Teil 11: Widerstand

Unterschiedliche Akteure haben in letzter Zeit immer wieder zum Widerstand gegen die Corona-Diktatur aufgerufen. Ich will mich damit gar nicht lange aufhalten, denn das Infektionsschutzgesetz ist tatsächlich eine Art Notstandsgesetz.

  • Es regelt einen gefährlichen Zustand mit dem Ziel, die Gefährdung der Bevölkerung zu minimieren.
  • Dabei werden kurzfristig unter Anleitung von Fachleuten bestimmte Grundrechte eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt.

Da es an die Entwicklung der Pandemie gebunden ist, kann es juristisch mit einer Straßensperrung (Einschränkung der Bewegungsfreiheit) während eines ärztlichen Notfalleinsatzes oder der Nachrichtensperre während eines laufenden Polizeieinsatzes verglichen werden. Auch hier werden Grundrechte jeweils zeitlich begrenzt außer Kraft gesetzt. Aber natürlich befinden wir uns trotz der zeitweiligen Außerkraftsetzung von Grundrechten nicht in einer Diktatur.

Diktatur BRD?

Auf diesen Zug springen auch Menschen auf, die weit über die Corona-Beschränkungen hinaus eine Diktatur und Gewalt der amtierenden Regierung gegen uns zu sehen meinen und hinter allem einen weitreichenden Plan vermuten.1)„Meininger Erklärung“ der „Forke und Schaufel“: https://www.forkeundschaufel.vom/meininger-erklärung. Gesichtet am 22.01.2021. Und schon vor der pandemiebedingten Einschränkung der Grundrechte gab es Leute, die die Bundesrepublik als Diktatur bezeichneten, sich im Widerstand wähnten und dazu aufriefen, Widerstand zu leisten. 

Besonders nach der sogenannten Flüchtlingskrise gab es ein Aufflammen des rechtspopulistischen bis rechtsextremistischen Diffamierungsdiskurses, der vorgab, die Demokratie zu verteidigen, sie gar wiederherstellen zu wollen und die Bundesrepublik als Diktatur bezeichnete oder des Rechtsbruchs oder des Unrechts bezichtigte. Neu ist das allerdings nicht. Schon als Jugendliche fand ich die Selbstbezeichnung eines Großteils der sogenannten Antifa infam:

  • Damit wird schlicht und einfach der Faschismusbegriff auf die derzeitige Demokratie ausgeweitet – und damit deren Bekämpfung als Bekämpfung des „Faschismus“ geadelt („der Kampf zur Überwindung des kapitalistischen Systems“, um deren eigenen Worte zu nutzen). 

Diese Selbstinszenierung als heldenhafte Widerstandskämpfer mag in einer pubertären Lebensphase ja ganz attraktiv sein. Es mutet allerdings nicht sonderlich heldenhaft an etwas zu bekämpfen, das zugleich von Polizei und Verfassungsschutz bekämpft wird – was nicht gegen zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts spricht. 

Schließlich ist das Ganze eine unglaubliche Verharmlosung der NS-Diktatur. Eine Einsicht, die sich glücklicherweise so langsam durchsetzt, seit auch Querdenker diese Strategie übernehmen.2)Als Beamtin eines antifaschistischen Staates und liberalen Grundwerten verpflichtet, habe ich nichts gegen zivilgesellschaftliches Engagement gegen Faschismus, solange es nicht selbst mit faschistischen Methoden agiert und die Zielsetzung klar demokratisch ist. 

  • Leider muss man es erwähnen: Opposition und Protest in Demokratien ist nicht zu vergleichen mit dem Widerstand gegen Diktaturen. 

Als Enkelin anerkannter Antifaschisten hatte ich immer eine besondere Sympathie und Bewunderung für den Widerstand gegen Diktaturen.3)Meine Großmutter hatte als Sozialdemokratin unter Lebensgefahr Widerstand gegen die NS-Diktatur geleistet. 

  • In Demokratien ist Opposition und Protest vom System vorgesehen und genießt deshalb staatlichen Schutz! 

Demokratien bieten eine Unmenge legaler Möglichkeiten, die eigene Meinung zu äußern, Protest auszuüben, Unmut zu bekunden und Kontra zu geben. Außerdem begrüße ich Zivilcourage, lehne Duckmäusertum ab und möchte jeden ermutigen, seine Stimme zu erheben. Die Grenzen sind wie immer erst da, wo sie die Grundrechte anderer einschränken und wo ziel- und zweckgerichtetes antidemokratisches Verhalten nachweisbar ist.

Aber: Demokratien schützen im Gegenzug nicht vor Gegenwind. 

  • Wer eine Meinung äußert, muss auch mit Gegenmeinungen rechnen und unliebsame Reaktionen über sich ergehen lassen. 

Auch das ist kein Anzeichen für eine Diktatur, sondern für eine lebendige Demokratie. 

  • Demokratie ist kein statisches System, sondern ein Mitmach-Projekt. 
  • Man muss damit leben, dass andere auch mitmachen. Jede Generation muss sich dafür einsetzen, Schwachstellen beseitigen, Kritik üben statt bekämpfen, streiten statt zerstören, überzeugen statt überwältigen, verhandeln und Kompromisse schließen statt übervorteilen.

Was ist Widerstand?

Unter Widerstand verstehe ich hier weder die Behinderung staatlicher Organe oder den Straftatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, sondern ich meine die Aufhebung einer Gehorsamsverpflichtung gegenüber einer Ordnung und den politischen Widerstand gegen diese Ordnung (wobei der Begriff Gehorsam hier nicht im allgemeingebräuchlichen Sinn zu verstehen ist).

Wann ist Widerstand legitim?

Für philosophische Vertragstheoretiker wie Hobbes oder Locke erlischt die Gehorsamsverpflichtung  gegenüber dem Staat dann, wenn dieser seine eigentliche Funktion für die Bürger (Sicherheit, Freiheit, Infrastruktur …) nicht mehr gewährleisten kann. Natürlich heben einzelne Dysfunktionalitäten gegen die man noch klagen kann, die Gehorsamsverpflichtung nicht auf. Ein Widerstandsrecht gegen Einzelmaßnahmen schließt auch Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes aus:

  • Art. 20 Absatz 4 des Grundgesetzes – Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. – hebt das Recht auf Widerstand in den Verfassungsrang. 

Verfassungsrechtler monieren allerdings schon immer die Paradoxie des Artikels: So lange das Grundgesetz gilt, dürfte es keinen Anlass zum Widerstand geben; wäre das Grundgesetz außer Kraft gesetzt, gälte auch Art. 20 GG nicht mehr. 

In klassischer Bedeutung umfasst das Widerstandsrecht die Legitimation des Tyrannenmords: Der Diktator verliert allein schon aufgrund seiner brutalen Herrschaft seine Legitimation. So sind die Attentate auf Hitler Paradebeispiele für legitimen Widerstand. Aber auch die bisher wirkungslosen, weil möglicherweise zu schwachen oder von einer Minderheit getragenen Proteste gegen die systematische Beschneidung der Grundrechte und der demokratischen Grundprinzipien in Ungarn, der Türkei etc. könnten das Recht auf Widerstand eröffnen.

Die Akzeptanz des Staates betreffend müssen Religionen als eigene Player, in einigen Fällen als zum Staat konkurrierende Systeme verstanden werden. Es hängt davon ab, ob man seine Religion quietistisch oder mit Machtanspruch interpretiert,  ob sie sich in einer Allianz mit der Ordnung oder in der Opposition, bzw. in einer Minderheitenposition befindet. Im ersteren Fall gilt die Ordnung meist „von Gottes Gnaden“ oder als „gottgewollt“ (das gilt nicht nur im Christentum), im zweiten Fall gestehen Religionen Gläubigen das Recht auf Widerstand zu, wenn „die Obrigkeit“ „Gottes Gesetz“ missachtet. Diese Argumentation haben nicht nur Zwingli, Calvin und Beza genutzt, sondern auch heutige Salafisten. Und lange vor den christlichen und muslimischen Reformbewegungen umschiffte schon Jesus mit seiner Antwort, mit der die Kirche die Zwei-Reiche-Lehre begründete, die Gehorsamspflicht gegenüber den Römern. Die strittige Frage, ob Jesu Widerstand auch Gewalt beinhaltete, kann und will ich nicht klären, stattdessen in die Gegenwart und zu der Frage zurückkehren:

Wo ist die Grenze zwischen demokratisch legitimer Kritik und Verfassungsfeindlichkeit? 

Demokratien benötigen die kritische Auseinandersetzung, das Recht auf Meinungsäußerung und Kundgebungen. Das ist anstrengend. Man muss sich mit wirren und abstrusen Thesen und unschönen Behauptungen auseinandersetzen und abstoßende Meinungen über sich ergehen lassen. Aber das ist der verkraftbare Preis des Pluralismus. Man könnte es auch positiv formulieren: Man muss regelmäßig raus aus seiner Komfortzone, man entwickelt sich weiter, schärft die eigenen Meinungen, etc.

Der Preis der vermeintlichen Meinungsharmonie wäre die Diktatur. Selbst das pauschale Diffamieren extremer Meinungen (ich spreche nicht von Pöbeleien) kann die Demokratie gefährden: 

  • Es kann erstens zu Meinungskonformismus führen, der es erschwert, Missstände anzusprechen und Fehler zu kritisieren. Das wiederum erschwert die politische Machtkontrolle und hemmt den Erkenntnisfortschritt. 

Ich denke dabei nicht nur an Extremisten, sondern auch an investigative Journalisten – etwa an jene, die Skandale wie Watergate, Theranos oder Wirecard aufgedeckt haben. Sie alle waren vor der Bestätigung ihrer Behauptungen massiven Anfeindungen ausgesetzt. Sie müssen selbst dann geschützt werden, wenn sie nicht Recht behalten hätten. 

  • Zweitens kann es zu gesellschaftlicher Polarisierung führen. Wer nicht mehr die Argumente des Gegenübers hören will, wer nur recht behalten will, treibt das Gegenüber in dieselbe Haltung.

Zurück zur Frage nach der Grenze: Wo ist diese zu ziehen? 

  • Wie immer zwischen nicht-extremistischen und extremistischen Äußerungen trennen auch die Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung die legitime Kritik von der Demokratiefeindlichkeit (welche nicht strafbar, sondern nur extremistisch ist).

Der Begriff Widerstand bei Rechtsextremisten

Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise offenbarte sich, wie anschlussfähig der Vorwurf des massiven Rechtsbruchs durch die Regierung in Teilen der Bevölkerung war. Neben Parolen, denen es ganz offensichtlich um die bloße und sinnfreie Diffamierung der Bundesrepublik ging, gab es auch welche, die um ein Minimum an Begründung bemüht waren. Um letztere geht es mir im Folgenden: 

  • Was sind ihre Argumente und was kann man dem entgegnen? 
  • Wie begründen sie den Aufruf zum Widerstand? 
  • Können sie auch verfassungsfeindlich sein, wenn sie vorgeben, die freiheitliche Grundordnung zu verteidigen?

Fündig wird man in Texten von Autoren, die der Neuen Rechten und somit der Nachfolge der sogenannten Konservativen Revolution zuzuordnen sind. Sie alle eint das Heraufbeschwören einer Gefahr: 

  • Die Protagonisten meinen, eine akute Gefahr für Volk und Staat zu erkennen. 
  • Diese Gefahr gehe durch die häufig als Eliten bezeichneten gewählten Regierungen aus. 
  • Konkret verletze die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung die territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik.4)Thor von Waldstein: Zehn Thesen zum politischen Widerstandsrecht. In: Sezession Nr. 70, Februar 2016, S. 30. 

Der Autor zieht daraus diesen Schluss: 

  • Wer den Deutschen diese Lebensgrundlage entziehen will, muss als Feind benannt und entschlossen bekämpft werden. Denn dies alles führe innerhalb kürzester Zeit dazu, … dass die Deutschen irreversibel zur Minderheit im eigenen Land werden, um in der Folgezeit allmählich ganz zu verschwinden. 
  • Mit Blick auf Regierung und Staatsspitze könne aus staatsrechtlicher Sicht wenig Zweifel daran bestehen, dass es sich um einen vorsätzlichen Staatsstreich der Regierung gegen das eigene Volk, einen Putsch von oben, handelt.5)S. 31

Obgleich der Autor „nur“ den Rücktritt der Regierung fordert, macht er unmissverständlich klar, dass nicht nur die Regierung, sondern auch der Staat seine Rechtmäßigkeit verspielt habe. Dies wiederum würde Widerstand in verschiedenen Formen legitimieren. 

Der Autor muss das gar nicht explizit äußern –  Demokratieskeptiker ziehen daraus schon selbst die beabsichtigten Folgerungen. Im schlimmsten Fall gibt er Demokratiefeinden Pseudo-Argumente an die Hand, um ihren Kampf mit der Aura einer gewissen Legitimität zu versehen.

Der Verfassungsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider nutzte gar das legale und legitime Mittel der Verfassungsbeschwerde. Anfang 2016 gab er bekannt, die Bundesregierung mit einer Verfassungsbeschwerde zwingen zu wollen, die deutschen Grenzen gegen die illegale Einreise von Ausländern zu sichern.6)Zusammen mit dem Ideologen der Neuen Rechten Götz Kubitschek, dem Herausgeber des Compact-Magazins Jürgen Elsässer und Hans-Thomas Tillschneider von der AfD.

  • Die Grenzöffnung während der Flüchtlingskrise wertete er als Verstoß gegen geltendes Recht und als diktatorisches Staatsversagen. 
  • Zudem forderte er die Suspendierung der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers. 

Das ist ungeachtet einer gewissen Hybris ein Präzedenzfall. Seine Argumente breitet auch er, stets mit Verweis auf Artikel 20 des Grundgesetzes, u.a. in der neurechten Zeitschrift Sezession aus. Schachtschneider geht dabei von einem eigenwilligen Volkskonzept aus, das sich in einigen Aussagen als völkisch erweist: 

  • Noch hat das Volk Deutschlands trotz vieler nichthomogener Staatsangehöriger ein Maß an Homogenität, das demokratische Willensbildung … nicht ausschließt.7)Karl Albrecht Schachtschneider: Verfassungsbeschwerde gegen die Politik der Masseneinwanderung. In: Sezession Nr. 70, Februar 2016, S. 33.
  • Die Staatsangehörigkeit darf nicht beliebig zugeteilt werden. Naturalisation muß natürlichen Entwicklungen folgen, wie der Kindschaft von Bürgern des Landes oder auch der Aufnahme in das Volk … 8)Ebenda, S. 34. 

Carl Schmitt und die Konservative Revolution lassen grüßen.

Diese Homogenität sei Voraussetzung für demokratische Willensbildung und Demokratie. Das belegt, dass Schachtschneider darunter keine pluralistische Demokratie versteht. In der Tat schwebt ihm eine attische Demokratie mit akklamatorischem Charakter vor, deren politische Entscheidungen durch einen mehr als nebulösen einheitlichen „Volkswillen“ getragen werden. Diese Grundlage werde nun durch massenhafte Einwanderung, insbesondre aus muslimischen Ländern bedroht. 

  • Die Staatsorgane sind nicht befugt, Schritt für Schritt die Homogenität des Volkes zu verändern.9)Ebenda, S. 34. 

Schachtschneider sieht hier die Möglichkeiten von Art. 20, Absatz 4 eröffnet: 

  • …das Widerstandsrecht gibt auch das Recht auf Suspendierung der Amtswalter von ihren Ämtern, die die schweren systematischen Verstöße gegen den Rechtsstaat zu verantworten haben, nämlich als andere Abhilfe, die weil das Parlament seiner Pflicht, durch konstruktives Mißtrauensvotum die Regierung neu zu wählen, trotz des geradezu diktatorischen Staatsversagens nicht nachkommt, nur noch das Bundesverfassungsgericht leisten darf und muß, um die freiheitliche demokratische Grundordnung gegen die Personen zu verteidigen, die diese Ordnung zu beseitigen unternommen haben. Gewaltsamer Widerstand soll so erübrigt werden. Er wäre ein Unglück. Ich würde dafür meine Hand nicht reichen.10)Ebenda, S. 35

Wenngleich Schachtschneider nicht explizit zum gewaltsamen Widerstand aufruft, ist absehbar, dass er mit seinen Forderungen sehr bald die legalen Mittel ausgeschöpft haben wird. Was dann? Die Argumentation ist auf jeden Fall offen für die Interpretation des gewaltsamen Widerstands. Hiergegen würde der Rechtsstaat mit allen Mitteln der Repression vorgehen, was wiederum den vermeintlichen Märtyrerstatus der gewaltbereit Agierenden in der Szene unterstreichen und stärken würde. 

Die Verfassungsbeschwerde wurde in der Tat kurz nach ihrer Einreichung ohne Begründung abgewiesen.11)Christoph Richter: Staatsrechtler klagt gegen Flüchtlingspolitik (04.02.2016). In: www.deutschlandfunk.de Schachtschneider war also mit seinen Forderungen nicht erfolgreich. Aber seine Interpretation des Widerstandsrechts und seine Argumente dafür traten in der Folge einen Siegeszug innerhalb der rechtsextremistischen Szene an, nachdem sie zuvor fast ausschließlich im kleinen Segment der islamfeindlich motivierten Extremisten wahrgenommen worden waren.

Schachtschneider ist hier nur beispielhaft:

  • Wie er verstehen zahlreiche Protagonisten des selbst ernannten, angeblichen Widerstands etwas anderes unter freiheitlicher demokratischer Grundordnung als wir. (Eine genaue Lektüre offenbart dies.)

Mit der Nutzung dieses positiv besetzten Begriffs gelingt ihnen eine gewisse Verschleierung ihrer wahren Absichten. Beim ersten Hören klingt die Argumentation für viele einleuchtend. Es wäre tatsächlich eine enorme Gefahr, wenn ein größerer Teil der Bevölkerung sich davon überzeugen ließe. 

Gegen diese Option ist unsere Demokratie nicht ausreichend geschützt. Daher sollte die Bildung und Erziehung mündiger Bürger nach wie vor eines der zentralen Anliegen der Demokratie sein. Dazu zählen auch positive Erzählungen der Demokratie. Wer nicht mehr mit dem Kopf zu erreichen ist, dessen Herz muss zurückgewonnen werden.

Wie geht man mit der Pose Widerstand um?

Was macht man, wenn Menschen, die eine demokratisch gewählte und abwählbare Regierung ablehnen, sich als Widerstandskämpfer fühlen oder aufspielen?

Ist es nicht nur, wie viele ganz postmodern meinen, eine Frage der Perspektive? Diese Frage habe ich schon in Teil 3 verneint. Dort wurde auf Basis des Gedankenexperiments zum gesellschaftlichen Gründungsvertrag erläutert, warum Legitimität nicht beliebig ist. Statt es zu wiederholen (man kann zu Teil 3 zurückspringen), möchte ich die Aussage eines Aussteigers aus dem Ku Klux Klan wiedergeben, der das Wesentliche in der amerikanischen Late Night Show in einfachen Worten ausdrückt. Der Moderator Trevor Noah stellt zunächst anerkennend fest, er selbst habe nie einen derart radikalen Meinungswechsel um 180 Grad vollzogen und fragt den Aussteiger Derek Black sinngemäß, ob Black nicht manchmal Bedenken kommen, er könne jetzt die Unwahrheit vertreten und ob er fürchte, eine erneute Meinungsänderung in die andere Richtung zurück zu vollziehen. 

  • Black antwortet, er sei ziemlich sicher, dass er mit seiner aktuellen Haltung keine Menschen verletze. 
  • Sein früheres White Supremacy Weltbild, das unfair und ungerecht sei, herauszufordern und abzulegen, habe das Leben aller besser gemacht – auch der Weißen. Das könne demnach nicht falsch sein. 
  • Er habe früher nur für eine Gruppe Menschen gesprochen und jetzt beziehe er alle ein.12)Eli Saslow & Derek Black: Leaving the KKK and White Supremacy (11.01.2021). In : The Daily Show. www.youtube.com

Des einen Widerstandskämpfer ist des anderen Terroristen?

Das mag so sein. Aber nur, wenn man die Handlungen des Widerstands von der sie bedingenden Einstellung entkoppelt. Dann hängt es tatsächlich nur noch von der Perspektive ab, ob eine Person als Widerstandskämpfer oder als Terrorist bezeichnet wird. 

  • In der Regel zeichnen sich Widerstandkämpfer durch Humanismus aus. Deshalb ist die Einbeziehung der Einstellung ein wichtiges Unterscheidungskriterium. 
  • Auch Zivilcourage vermag die einen von den anderen abzugrenzen. 

So mögen die Mitglieder der RAF, von Hass und Wut getrieben, ein besonderes Maß an Todesverachtung und -mut besessen haben. Aber intern zeichneten sie sich durch ein erstaunliches Maß an Konformität, Korpsgeist und Duckmäusertum aus. Wer sich nicht traut, auch gegen seine besten Freunde die Stimme zu erheben (respektvoll, versteht sich), kann kein wahrer Freund sein, sondern ist ein Kriegskamerad. Das mündet leicht in bedingungslose und falsch verstandene Loyalität. 

Ebenso überrascht die Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der Jihadisten als Löwen des Islam, die den Tod nicht fürchten, und ihrer durchaus wörtlich zu verstehenden Gottesfurcht und der blinden Gefolgschaft ihrer irdischen Führer und jede Diskussion tabuisierenden Solidarität und Loyalität gegenüber Gleichgesinnten. Vom rechtsextremistischen, Widerspruch abwürgenden „Kameradschaftsgeist“ ganz zu schweigen. 

Ich meine deshalb, dass Widerstand dieselbe Haltung wie Zivilcourage erfordert und nicht als Terrorismus verstanden werden kann.

Wie geht der Verfassungsschutz damit um?

Sofern man den Personen und Personenzusammenschlüssen ziel- und zweckgerichtetes Verhalten gegen die demokratische Verfasstheit nachweisen kann, sind sie formal betrachtet durchaus ein Fall für den Verfassungsschutz.

In einer zweiten, nichtformalistischen Überlegung ist der Aufruf zum Widerstand ein Alarmzeichen. In der Regel geht ein Prozess der Selbstviktimisierung voraus, der zugleich mit dem Aufbau eines Bedrohungsszenarios zur Überzeugung einer Notwehrsituation führen kann. Damit wären schon die wichtigsten Zutaten für die Rechtfertigung von Gewalt gebündelt. Wächst sich dieses Gefühl gar zu einer Bewegung aus, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich einzelne dazu ermutigt und berufen fühlen, zur Tat zu schreiten.

Könnte man die Aufrufe zum Widerstand nicht schlicht als lächerlich abtun? Schließlich können wir alles noch sagen und kritisieren und gegen jede Maßnahme klagen. Ich fürchte Nein: 

  • Die Wahrnehmung der Demokratie als Diktatur und die Aufrufe zum Widerstand sind mit Sorge zu betrachten, 

benötigt doch die Demokratie außer formellem Schutz auch den zustimmenden Konsens einer Mehrheit an Bürgern. Auch laute Minderheiten haben schon oft Unheil angerichtet.

Judith Faessler, 4. März 2021

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

Falls Ihnen unser Blog gefällt – bitte empfehlen Sie uns in den sozialen Medien weiter.

References   [ + ]

1. „Meininger Erklärung“ der „Forke und Schaufel“: https://www.forkeundschaufel.vom/meininger-erklärung. Gesichtet am 22.01.2021.
2. Als Beamtin eines antifaschistischen Staates und liberalen Grundwerten verpflichtet, habe ich nichts gegen zivilgesellschaftliches Engagement gegen Faschismus, solange es nicht selbst mit faschistischen Methoden agiert und die Zielsetzung klar demokratisch ist.
3. Meine Großmutter hatte als Sozialdemokratin unter Lebensgefahr Widerstand gegen die NS-Diktatur geleistet.
4. Thor von Waldstein: Zehn Thesen zum politischen Widerstandsrecht. In: Sezession Nr. 70, Februar 2016, S. 30.
5. S. 31
6. Zusammen mit dem Ideologen der Neuen Rechten Götz Kubitschek, dem Herausgeber des Compact-Magazins Jürgen Elsässer und Hans-Thomas Tillschneider von der AfD.
7. Karl Albrecht Schachtschneider: Verfassungsbeschwerde gegen die Politik der Masseneinwanderung. In: Sezession Nr. 70, Februar 2016, S. 33.
8. Ebenda, S. 34
9. Ebenda, S. 34.
10. Ebenda, S. 35
11. Christoph Richter: Staatsrechtler klagt gegen Flüchtlingspolitik (04.02.2016). In: www.deutschlandfunk.de
12. Eli Saslow & Derek Black: Leaving the KKK and White Supremacy (11.01.2021). In : The Daily Show. www.youtube.com

About

View all posts by