verkomplizierung von Sprache? Oder wollen wir Kindern nicht besser schon früh die Fähigkeit zur Abstraktion nahebringen? 

Schließlich muss ich betonen, dass die meisten Gendersternchengegner durchaus für lebendige Sprache und Sprachwandel sind. Sollten meine Kinder einmal den Glottisschlag verinnerlichen oder nur noch die feminine Form durch Abschleifung benutzen – von mir aus. Und Verbote finde ich ohnehin heikel. Aber es gibt Orte, an denen Sprachvorschriften sein müssen: Behörden oder Schulen etwa. Wie soll eine Lehrerin Aufsätze bewerten? Wenn die Sternchen des einen nicht als Fehler gezählt werden, warum dann die originelle (oder fehlende) Interpunktion des anderen? Es würde der staatlichen Neutralität widersprechen, wenn das Schreiben des einen Behördenmitarbeiters Van Goghs nuit étoilée gleicht und das Schreiben des anderen mit demselben Inhalt fünf Zeilen kürzer wäre. Ich könnte Schreiben des Finanzamtes oder Urteile eines Gerichts wegen Befangenheit zurückweisen und vieles mehr. 

Und weil die Autorin des taz-Artikels die AfD-Keule schwingt: Die meisten Sternchen-Gegner haben alles andere als reaktionäre Einwände. Auch ich wünsche mir eine bessere Welt, aber keine kleinkarierten „Star Fights“, die den eingebildeten Sexismus von Sprachen problematisieren, statt echten Sexismus zu bekämpfen.

Judith Faessler, 27. April 2025 (ursprünglich verfasst am 7.12.2023) 

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