Frieden oder Unterwerfung?

Bedeutet „Islam“ nun Frieden oder soll es mit Unterwerfung übersetzt werden? Beides hört und liest man regelmäßig. Dabei geht es weniger um die Bedeutungslehre, als um deren politischen Instrumentalisierung: Die einen sind der Überzeugung, der Islam sei eine Religion des Friedens und berufen sich natürlich auf erstere Bedeutung,1)http://zentralrat.de/28137.php die anderen belegen mit der zweiten Bedeutung das angeblich antidemokratische Wesen des Islams.2)http://www.deusvult.info/LeisteLuegeundWahrheit.htm Man könnte beides als Wortmagie abtun und sich lieber die theologische und historische Realität anschauen. Und dennoch sind solche vereinfachenden und vermeintlichen Beweisführungen sehr beliebt und verbreitet. Aber ignorieren kann man die Anhänger einer auf die Realität abfärbenden Semantik nicht mehr, da ihre Lehrmeinungen inzwischen Eingang in den Schulunterricht gefunden haben: Beispielsweise bekommen Schüler im Fach Ethik gelehrt, Islam bedeute Frieden und zeitgleich lernen sie im Erdkunde-Unterricht, Islam sei mit Unterwerfung zu übersetzen.

Was sagt die Linguistik?

Tatsächlich kann man den Begriff Islam „ungefähr“3)Das ist eine Anspielung auf die „ungefähre Bedeutung des Koran in deutscher Übersetzung“. Zahlreiche gläubige Muslime vertreten die Auffassung, der Koran sei unübersetzbar. Eine Übersetzung könne nur eine ungefähre Bedeutung des Ursprungstexts ergeben. Tatsächlich sind Übersetzungen bei mehrdeutigen, alten und in Reimprosa verfassten Texten besonders schwierig, allerdings kann es ganz allgemein kaum eins-zu-eins-Übersetzungen geben. und dennoch ziemlich genau mit Unterwerfung übersetzen, im mittelalterlichen Sinne von Befriedung – womit wir wieder beim Frieden wären. Und dennoch liegen beide Positionen nicht richtig.

Wen die Linguistik nicht interessiert, der kann diesen und den folgenden Absatz getrost überlesen. ´islām und salām (das bedeutet wirklich Frieden) haben dieselbe arabische Wurzel. Manchen genügt dies schon als Beleg für die gleiche Bedeutung. Diese vereinfachende, volksetymologische Erklärung ist aber leider falsch. Die deutschen Begriffe wissen und sehen beispielsweise gehen auf dieselbe indogermanische Wurzel zurück, haben dennoch sehr unterschiedliche Bedeutungen. Im Arabischen sind die Wortverwandtschaften nur offensichtlicher. Die arabische Sprache kennt 28 Konsonanten, die in unterschiedlichen, meist Dreier-Kombinationen verschiedene Verben und damit als „Radikale“ den Grundstock der arabischen Lexik bilden. So haben etwa die Radikale k, t und b in genau der Reihenfolge die Grundbedeutung „schreiben“. Die Grundformen können durch innere Umbildungen und Präfixe erweitert werden. Diese bis zu 15 verschiedenen Stämme unterscheiden sich zudem durch bestimmte Bedeutungsaspekte. Der 2. Stamm unserer Radikale ktb, ergibt dann kattaba, „schreiben lassen“, der 3. Stamm (kātaba) „korrespondieren“, der 4. Stamm (´aktaba) „diktieren“, usw. Also sehr unterschiedliche Bedeutungen, die aber alle mit der Grundbedeutung „schreiben“ in Verbindung stehen. Genau diese Korrelation ist aber nicht immer auf Anhieb nachvollziehbar, wie bei Islam und Frieden: salām übersetzt man mit „Frieden“ und ist ein deriviertes Nomen des 3. Stammes der Radikale slm, ´islām dagegen bedeutet „Hingabe, Ergebung, Unterwerfung“. Das arabisch-deutsche Wörterbuch des Hans Wehr ergänzt und interpretiert hier: „Hingabe (an Gott), Ergebung (in Gottes Willen)“. Determiniert bedeutet ´islām natürlich Islam, und leitet sich aus dem 4. Stamm (´aslama) ab.4)Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch-Deutsch, 5. Auflage. Wiesbaden 1985

Der sprachliche Bezug zwischen Islam und Frieden

  • Das genannte Wörterbuch gibt für die Wurzel slm folgende Bedeutungen an: „wohlbehalten, unversehrt, heil, unbeschädigt, intakt sein; einwandfrei sein; gesichert, klar erwiesen sein; frei sein(von); entrinnen (einer Gefahr)“.
  • Für den 2. Stamm (sallama) gibt es an: „unversehrt erhalten, erretten, unversehrt übergeben, aushändigen, ausliefern, liefern… (Waffen) strecken, sich ergeben, sich unterwerfen“.
  • Im 3. Stamm (sālama): „Frieden halten, sich versöhnen, Frieden schließen“.
  • Im 4. Stamm (´aslama) nun: „überlassen, übergeben, ausliefern, überantworten, anheimgeben, verlassen, im Stiche lassen, preisgeben, verraten, sinken lassen (den Kopf auf die Knie), sich ergeben, sich hingeben (Gott), sich Gott ausliefern, sich in den Willen Gottes ergeben, d.h. Muslim werden, den Islam annehmen“.
  • Im 6. Stamm (tasālama): „sich miteinander versöhnen, miteinander Frieden schließen“.
  • Im 8. Stamm (´istalama): „in Empfang nehmen, empfangen, erhalten, übernehmen, Besitz ergreifen“.
  • Schließlich der 10. Stamm (´istasalama), „sich unterwerfen, sich ergeben, kapitulieren, sich überlassen, sich hingeben, sich hergeben, erliegen“.

Der antike Frieden und die Unterwerfung

Die Bedeutungen scheinen sehr weitgefächert, das liegt aber nur daran, dass die deutsche Sprache keine Übersetzung eins-zu-eins bietet: Um die Spannbreite der Bedeutungen zu übertragen, benötigt man viele Begriffe, für deren Übertragung ins Arabische man wiederum ebenso viele Begriffe benötigte. Zudem entstehen und entwickeln sich Sprachen in einem spezifischen kulturellen und historischen Kontext, den sie auch spiegeln und in sich tragen. Es wäre anachronistisch, die heutige Bedeutung Frieden in den vermutlichen Entstehungskontext zu projizieren. Der vermutliche historische Kontext war eine antike und in Stammesverbänden organisierte Gesellschaft. Nun kann man trotz der heutigen Bedeutung des Wortes salām bei der hier genannten Bedeutungswolke zumindest eine bellizistische Konnotation nicht leugnen. Berücksichtigt man den historischen und gesellschaftlichen Kontext, so stehen plötzlich die Bedeutungen in einem logischen Zusammenhang zueinander. Denn Frieden in der Antike, erst recht in einer archaischen Stammesgesellschaft ist bestenfalls gleichbedeutend mit Waffenstillstand, wie auch einige der Übersetzungen andeuten. Und das ist schon moderner als bei den alten Ägyptern und Mesopotamiern, die sich unter Frieden kein politisches Einvernehmen vorstellten, sondern nur die Unterwerfung eines Volkes durch ein anderes kannten. Frieden war dann die Ordnung nach der Eroberung, nach dem Krieg. Frieden galt bis vor Kurzem noch als Gesetz, als Kontrapunkt zur Gesetzlosigkeit. Ein Waffenstillstand ist ein Vertrag, dem sich die Frieden schließenden Parteien ergeben. Hier verlieren die Übersetzungen „Ergebung“ und „Unterwerfung“ den für Zeitgenossen häufig negativen Anklang, denn wir sehen alle ein, dass wir uns dem einen oder anderen Gesellschaftsvertrag zu fügen haben. Insofern ergibt sich auch der moderne deutsche Bürger dem Grundgesetz der Bundesrepublik. 

Hier kristallisiert sich gerade der Zusammenhang zwischen Islam und Frieden heraus: Tatsächlich gebührt den Akteuren des frühen Islam die historische Leistung der Einigung jahrhundertelang zerstrittener und in Dauerfehde liegender Stämme unter dem „Banner des Islam“. Also bedeutete dieses „Ergeben“ unter „das göttliche Gesetz“ für die sich Ergebenden, bzw. die Unterworfenen zunächst tatsächlich Frieden. Andererseits sollte man sich keinen modernen Frieden, sondern eher eine „Pax Islamica“ darunter vorstellen. Dies kann man auch im Deutschen sprachlich wiedergeben: Die von Muslimen eroberten Gebiete waren aus muslimischer Sicht „befriedete“ Gebiete.

Der Bedeutungswandel verlief im Deutschen sehr ähnlich: Friede bezeichnete zunächst eine Rechtsordnung als Grundlage für eine Gemeinschaft, später dann einen Waffenstillstand. Außerhalb der Einfriedung, des „Burgfrieds“ beispielsweise, der eingezäunten Ordnung, waren die Menschen nicht vor Willkür geschützt.

Warum die Bedeutung allein noch nicht das Wesen verändert

Diese Bedeutung ist noch lange nicht obsolet, sondern durchaus nach wie vor lebendig, zum Beispiel in der wahhabitischen und salafistischen Rhetorik. Einige Salafisten versagen allen Nichtmuslimen den schönen Gruß salām `aleykum (Friede sei mit Euch), da dieser angeblich ausschließlich Muslimen vorbehalten sei. Glücklicherweise sehen das die meisten Muslime nicht so eng. Wer also den Frieden-Islam für sich in Anspruch nimmt, muss ihn nicht absolut meinen und wird allein dadurch keinen Frieden schaffen. Selbst das Terror-affine, bis 2007 aktive „Islamische Informationszentrum Ulm“ kann hinter der Losung „Islam ist Frieden“ in der ursprünglichen Bedeutung stehen, ohne sich zu verstellen. Ein Aufkleber mit diesem Motto zierte die Eingangstür ihrer Liegenschaft.5)Sie wären nicht die ersten und auch nicht die letzten, die den Begriff Frieden für ihre Zwecke gebrauchen: Für die SED war Frieden die zentrale Kampfparole; alles, was dem westlichen Imperialismus Schaden zufügte, diente dem „Frieden“. Der Aufkleber stammte übrigens von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş, welche eine gerechte Ordnung (adıl düzen) anstrebt und die mit dem Westen gleichzusetzende schlechte, nichtige Ordnung (batıl düzen) bekämpfen will. 

Die Verfremdung des zeitgenössischen Blicks

Ich stelle mir den frühen Islam überwiegend als einen nicht sonderlich einengenden gesetzlichen Überwurf (ein sehr flexibles gesetzliches Band) vor, das es vermochte, sehr unterschiedliche Völker zu einen. Hinzu kam ein (im Sinne Émile Durkheims) gemeinschaftsstiftendes Konvolut aus Regeln und Riten. Von Spiritualität im heutigen Sinne kann man bei antiken Religionen ohnehin nicht sprechen. Viele heutige Interpretationen der Frühzeit irren, sind Anachronismen und ignorieren den historischen Kontext. Folgende Herleitung beispielsweise versucht Frieden und Unterwerfung zu verbinden, lädt den Begriff aber mit einer neumodischen und individualistischen Spiritualität auf, die der Antike vermutlich fremd war:

  • Die Muslime nennen ihren Glauben Islam. Das arabische Wort Islam bedeutet so viel wie ‚Erlangung von Frieden durch Unterwerfung unter Allah‘. Das Wort Muslim wird abgeleitet vom Substantiv Islam und bedeutet‚ jemand, der durch seine Unterwerfung unter Allah zu vollkommenem Frieden gelangt ist‘.“6)Ahmad Kamil Darwish: Was ist Islam. Islamisches Zentrum München, 1985, S. 4

Islam ist eine Weltreligion, weder Frieden noch Unterwerfung

Nun wandern Begriffe durch die Jahrhunderte und werden mit Bedeutungen aufgeladen, bepackt, dann wieder entladen. Einige Bedeutungen gehen verloren. Andere wandeln sich. Begriffe tradieren historischen Ballast. Wir können aber nicht beliebig Bedeutungen ausblenden, die uns nicht gefallen, sonst würden wir die Sprache verstümmeln und hätten am Ende unterschiedliche Sprachen: für dieselben Idiome andere Inhalte – ein wahres Babylon. Genau das passiert aber, wenn die einen Islam zum Synonym von Frieden erklären und die anderen es mit Unterwerfung übersetzen. Denn Islam ist weder das eine noch das andere: Islam ist heute eine Weltreligion mit über einer Milliarde Anhänger. Das ist jenseits der Etymologie – so interessant und berechtigt sie sein mag – die eigentliche Bedeutung, die man in jedem Wörterbuch und jeder Enzyklopädie nachlesen kann.

Und wie steht die Weltreligion zum Frieden?

Und wie steht der Islam nun zum Frieden? Jede Religion kann friedlich gelebt werden, trägt aber auch den Keim des Unfriedens in sich. Das hat die Geschichte zur Genüge bewiesen. Alle wichtigen Religionen sind ambivalent interpretierbar. Unabhängig davon ist die Frühzeit des Islam noch nicht gut erforscht. Vieles liegt nach wie vor im Dunkeln.

  • War der frühe Islam überhaupt schon eine eigenständige Religion?
  • Waren die frühen Muslime christliche Antitrinitarier?

Für diese Thesen gibt es Hinweise. Man weiß es (noch) nicht. Aber das ist ein anderes Thema. Insofern ist dem Frieden mehr gedient, wenn Menschen des 21. Jahrhunderts sich dem Grundgesetz unterwerfen und sonst nur ihrem Gewissen. Und die Säkularisierung Religionen von staatlicher Macht fernhält.

Judith Faessler, April 2012, überarbeitet im November 2018.

 

Über mich

Ich wurde 1971 in Genf (Schweiz) geboren, besuchte den Kindergarten in Kalifornien, verbrachte meine gesamte Schulzeit in Frankreich und studierte Orientalistik in München. Seit vielen Jahren habe ich nun zwei Hauptaufgaben, denen ich fast meine gesamte Wachzeit widme: Die Befassung mit Extremismus und der Versuch, zwei Kinder (männlich) großzuziehen.

References   [ + ]

1. http://zentralrat.de/28137.php
2. http://www.deusvult.info/LeisteLuegeundWahrheit.htm
3. Das ist eine Anspielung auf die „ungefähre Bedeutung des Koran in deutscher Übersetzung“. Zahlreiche gläubige Muslime vertreten die Auffassung, der Koran sei unübersetzbar. Eine Übersetzung könne nur eine ungefähre Bedeutung des Ursprungstexts ergeben. Tatsächlich sind Übersetzungen bei mehrdeutigen, alten und in Reimprosa verfassten Texten besonders schwierig, allerdings kann es ganz allgemein kaum eins-zu-eins-Übersetzungen geben.
4. Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch-Deutsch, 5. Auflage. Wiesbaden 1985
5. Sie wären nicht die ersten und auch nicht die letzten, die den Begriff Frieden für ihre Zwecke gebrauchen: Für die SED war Frieden die zentrale Kampfparole; alles, was dem westlichen Imperialismus Schaden zufügte, diente dem „Frieden“.
6. Ahmad Kamil Darwish: Was ist Islam. Islamisches Zentrum München, 1985, S. 4

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