Angst – was tun?

Teil 2 von 3: Der Analyse zweiter und unbequemer Teil

Buchtitel

Systematisches Politikerversagen als Wählerversagen

Politikerschelte macht Spaß (mir ja auch), ist einfach, bequem und naheliegend.  Und berechtigt – die stellen sich wirklich ziemlich dumm an. Aus liberaler Perspektive ist die Qualität unseres politischen Personals allerdings eher Symptom als Ursache der Gesamtproblematik – und nun kommen wir langsam zu des Pudels Kern. Zu dem führt ziemlich direkt die folgende Frage: Wer hat diese Politiker und Parteien denn gewählt – und warum? 

Tja, liebe Leser, jetzt kommt die große Überraschung: Gewählt haben wir sie! Niemand wird ernsthaft behaupten, unsere Parteien und Politiker hätten sich an den Bürgern vorbei in die Landes- und Bundesparlamente gemogelt. Dort sitzen genau die Leute, die wir dort haben wollen! Von der Linken bis hin zur NPD. Und dort tun sie genau das, wozu sie den Auftrag von ihren jeweiligen Wählern bekommen haben: Sie versuchen, Ihre Wahlversprechen einzulösen. Sie versuchen, die meist finanziellen Wünsche ihrer jeweils eigenen Wählerklientel zu erfüllen. Die Mittel dafür beschafft man sich traditionell über Steuererhöhung, Umverteilung und Schuldenmachen. Tun unsere Politiker das nicht, gehen sie das Risiko ein, nicht mehr gewählt zu werden. Und genau darum fällt es so schwer, zu dauerhaften legislativen Lösungen für unsere Probleme zu kommen: Diese Probleme lassen sich definitiv nicht durch Umverteilung und Schuldenmachen lösen. Aber eine andere Politik wird von den meisten Wählern – also von uns – nicht akzeptiert. Und es dürfte angesichts der Gesetze der Arithmetik nicht überraschen, dass diese Art von politischer Verdrängungskultur auf Dauer nicht funktionieren kann.

Der Wohlfahrtsstaat ist langfristig instabil

Diese Verdrängungskultur ist in allen Wohlfahrtsstaaten die selbe, sie ist wesentlicher Bestandteil dieses Systems. Graduelle Unterschiede gibt es jeweils im Ausmaß der Korruption und Unfähigkeit bei der Umverteilung, der Hemmungslosigkeit beim Schuldenmachen, der ideologischen Verbohrtheit der Interessenvertreter in den Parlamenten und in der Leistungsstärke der Wirtschaft.

Dieses System der Umverteilung und des Schuldenmachens zerstört sich auf lange Sicht selbst. Dazu haben liberale Denker schon viele Daten gesammelt und exzellente Bücher geschrieben.1)Eine sehr lehrreiche aber auch sehr umfangreiche Darstellung liefert Jesus Huerta de Soto: Money, Bank, Credit, and Economic Cycles. Erste spanische Ausgabe 1998; erste englische Ausgabe: Ludwig von Mises Institute, 2006. Die anschaulichste Einführung in liberale Wirtschaftstheorie ist Henry Hazlitt: Economics in One Lesson. New York, 1946. Seither in vielen Ausgaben und Übersetzungen erschienen. Die mag nur kaum jemand zur Kenntnis nehmen – dass der klassische Liberalismus böse ist, weiß man ja auch ohne sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Man weiß ja auch, dass alle Flüchtlinge Terroristen sind, alle AfD-Mitglieder Nazis, alle Unternehmer Ausbeuter, alle Polizisten Schläger und alle Christen Kinderschänder. Was denn auch sonst ….

Deshalb verzichte ich an dieser Stelle auf theoretische Ausführungen. Vielmehr bitte ich Sie, lieber Leser, einmal in Ruhe über die folgenden Beispiele und Aspekte nachzudenken. Meine Beispiele entnehme ich der aktuellen politischen Lage in Europa. Länder wie Griechenland und Italien verkörpern die liberale These von der Selbstzerstörung des Wohlfahrtsstaates sehr anschaulich. Dort ist dieser Prozess schon weiter fortgeschritten als bei uns und umso deutlicher erkennbar. Und eines sei vorweg gesagt: Ich bin Optimist und fest davon überzeugt, dass wir es schaffen können, die Ideologie des Wohlfahrtsstaats zu überwinden – wenn wir uns zusammenreißen.

Griechenland

  • hat seit dem Ende der Militärdiktatur 1975 enorme finanzielle Unterstützung von allen Seiten erhalten. Subventionen und Kredite waren sehr leicht erhältlich, Rat durch die anderen Staaten Europas auch. Diese Subventionen und Kredite hat man natürlich gerne angenommen.
  • Das griechische Parlament war immer ein Klientelparlament zur Befriedigung der finanziellen Wünsche des Wahlvolkes bzw. bestimmter Gruppen. Die einen wollten halt keine oder nur wenig Steuern zahlen, die anderen einen wesentlichen Teil ihres Lebensstandards durch staatliche Zuwendungen finanziert bekommen. Und so ein Job in der Staatsbürokratie ist auch was Schönes. Man hat dann ein sehr geregeltes und hohes Einkommen, muss keine Angst vor einem Burnout haben und hat jede Menge Zeit für andere Dinge. Also: Jeder kriegt, was er will.
  • Der griechische Wohlfahrtsstaat hat in jedem einzelnen Jahr seiner Existenz über seine Verhältnisse gelebt.
  • Man hat nie ernsthaft versucht, den unbequemen und schmerzhaften Weg zu gehen, eine funktionierende Staatsverwaltung, Marktwirtschaft und Leistungsgesellschaft aufzubauen. Warum auch?
  • Das griechische Parlament ist traditionell unfähig, problem- und lösungsorientiert zusammenzuarbeiten. Die derzeitige Regierung aus Kommunisten und Rechtsradikalen zeigt das in aller Deutlichkeit und Verzweiflung.
  • Die gesellschaftliche Debatte zu den Ursachen der Misere hat wenig Bezug zur Realität. Sie ist bis heute auf diverse Veschwörungstheorien fokussiert. In den allermeisten Varianten sind die Deutschen bzw. die deutschen Nazis Schuld. Grundsätzlich und an Allem. Die These, dass die Griechen das selber vermasselt haben könnten, gilt als empörender Nazi-Angriff auf ihren Nationalstolz.

Italien etc.

Ähnliches lässt sich in Italien und vielen anderen Wohlfahrtsstaaten beobachten:

  • Parlamente sind Gremien, die von den Vertretern der jeweiligen Klientelgruppen beschickt werden.
  • Diese gehen grundsätzlich den einfachsten und kürzesten Weg, die Wünsche ihrer Auftraggeber zu erfüllen: Umverteilen und Schuldenmachen.
  • Reformpläne werden im Parlament bisweilen erbittert besprochen und diskutiert und versanden dann konsequent auf dem Weg der Umsetzung. Es soll ja auch keiner sagen können, man hätte sich seiner Verantwortung nicht gestellt …
  • Die rapide um sich greifende Staatsfinanzierung durch die EZB ist nichts anderes als die konsequente Umsetzung des Wohlfahrtsstaatsmodells auf europäischer Ebene.
  • Und selbstverständlich sind die Deutschen an Allem Schuld. Da muss man nur Herrn Berlusconi, die französischen Rechten und Linken oder die spanischen Grünen fragen. Oder die Briten. Oder Frau Wagenknecht.

 

Im Wohlfahrtsstaat erodiert das gesellschaftliche Miteinander

Neben der finanziellen und parlamentarischen, ist in den Wohlfahrtsstaaten Europas aber auch die fortschreitende gesellschaftliche Zerrüttung deutlich zu erkennen:

  • Eine dauerhaft angelegte Klientelpolitik führt gerade nicht zur Stärkung des Zusammenhalts in der Gesellschaft. Es werden ja systematisch und konsequent je nach den aktuellen parlamentarischen Machtverhältnissen Bürger instrumentalisiert und gegeneinander ausgespielt. Je knapper die Mittel werden, desto rücksichtsloser wird der Kampf um die Verteilungsmasse.
  • Sie können das in ganz Europa beobachten: Die Lega Nord würde den italienischen Süden am liebsten ganz unsolidarisch im Mittelmeer versenken. Die Südtiroler sind Italiens leistungsstärkste Melkkuh. Die FPÖ in Österreich vertritt seit Jahrzehnten so aggressiv wie erfolgreich die Interessen der einheimischen „kleinen Leute“ gegen die Großkopferten und die Ausländer. In Deutschland Ost fühlen sich nach 25 Jahren weltrekordverdächtiger Transferzahlungen aus Deutschland West immer mehr und mittlerweile sehr viele Menschen im Osten (!) als Opfer des westlichen Ausbeutungssystems (und wählen entsprechend). Dass die Ausländer bzw. Flüchtlinge uns unsere (!) Arbeitsplätze, Wohnungen, Sozialleistungen etc. wegnehmen, ist eh klar. Und in Katalonien können Sie gerne mal nachfragen, wie toll man dort das restliche Spanien findet.
  • Dass in der EU Solidarität und Zusammenhalt flächendeckend am Boden liegen, behauptet nicht nur Herr Varoufakis.

Kurz, klar und hart: Was den allermeisten Wohlfahrtsstaaten Europas und ihren Gesellschaften fehlt, ist die politische Fähigkeit, Probleme ehrlich und konsequent von der Ursache her anzugehen. Diese Gesellschaften haben offensichtlich keine Mechanismen, zu langfristig vernünftigen politischen Entscheidungen zu kommen. Alles, was ihnen einfällt ist Umverteilen, Schulden machen und das Geld anderer verbraten. Das funktioniert aber auf Dauer nicht. Echt nicht. Und genau deshalb haben so viele Bürger bei so vielen Themen Angst: Sie wissen oder spüren, dass wir zur Zeit nicht in der Lage sind, unsere gesellschaftlichen Probleme dauerhaft zu lösen.

Die Ursache dieser Symptome sind wir selbst

Zurück zur Politikerschelte: Ja, natürlich sind es „die Politiker“, die zunehmend wenig auf die Reihe kriegen. Über die Politikerschelte hinaus: Ja, wir sind es, die diese Politiker gewählt haben und wählen – solange sie uns finanzielle Vorteile versprechen. Und solange wir Bürger diesen Teufelskreis nicht durchbrechen, werden unsere Parlamente voll mit Abgeordneten sein, die dieses Klientelsystem verstehen und akzeptieren, die darin Karriere machen und Erfolg haben, die es festigen. Und die sonst Nichts können. Auch wenn es wehtut, lieber Leser, diese Diagnose muss ich noch vertiefen: Warum fällt es uns Bürgern eigentlich so schwer, diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Die liberale Antwort in aller Kürze:

  • Erstens sind wir nach jahrzehntelanger wohlfahrtsstaatlicher Gewöhnung, Entmündigung und Bevormundung entpolitisiert worden. Wir haben uns politisch eingelullt. Die allermeisten Wähler fühlen sich nicht für die eigentlich politische Aufgabe des Bürgers verantwortlich, Sicherheit und Freiheit aller zu sichern. Die allermeisten Wähler orientieren sich in der Wahlkabine an etwas anderem, nämlich am jeweils eigenen finanziellen Vorteil: Welche Partei verspricht mir unter dem Strich am meisten für mein Konto? Schauen Sie sich doch einfach mal die Kernthemen der Wahlkämpfe in Deutschland (und Europa) an – genau darum geht es doch in erster und zweiter Linie!
  • Diese Geisteshaltung ist sehr stabil und ausgesprochen resistent gegen liberale Argumente. Warum? Wir haben sehr gut gelernt, diesen wohlfahrtsstaatlichen Egoismus als soziale Gerechtigkeit zu verklären. Wir legitimieren sehr geschickt vor uns selbst und anderen das Streben danach, unsere Mitmenschen zu instrumentalisieren, als „edlen“ Ausdruck ausgleichender Gerechtigkeit: Die Reichen haben eh zu viel; die anderen haben Vorteile im Steuersystem, die ich auch haben möchte; da kriegt jemand Zulagen, die ich eigentlich auch kriegen sollte; starke Schultern sollen gefälligst mehr tragen als ich mit meinen schwachen; andere verdienen viel mehr als ich – obwohl ich auch fleißig bin; denen geht es nur besser als mir, weil sie Glück gehabt haben; denen im Westen geht es viel besser als uns armen Teufeln im Osten; die Deutschen sind nur so wohlhabend, weil sie uns arme Griechen systematisch ausbeuten ….. Wir alle kennen dieses Soziale-Gerechtigkeits-Bingo und die allermeisten spielen es konsequent mit! Kein Wunder, dass auf diesem Nährboden kindische Verschwörungstheorien gedeihen. Deren Grundmelodie ist immer die selbe: Die Anderen sind Schuld ….
  • Diese Geisteshaltung ist noch aus einem anderen Grund so schwer zu durchbrechen. Ich glaube dass die meisten Bürger sich nach jahrzehntelanger wohlfahrtsstaatlicher Gängelung und Entmündigung sehr schwer tun würden, ihr Leben wirklich in die eigenen Hände zu nehmen – mit allen Konsequenzen. Wir haben es einfach verlernt, in einem tiefen Sinne Verantwortung für das eigene Leben und unsere Gesellschaft zu übernehmen. Das wissen oder spüren die allermeisten Bürger – und haben deshalb Angst vor einem konsequenten Ausbruch aus dem wohlfahrtsstaatlichen Teufelskreis. Sie haben Angst vor der Freiheit! Wer zu lange in der Komfortzone verharrt, hat Angst vor Herausforderungen – auch dann, wenn sie eigentlich zu bewältigen sind.

Mein Fazit zum zweiten Teil der Analyse

Nach jahrzehntelanger wohlfahrtsstaatlicher Bevormundung, Entmündigung und Entselbständigung haben wir es als Gesellschaft und in vielen Fällen als Einzelpersonen verlernt, schwierige Probleme systematisch, entschlossen und mit Schwung anzupacken!

Genau das erklärt zu einem großen Teil, warum wir seit Jahrzehnten diese ganzen Angstdiskussionen führen – unabhängig vom jeweiligen Thema.

Wir haben es als vernunftbegabte Bürger und Wähler aber auch selbst in der Hand, die wohlfahrtsstaatlichen Entmündigungs- und Entfähigungsmechanismen Schritt für Schritt abzubauen und Verantwortung für unser eigenes Leben und unsere Gesellschaft zu übernehmen. Im nächsten Teil meiner Betrachtungen zeige ich auf, welche Möglichkeiten wir haben, wenn wir diese angstinduzierte Hilflosigkeit als Gesellschaft endlich überwinden.

 

PD Dr. Andreas Endmüller, 22.1.2016

References   [ + ]

1. Eine sehr lehrreiche aber auch sehr umfangreiche Darstellung liefert Jesus Huerta de Soto: Money, Bank, Credit, and Economic Cycles. Erste spanische Ausgabe 1998; erste englische Ausgabe: Ludwig von Mises Institute, 2006. Die anschaulichste Einführung in liberale Wirtschaftstheorie ist Henry Hazlitt: Economics in One Lesson. New York, 1946. Seither in vielen Ausgaben und Übersetzungen erschienen.

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