Feministische Sprachkritik

_20160823_150747Liebe Leser!

Ja, so kurz und einfach: Damit meine ich Sie, liebe weibliche Leserinnen, wie auch Sie, liebe männliche Leser, sowie jeden, der sich weder als männlich noch als weiblich oder als beides versteht.

Wir Frauen in Europa leben im weltweiten Vergleich auf einer Insel der Glückseligen, gleichwohl begegnen wir auch hier noch Vorurteilen und haben mit  überkommenen Weltbildern zu kämpfen. Die Vielfalt der Lebensentwürfe, die u.a. die Frauenbewegung ermöglicht hat, ist noch nicht selbstverständlich. Umgekehrt sind einige mit der Freiheit, den eigenen Lebensentwurf zu wählen, überfordert (dazu zählt auch die Freiheit, sich für ein sogenanntes traditionelles Rollenbild zu entscheiden) und wollen deshalb die Entwicklung rückgängig machen. Die Frauenbewegung hat zahlreiche sinnvolle und wichtige Ansatzpunkte. Einige wenige Kampfschauplätze der Gleichstellung halte ich aber für wenig erfolgversprechend, wenn nicht gar für Irrwege. Wir sollten uns auf die Kämpfe konzentrieren, die erfolgversprechend sind, nicht gegen Windmühlen kämpfen. Beispiele wenig überzeugender Vorstöße des Feminismus sind einige Thesen der feministischen Sprachkritik, die als „feministische Linguistik“ gar einen wissenschaftlichen Anspruch hegt. Und mit Karl Valentin („net amoi ignorier´n“) kann man es nicht aussitzen, da feministische Sprachkritik unglaublich erfolgreich ist.

1. Ein Großteil der Argumentation der feministischen Sprachkritik beruht auf einer Gleichsetzung des grammatischen Genus mit dem biologischen Geschlecht. Dabei überschneiden sie sich nur teilweise. Wie übersetzt man etwa das 3. grammatische Genus in die biologische Wirklichkeit? Ein Mädchen gilt übrigens gemeinhin als weiblich, obwohl die Grammatik es zum Neutrum macht. Umgekehrt ist meine Hose keine Frau, nur weil sie grammatisch weiblich ist. Genauso wenig betrachte ich Rock und Büstenhalter, ironischerweise zwei typisch weibliche Accessoires hierzulande, als Männer.

Grammatische Genera erfüllen bisweilen einen ganz anderen Zweck: Im Arabischen sind Kollektivbezeichnungen maskulin, Individualbezeichnungen dagegen feminin. Der Fisch im Allgemeinen, wie im Satz: „In Japan wird viel Fisch gegessen“ oder die Nacht im Allgemeinen, wie im Satz: „Die Nächte in der Wüste sind kalt“, sind männlich. Dagegen ist das Besondere, das Einzelne, das Individuum weiblich: Der Fisch in meinem Aquarium ist weiblich und die sternenklare Nacht gestern auch. Birgt unsere Sprache nicht mehr Reichtümer, als dies die Reduzierung auf das biologische Geschlecht suggeriert?

2. Zwar leuchtet die Theorie intuitiv ein, dass die Gesellschaft die Sprache prägt und dies vielleicht auch umgekehrt wirkt. Der vielbeschworene Kausalzusammenhang zwischen patriarchalischer Kultur und männlich dominierter Sprache ist eine weitere Grundannahme der feministischen Sprachkritik. Aber mit Intuition und Bauchgefühl liegt man auch häufig daneben. Dies kann leicht durch Gegenbeispiele in Frage gestellt werden. Wo das Englische zwar keinen Genus, aber immerhin noch eine Unterscheidung zwischen he und she kennt, ist beispielsweise Persisch eine Sprache ganz ohne Geschlecht (Persisch wird überwiegend im Iran, in Zentralasien und in Teilen Afghanistans gesprochen – die dortigen Gesellschaften gelten gemeinhin als eher patriarchalisch). Er oder sie? Fehlanzeige, alles ´u. Die türkische Sprache ist ebenso geschlechtslos, einiges deutet gar darauf hin, dass die frühen Türken matriarchalisch organisiert waren. So kennt die Sprache keinen eigenen Ausdruck für Eltern; das arabische ebeveyn wird nur in der Juristensprache verwendet. Dafür nutzen die Türken die Behelfsbildung anne-baba, bzw. ana-baba und nennen dabei die Mutter zuerst! Die Lexeme anayurt oder anavatan, „Mutterland“ im Sinne von Vaterland oder ana cadde, „Mutterstraße“ im Sinne von Hauptstraße sind weitere Zeugen eines frühen Matriarchats.1)An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. Özgür Savasci für die wertvollen Beispiele bedanken. Er wies mich auch darauf hin, dass in der Türkei die soziale Stellung der teyze (Schwester der Mutter) höher ist als die des dayi (Bruder der Mutter) ist – wohl ein Überbleibsel eines früheren Matriarchats. Davon ist in der türkischen Gesellschaft schon seit Jahrhunderten wenig übrig. Das Arabische dagegen unterscheidet grammatisch zwischen „weiblich“ und „männlich“: Im jemenitischen Dialekt aus der Gegend um Mahwit haben weibliche Anreden und Pronomina gar die männlichen verdrängt. Leider erschienen mir die dortigen Dialektsprecher selbst im jemenitischen Vergleich als besonders patriarchalisch. Die genannten Fälle belegen zumindest, dass patriarchale Strukturen wohl sehr unwesentlich mit grammatischen Genera zusammenhängen. Mir ist keine Kultur bekannt, in der eine signifikante Korrelation zwischen Patriarchat und „männlich dominierter Sprache“ feststellbar wäre. Den Beweis, dass die Sprache überhaupt einen Einfluss darauf hat, sind uns die Linguisten noch schuldig.

3. Eine dritte Grundannahme ist der Vorwurf der negativen Assoziation: Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass unterschiedliche Bezeichnungen für „Frau“ im Laufe der Jahre pejorativ besetzt wurden (Weib oder Dirne), aber hier prägte die Gesellschaft die Sprache, nicht umgekehrt. Dass das heute sehr gebräuchliche Lexem „Frau“ dieses Schicksal nicht ereilt hat und erstaunlicherweise immer noch wertneutral ist, spricht eigentlich schon für einen gesellschaftlichen Wandel, oder?

Gibt es eigentlich auch Studien über einen Zusammenhang zwischen Genus und positiver Assoziation? „Mann“ müsste sich doch darüber ärgern, wie frauenfreundlich unsere Sprache ist: Die Freiheit, die Liebe, die Intelligenz, die Schönheit, die Kraft, die Güte, die Perfektion, die Erotik, die Lebenslust, die Freude, um nur einige der schönsten Dinge zu nennen – alle weiblich. Andererseits legen Synonyme wie der Krieg, der Kampf und die Schlacht nahe, dass die Bedeutung nicht ausschlaggebend für den Genus ist. Auch der Wagen, die Karre/Kutsche, das Auto: 3 Synonyme und 3 Geschlechter für ein und dasselbe Ding – der grammatische Genus wurde wohl willkürlich vergeben, jedenfalls richtet er sich kaum nach der Bedeutung eines Worts. Ich habe bisher kein allgemeingültiges System in der Vergabe des deutschen grammatischen Genus entdeckt.

4. Auch eine vierte Grundannahme hat sich als ein meist unwidersprochenes Argument in die Diskussionen eingeschlichen: Bei maskulinen Personenbezeichnungen dächten die Menschen primär an Männer – das sei anhand von Versuchspersonen sogar wissenschaftlich erwiesen (so z.B. Luise F. Pusch). Dieser empirische Beleg belegt jedoch noch lange nicht den direkten Kausalzusammenhang. Die Assoziation kann man nicht unmittelbar auf das grammatische Geschlecht zurückführen. Wer kann hier Prägungen und Erfahrungen ausschließen?  So habe ich ein persönliches Gegenbeispiel: Bei dem Wort „Studenten“ erschienen seit meiner Kindheit stets eine Gruppe langhaariger Mädchen vor meinem inneren Auge, vermutlich aufgrund einer frühen Erfahrung auf einem Campus in Berkeley. Erst in den letzten Jahren hat sich durch den konsequenten Dualismus Studenten/Studentinnen meine Assoziation von Mädchen mit Studenten abgeschwächt.

5. Sprache ist lebendig und entwickelt sich mit den Sprechern. Veränderungen gehören zum Leben wie zu den Sprachen. Als Deutschsprachige sprechen wir sogar eine der wandelbarsten und somit neuesten Sprachen der Welt. Im Gegensatz zu Persern und Arabern verstehen wir unsere Literatur aus dem Mittelalter nur noch mit Übersetzung. Sprachliche Entwicklungen sind teilweise gesellschaftlich und politisch forciert worden. Aber die feministische Sprachkritik schafft ein künstliches Sprachlabor mit äußerst ephemeren Ausprägungen. Bisweilen treibt sie absurde Blüten: Es sind mir schon öfters Leute begegnet, die „mensch“ statt „man“ sagen. Dafür kann es wohl nur zwei Gründe geben: Die angebliche Assoziation mit „Mann“ und zweitens die angebliche Etymologie und Bedeutungsgleichheit mit „Mann“. Letzteres ist Unsinn, denn ursprünglich bedeutet „man“ Mensch, manche behaupten auch „Frau“, formal waren tatsächlich auch Frauen mitgemeint. In der mittelhochdeutschen Herkunft war „man“  „irgendeiner, jeder beliebige Mensch“. Umgekehrt ist wohl Mensch laut Online-Enzyklopädie eine Substantivierung von mennisch für mannhaft und wird auf einen indogermanischen Wortstamm zurückgeführt, in dem die Bedeutung von Mann und Mensch zusammenfiel – was heute noch in „man“ erhalten sei. Der erstgenannte Grund leuchtet vielen dagegen auf Anhieb ein: Mit dem Phonem „man“ assoziierten Menschen unwillkürlich ausschließlich Männer. Würde man dies ernst nehmen, so hätten wir konsequenterweise einige grundlegende Änderungen der deutschen Lexematik zur Folge. Hier wären wir endgültig auf kabarettistischem Niveau angelangt: Wer meint, es treibe damit die Efrauzipation voran, bitte sehr: „Frauege frei“ für eine weibliche Sefrautik, denn Deutsch ist eine gerfrauische Sprache. Frauch eine meint wohl, durch Sprache nicht frauipulierbar zu sein. Die Rofrautik lässt bis heute Frauenherzen höher schlagen. Und von einer frauisch-depressiven Veranlagung sind in der Tat häufiger Frauen betroffen. Die Klagen über zu wenige Frauen im Frauagement hätten ein Ende. Anwälte sollten nur noch Fraudanten akzeptieren, und Politiker nur noch Fraudate…

Spaß beiseite – Was viele als Fortschritt betrachten, erscheint mir jedenfalls als Rückschritt: Die Welt wird auf einen geschlechtlichen Dualismus reduziert, der einem überkommenen, vormodernen Weltbild entspringt. Die sogenannte feministische Linguistik mutet teilweise eher an wie biologistische Linguistik. Sprache soll die Welt und die Wirklichkeit abbilden, möglichst bunt und nicht schwarz-weiß! Während man bei Facebook inzwischen die Wahl zwischen etwa 60 Geschlechtern hat, verharrt die feministische Sprachkritik (auch die Sternchen- oder x-Nutzer, die genderneutrale Anreden wie „Liebx Studentx“ oder „Sehr geehrtx Professx“ vorziehen) fixiert auf die vermeintliche Zweigeschlechtlichkeit der Sprache.

Ich bleibe also, bis man mich vom Gegenteil überzeugt (! – bin offen für Argumente), beim sogenannten generischen Maskulinum. Dass dieser ein echter „Maskulinum“ ist, wurde ja noch nicht bewiesen. Man könnte auch vom gender-neutralen Plural sprechen. Er ist praktischerweise kürzer als der feminine Plural. Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen: Die Lesbarkeit profitiert davon. Texte werden kürzer, und dadurch werden weniger Bäume gefällt. Wenn ich davon abweiche, dann aus Höflichkeit (Sehr geehrte Damen und Herren klingt einfach besser als Sehr geehrte Menschen) oder aus dem Willen zur Präzision.

Die kommenden Generationen werden ihre Vorstellung von Sprache vielleicht von antiquierten biologistischen Modellen befreit haben. Ich wäre schon zufrieden mit mehr Gelassenheit – unsere Sprache trägt natürlich historischen Ballast in sich, was man wohl gemeinhin als Kultur bezeichnet. Wer auf einer perfekt gegenderten Sprache besteht, dem ist die deutsche Sprache ohne massive Änderungen ohnehin nicht anzuraten. Wir haben aber die Möglichkeit, auf gegenderte Sprachen zurückzugreifen; z.B. Türkisch. Der Vorteil: Zahlreiche Deutsche können diese Sprache schon, teilweise als Muttersprache. Türkisch als Zweitsprache in allen Amtsstuben: Das wäre mal ein wirklich konstruktiver Vorschlag!

(Anmerkung: Vielleicht liegt es doch an der Sprache, dass zumindest Akademikerinnen in der Türkei und im Iran häufiger Karriere machen als in Deutschland?).

 

Judith Faessler, 17. Dezember 2016

 

Über mich

Ich wurde 1971 in Genf (Schweiz) geboren, besuchte den Kindergarten in Kalifornien, verbrachte meine gesamte Schulzeit in Frankreich und studierte Orientalistik in München. Seit vielen Jahren habe ich nun zwei Hauptaufgaben, denen ich fast meine gesamte Wachzeit widme: Die Befassung mit Extremismus und der Versuch, zwei Kinder (männlich) großzuziehen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Text ist keine Kritik am Feminismus, sondern lediglich an einigen Thesen der feministischen Sprachkritik. Ich verstehe mich u.a. als Feministin, bin mir bewusst, dass ich der Frauenbewegung viel zu verdanken habe und stolz darauf, dass sich schon meine Urgroßmutter als Sozialdemokratin für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt und dies als Unternehmerin auch vorgelebt hat.

References   [ + ]

1. An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. Özgür Savasci für die wertvollen Beispiele bedanken. Er wies mich auch darauf hin, dass in der Türkei die soziale Stellung der teyze (Schwester der Mutter) höher ist als die des dayi (Bruder der Mutter) ist – wohl ein Überbleibsel eines früheren Matriarchats.

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