Teil 10: Internationale Politik und Nachrichtendienste

Deutschland ist keine isolierte Insel

Ob wir Handys und das Internet nutzen, Currywurst, Obst und Gemüse essen, Auto oder Fahrrad fahren, Medikamente oder Technologie benötigen, Kleidung oder Kosmetikartikel kaufen – wir nutzen dafür Rohstoffe, Wissen und fertige Produkte, die aus dem Ausland importiert werden. Umgekehrt baut unser Reichtum größtenteils auf unseren Exporten auf. Deutschland ist keine isolierte Insel. Deutschland ist eines von etwa 200 Ländern auf dieser Welt, mit denen es mehr oder weniger vernetzt ist, und von denen es mehr oder weniger abhängig ist – und umgekehrt. 

Mit den Waren, den Menschen und dem Know-How werden auch Gefahren transferiert. Das ist normal. So wie jede nützliche Technologie auch missbraucht oder von Kriminellen genutzt werden kann, kann jeder Weg von guten wie von schlechten Menschen beschritten werden. Diejenigen, die deshalb geschlossene Grenzen und Abschottung fordern, müssten konsequenterweise auch generell das Essen verbieten, weil man sich damit vergiften oder das Gehen untersagen, weil man stolpern könnte. Vernünftig ist dagegen, mögliche Gefahren zu erkennen und sich möglichst gut dagegen zu wappnen. 

  • Und so, wie wir auf medizinische Forschung und Erkenntnisse aus anderen Ländern angewiesen sind, so nutzen wir auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse anderer Länder.

Die Risiken sollen dadurch minimiert werden. Kein Nachrichtendienst der Welt, nicht einmal der US-amerikanische, kann die gesamte Welt überwachen, kann jede Gefahr aus jedem Land antizipieren. Die Globalisierung ermöglicht es zudem zahlreichen nichtstaatlichen Akteuren, auf den Plan zu treten. Das schwächt die Souveränität von Staaten (was durchaus Vorteile haben kann). Dagegen kämpfen nur totalitäre Staaten an, so wie derzeit China unter Inkaufnahme massiver Grundrechtsverletzungen.

Nach internationalem Recht ist eine wichtige Grundlage und Bedingung für staatliche Souveränität, dass man nicht nur sein eigenes Land schützen kann, sondern auch Verbündete vor Gefahren, die vom eigenen Staatsgebiet ausgehen.

  • So verlassen sich unsere Nachbarstaaten darauf, dass wir sie vor Gefahren warnen und auch eingreifen, falls nötig.1)Nach internationalem Recht hat Deutschland somit für die USA einen Teil seiner Souveränität mit dem 11. September verwirkt. Wir waren nicht in der Lage, die USA vor dieser Gefahr, die sich zunächst in Deutschland formiert und von hier aus agiert hat, zu warnen – ein rechtlicher Freifahrschein für US-Amerikaner, auf deutschem Boden nachrichtendienstlich aktiv zu werden.

Auch Nachrichtendienste leben nicht auf einer Insel

Wir haben bisher den Verfassungsschutz fast ausschließlich aus  deutscher Perspektive betrachtet. Aber diese Institution kann man, wie alle Sicherheitsbehörden, nicht mehr ohne den internationalen Kontext denken. Deutschland ist hier nur ein Knoten in einem großen Netzwerk. Alles hängt mit allem zusammen. So wie die Kriminalität transnational agiert, so kann auch deren Bekämpfung nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Und auch Extremisten schöpfen ihre Ideen aus dem Internet, trainieren an Waffen im Ausland, knüpfen international realweltliche sowie virtuelle Kontakte, kommunizieren mit globalen sozialen Netzwerken und besuchen Konzerte und Veranstaltungen weltweit.

In diesem Teil will ich deshalb folgender Frage nachgehen: 

  • Wie können nationale Sicherheitsbehörden Land und Leute in einer globalisierten Welt schützen?

Das internationale Recht und seine Begrenztheit

Terrorismusbekämpfung weltweit und internationale Einsätze? Das dürfte ja kaum schwerer sein als auf nationaler Ebene. Wozu gibt es das Internationale Recht oder Völkerrecht? Leider ist es nicht so einfach: Während wir auf nationaler Ebene einen Rechtsstaat haben, ist das international noch lange nicht der Fall. Hier gilt nach wie vor, salopp ausgedrückt, das Recht des Stärkeren, welches die Nationalstaaten mithilfe von Bündnissen und Interessengemeinschaften lediglich etwas berechenbarer gestalten. 

Das Völkerrecht selbst, das von der souveränen Gleichheit der Nationalstaaten ausgeht, befindet sich noch im Versuchs- und Aufbaustadium. Wir stehen erst am Beginn einer internationalen Ordnung. Sein Schönheitsfehler: Im Unterschied zum nationalen Recht ist es nicht verbindlich. 2)Genauer: Es ist nur auf freiwilliger Basis verbindlich. Eine Ahndung von Verstößen souveräner Staaten gestaltet sich aufgrund der souveränen Gleichheit der Staaten als schwierig. 

  • Der wesentliche Unterschied zwischen Völkerrecht und nationalem Recht besteht im Fehlen eines zentralen Gesetzgebungsorgans, einer umfassenden, hierarchisch strukturierten Gerichtsbarkeit und einer allzeit verfügbaren Exekutivgewalt zur konsequenten Durchsetzung völkerrechtlicher Grundsätze. 

Um verbindliches Recht zu haben, bräuchte man anerkannte Institutionen, die in der Lage sind, es durchzusetzen. Wir kennen international keine Sanktionsmöglichkeiten außer wirtschaftlichen Maßnahmen, z.B. Embargos – und die sind oft Ausdruck von Hilflosigkeit. Häufig sind sie sogar kontraproduktiv. Embargos schwächen in der Regel als erstes die betroffene Zivilgesellschaft und stärken somit teilweise das zu sanktionierende Regime.3)So führten die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak seit dem Golfkrieg 1991 zu einer stark erhöhten Kindersterblichkeit; das derzeitige Embargo gegen den Iran spürt u.a. als erstes die regierungskritische Künstlerszene. Der internationale Gerichtshof in Den Haag kann nur mit Staaten funktionieren, die ihn auch anerkennen. Das Völkerrecht kann einem Staat nicht aufgezwungen werden. Viele Staaten aber erkennen und schätzen den Nutzen des Völkerrechts als Koordinationsordnung für sich im Umgang mit anderen Staaten. Das Völkerrecht wird zur Lösung weltweiter gemeinsamer Probleme und als Grundlage der Koexistenz voraussichtlich und hoffentlich an Bedeutung gewinnen.

Die Konsequenzen für die Außenpolitik

Was bedeutet das für die Außenpolitik? Es bedeutet, dass sich die einzelnen Subjekte (die Staaten) auf der internationalen Bühne auf Grundlage der Vorstellung des „gemeinsamen Bewusstseins der Verwundbarkeit“ begegnen, als vermeintlich Gleiche, aber zugleich sehr Unterschiedliche.4)„The shared consciousness of vulnerability“ wurde in verschiedenen Schriften des sudanesischen Politik- und Rechtswissenschaftlers Abdullahi Ahmed an-Na‘im thematisiert. Hier begegnen sich Diktaturen, Präsidialregime, Monarchien und mehr oder weniger liberale Demokratien. Sie müssen hier miteinander umgehen, besonders wenn sie Nachbarn sind oder gemeinsame Interessen haben. In der internationalen Politik geht es daher fast ausschließlich um die Interessen einzelner Staaten. Die häufig genutzte Formulierung „befreundete Staaten“ ist irreführend, denn es gibt nur Staaten mit mehr oder weniger gemeinsamen und übereinstimmenden Interessen. Es liegt aber durchaus in unserem Interesse, uns für Menschenrechte in anderen Staaten einzusetzen. 

  • Je mehr Länder deren Gültigkeit durchsetzen, umso sicherer und stärker wird auch unser Rechtssystem. In eine Gemeinschaft von Rechtsstaaten eingebunden zu sein, stärkt unseren eigenen Rechtsstaat.

Als Beispiel kann das alte Dilemma mit Saudi-Arabien dienen: Verbündet man sich mit dem Königreich, obwohl es die Menschenrechte mit Füßen tritt? Hier könnte man natürlich einfach feststellen: Außenpolitik ist immer Interessenvertretung. Aber warum werden die eigenen Prinzipien gegen Interessen abgewogen? In der Tat können wir unsere Prinzipien nur wahren, wenn wir nicht existentiell bedroht sind. Das wären wir aber, wenn unsere Interessen nicht gewahrt würden. Was genau unsere Interessen sind, darüber kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. 

Darüber hinaus kommt es zu Interessenkollisionen. Im Fall Saudi-Arabiens werden diese meist auf eine einfache Formel reduziert: 

  • Saudi-Arabien produziert Erdöl (gut), aber auch Terror (nicht gut). 
  • Saudi-Arabien steckt seit Jahrzehnten Unsummen an Geld und Energie in die Verbreitung des Wahhabismus (mit Erfolg), aber auch in die Bekämpfung des hausgemachten Terrorismus (mit mäßigem Erfolg) und kann somit als eine der Hauptursachen des Siegeszugs des Islamismus angesehen werden. 
  • Andererseits garantiert es auch bedingt für Sicherheit und Stabilität in der Region. Bedingt, weil nicht absehbar ist, inwiefern der Kampf mit dem Erzfeind Iran um die regionale Vormachtstellung in der Region destabilisierend wirkt; weil der Krieg im Jemen, wo Saudi-Arabien Kriegsverbrechen begeht, noch lange nicht entschieden ist. Nach wie vor ist Saudi-Arabien aber in der Lage, dank Überproduktionskapazitäten an Erdöl, regulierend in den Weltmarkt einzugreifen. 

Bei jeder außenpolitischen Frage sollten also stets alle Interessen gegeneinander abgewogen werden. Eine Entscheidungsfindung geht hier über eine Ermessensabwägung. Es wird deshalb auch keine richtige und keine falsche Antwort auf die meisten Fragen geben (z.B. ob man Waffen an Saudi-Arabien liefern solle, im Kampf gegen den Terror zusammenarbeitet etc.). Macht man dies transparent, wäre zumindest der Vorwurf der doppelten Standards entkräftet.

Ein weiteres Beispiel sind die USA – eigentlich ein „befreundeter“ Staat. Spätestens die Amtszeit Trumps hat aber eine gewisse Werte-Entfremdung verdeutlicht. Sie hat gezeigt, wie sehr der fundamentalistisch-christliche und national-anarchistische Spuk der Tea-Party-Bewegung den liberalen Geist erstickt hat. 

  • Dennoch haben die USA uns immer wieder geholfen, Anschläge zu verhindern (gut), indem sie uns mit präzisen Informationen versorgt haben (gut), die sie mit Methoden und unter Bedingungen erlangt haben, die hier in vielen Fällen nicht legal wären (nicht gut). Aber immerhin nicht auf unsere Kosten, sondern mithilfe amerikanischer Steuergelder (kurzfristig gut). 

Spätestens hier sollte man stutzig werden: Ausgerechnet die USA, einer der meistverschuldeten Staaten, hilft uns?  Vor der naheliegenden Frage nach der Gegenleistung, sollten wir auch fragen: Warum sind deren Prioritäten so anders als unsere, warum investieren sie so viel mehr Geld in Sicherheit als wir? Mit schlechterem Ergebnis übrigens – das Leben in den USA ist insgesamt weniger sicher als hier. Stützen wir mit unserer Abhängigkeit von amerikanischen Informationen nicht dieses sehr ungute System, welches darin besteht, die US-amerikanische Staatsverschuldung durch Konflikte weltweit auszugleichen? Damit finden sie nämlich sowohl einen Absatzmarkt für ihre überdehnte Rüstungsindustrie (die außerhalb des Silicon Valley der letzte verbliebene Exportschlager ist … zumindest der letzte, der dem Staat Geld bringt), als auch eine Beschäftigung für ihre Armee, die als soziales Auffangbecken dient.5)Das erklärt auch, warum sie sich eine riesige, aber sehr schlechte Armee leisten, die seit 1945 außer dem viertägigen Eingriff in Grenada keinen Konflikt mehr gewonnen hat Zudem wird der Dollar damit als stabile Währung garantiert. 

Daraus ergeben sich diese Fragen:

  • Sollten wir nicht endlich anfangen, uns Europäer als Schicksalsgemeinschaft zu verstehen und Geld in die Hand nehmen, um einen gemeinsamen Sicherheitsapparat aufzubauen? 
  • Wäre das nicht besser, als einzeln auf die USA zu vertrauen und in Abhängigkeiten zu verharren? 

Sicher, das hätte seinen Preis. Aber langfristig wird der Preis der abhängigen Schwäche ein höherer sein. Wir sollten uns auf den Aufbau einer starken EU konzentrieren (nach dem föderalen Prinzip), wenn uns unser Rechtsstaat etwas wert ist. Trotzdem können wir die Beziehung zu den USA nicht ganz kappen, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Denn was könnte passieren, wenn 2022 Marine Le Pen französische Präsidentin würde? Das sind nur auszugsweise Gedankengänge, um zu verdeutlichen, dass internationale Politik nie so einfach und unilateral ist, wie viele Bürger es gerne hätten.

Wir haben Fortschritte gemacht

Wer jetzt ernüchtert ist, sollte sich auf die positiven Aspekte besinnen: Immerhin hat die Welt große Fortschritte erzielt. Frieden im heutigen Sinne gibt es erst seit Kurzem. Viele Jahrhunderte lang war Frieden nur durch personenbezogene Bündnisse, Heiratspolitik und Waffenstillstandspakte zu erlangen.6)Siehe https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/frieden-oder-unterwerfung/ 

Staaten handelten wie Räuberbanden. So gab es bis vor zweihundert Jahren in Europa noch staatlich genehmigte Piraterie: Insbesondere Großbritannien, die Hansestädte, Frankreich und die USA stellten Kaperbriefe aus, also Freibriefe, um die Handelsschiffe anderer Staaten auszurauben. Wir müssen zugeben, jetzt einen guten Schritt weiter zu sein. 

  • Das internationale Recht ist vergleichbar mit einem Nichtangriffspakt, den wir aus der Einsicht heraus schließen, jeweils verwundbar zu sein. 

Weil wir in einer gemeinsamen Welt leben und kein Inseldasein führen, müssen wir mit Staaten kooperieren, die fast nie unsere Standards in Bezug auf Datenschutz, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit haben.7)Wäre unser Datenschutz eine Bedingung, könnten wir mit keinem Land der Welt kooperieren, da er nirgendwo höher angelegt ist als in Deutschland.

Die internationale Zusammenarbeit der Nachrichtendienste

Und genau so funktioniert auch die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste. 

  • Deren Hauptaufgabe in einem demokratischen Staat ist der Schutz der eigenen Bürger. 
  • Eine weitere Aufgabe ist der Schutz anderer Staaten. 

Wenn bei uns Menschen leben, die einen Anschlag auf einen anderen Staat planen, so müssen wir eingreifen und es zu verhindern versuchen. Dafür wird Deutschland auch von anderen Staaten geschützt.

Natürlich ist diese internationale Kooperation nicht ganz unproblematisch. Der Vorwurf der Kooperation mit Staaten, die die Menschenrechte nicht achten, kehrt in regelmäßigen Abständen wieder. Es lohnt sich deshalb, ein fiktives (aber realistisches und so ähnlich auch real vorgekommenes) konkretes Szenario durchzuspielen:

  • Stellen Sie sich vor, der Geheimdienst des fiktiven Landes Despotistan, welches die Menschenrechte nicht sonderlich achtet, informiert über fünf Landsleute, die sich auf dem Weg nach Deutschland befinden. 
  • Ihr Ziel ist es, Anschläge auf Kindergärten zu begehen. 

Die Information könnte natürlich unter Folter gewonnen worden sein. Deshalb ist eine geheimdienstliche oder polizeiliche Information aus einem solchen Staat nicht gerichtsverwertbar. Das ist auch gut so. 

  • Aber soll der deutsche Nachrichtendienst diese Information ignorieren? Wegschmeißen? So tun, als hätte er nie davon gehört? 

Sollte sich das geschilderte Szenario bewahrheiten, so würden Kleinkinder getötet und der Herrscher Despotistans würde im Nachhinein der Presse mitteilen, er hätte uns ja gewarnt. In so einem Fall möchte ich nicht in einer deutschen Sicherheitsbehörde sein. 

  • Eine solche Information wird also weitergegeben und bewertet. Je nach Gefährdungsbewertung werden durch Polizei und die Nachrichtendienste auch Maßnahmen getroffen. 

In solchen Fällen gibt es keine Patentrezepte, sondern nur wieder sorgfältiges Abwägen. Jeder Fall muss einzeln betrachtet werden. Es ist also wie immer etwas differenzierter: 

  • Deutsche Sicherheitsbehörden kooperieren nicht mit Diktaturen – aber sie können den Informationsaustausch nicht kategorisch ablehnen.

Wie in der Welt der Diplomatie, so treffen auch bei Nachrichtendiensten unterschiedliche Kulturen aufeinander. Nicht zuletzt deshalb versuchen demokratische Staaten die Verwertung ihrer Informationen an Bedingungen zu knüpfen: 

  • Die auf Grundlage der Informationen getroffenen Maßnahmen mögen bitte in Übereinstimmung mit den internationalen Menschenrechten, einschließlich der Konvention gegen Folter und anderer grausamer, inhumaner oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung getroffen werden. 

Neben dieser floskelhaften Selbstversicherung mag aus deutscher Sicht folgende Bitte schon skurril erscheinen: 

  • No lethal action may be taken on the basis of this information. (Diese Information soll nicht dazu dienen, Tötungsaktionen zu legitimieren). 

Der Hinweis belegt aber, dass andere Staaten diese Option nutzen. Während also einige Geheimdienste dieser Welt Tötungsaktionen planen und durchführen, prüft der deutsche Verfassungsschutz, ob die rechtliche Grundlage für eine Speicherung von Daten zur Person (als schwerer Grundrechtseingriff) gegeben und ausreichend ist. Das mag etwas überspitzt klingen, bringt aber die Unterschiede auf den Punkt. 

Nachrichtendienste müssen sich an die „Spielregeln“ halten

Der Informationsaustausch kann nur funktionieren, wenn sich alle an die Regeln halten. 

  • Wenn die USA uns z.B. eine als geheim eingestufte Information zukommen lassen, dürfen wir sie nicht offenlegen. Damit könnten wir deren Quellen und Informationsgewinnung gefährden. 

Hält man sich nicht an die Regeln, bekommt man auch keine Informationen mehr. 

  • So haben die USA vor einigen Jahren sehr genau registriert, dass in den Untersuchungsausschüssen zum NSU als geheim eingestufte Materialien an die Öffentlichkeit gingen. Als kurz darauf ein deutscher Staatsbürger in Afghanistan entführt wurde, halfen die US-Amerikaner ausnahmsweise nicht. 

Zufall? 

  • Kein Zufall war der faktische Ausschluss des österreichischen Verfassungsschutzes aus der vertraulichen Zusammenarbeit der Nachrichtendienste, nachdem das FPÖ-Innenministerium ihn im Rahmen einer Razzia (!) durchsuchen ließ. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass

  • bei uns schon mehrere Anschläge dank der Hilfe ausländischer Nachrichtendienste verhindert werden konnten, 
  • andere Staaten helfen und einspringen, wenn deutsche Geiseln genommen werden … etc. 

All das gefährden wir, wenn wir uns nicht an die „Spielregeln“ halten.

Das Fazit

Die meisten Bundesbürger sind in einem freiheitlichen Rechtsstaat aufgewachsen. Deshalb ist es für viele kaum vorstellbar, dass auf internationaler Ebene kaum Gesetze gelten. Tatsächlich verharren wir auf globaler Ebene noch in einem Rechtsstatus, der nicht weit von dem der Antike entfernt ist, wenngleich es gewaltige Anstrengungen gibt, um international wirksame Sanktionsmöglichkeiten zu entwickeln: Die UNO, das internationale Recht bzw. Völkerrecht, das Internationale Tribunal in Den Haag. 

Bisher handelt es sich zwar um real tätige Behörden und um Plattformen, die einen Verhandlungsrahmen bieten. Allerdings sind sie mehr noch Konzepte für die Zukunft. Es werden sicher noch viele Jahrzehnte vergehen, bis sie verbindliches Recht darstellen. Und vielleicht wird das nie der Fall sein, sondern eher auf der Grundlage einer Art freiwilliger Vereinbarung funktionieren. Angesichts der nicht ganz unbegründeten Ängste vor einer totalitären Weltherrschaft ist diese Zwischenlösung vielleicht sogar das vernünftigere Ziel.

Wenn wir in einer vernetzten Welt bestehen und überleben wollen, müssen wir uns an die Regeln halten, die für alle Subjekte aus einem gemeinsamen Interesse heraus gelten. In einer vernetzten Welt sind wir abhängig von Informationen anderer Nachrichtendienste. Wir sollten uns aber nicht zu sehr auf Partner verlassen. Das Dilemma der Abhängigkeit wurde gerade in den letzten Jahren in Bezug auf die USA offenkundig. Gerade die Entwicklungen der USA unter der Trump-Regierung haben deutlich vor Augen geführt, wie fragil eine solche Partnerschaft sein kann. Da mögen die Bürger noch so sehr den eigenen Diensten misstrauen – vor die Wahl gestellt, ihre Sicherheit in die Hände der eigenen oder ausländischer Nachrichtendienste zu legen, dürften sich die meisten für das „kleinere Übel“ entscheiden. 

Judith Faessler, 28. Februar 2021

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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References   [ + ]

1. Nach internationalem Recht hat Deutschland somit für die USA einen Teil seiner Souveränität mit dem 11. September verwirkt. Wir waren nicht in der Lage, die USA vor dieser Gefahr, die sich zunächst in Deutschland formiert und von hier aus agiert hat, zu warnen – ein rechtlicher Freifahrschein für US-Amerikaner, auf deutschem Boden nachrichtendienstlich aktiv zu werden.
2. Genauer: Es ist nur auf freiwilliger Basis verbindlich. Eine Ahndung von Verstößen souveräner Staaten gestaltet sich aufgrund der souveränen Gleichheit der Staaten als schwierig.
3. So führten die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak seit dem Golfkrieg 1991 zu einer stark erhöhten Kindersterblichkeit; das derzeitige Embargo gegen den Iran spürt u.a. als erstes die regierungskritische Künstlerszene.
4. „The shared consciousness of vulnerability“ wurde in verschiedenen Schriften des sudanesischen Politik- und Rechtswissenschaftlers Abdullahi Ahmed an-Na‘im thematisiert.
5. Das erklärt auch, warum sie sich eine riesige, aber sehr schlechte Armee leisten, die seit 1945 außer dem viertägigen Eingriff in Grenada keinen Konflikt mehr gewonnen hat
6. Siehe https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/frieden-oder-unterwerfung/
7. Wäre unser Datenschutz eine Bedingung, könnten wir mit keinem Land der Welt kooperieren, da er nirgendwo höher angelegt ist als in Deutschland.

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