In einer der letzten großen Debatten des Bundestages vor der Wahl im September 2017 ging es um die Ehe für Alle. Aus liberaler Sicht wurde dabei wieder einmal sehr viel unnützer Staub aufgewirbelt, genauer: Die meisten Argumente, die ins Feld geführt wurden, sind Scheinargumente und als solche so bekannt wie leicht erkennbar. Es war aber schon Wahlkampf und folglich nichts anderes zu erwarten.
Die liberale Position
Der liberale und somit selbstverständlich säkulare Rechtsstaat hat weder die Pflicht noch das Recht, erwachsenen Menschen bzw. den Bürgern vorzuschreiben, wie und mit wem sie zusammenleben müssen oder dürfen. Erlaubt ist grundsätzlich, was anderen Bürgern keinen unzumutbaren Schaden zufügt. Folglich spricht nichts dagegen, dass eine Frau eine andere Frau bzw. ein Mann einen anderen Mann heiraten darf. Und bis heute habe ich kein belastbares Argument gefunden, warum ich nicht eine Ehe zu dritt mit 2 Frauen führen darf – wenn wir alle das wollen. Im Grunde ist die Ehe aus liberaler Sicht eine Vertragsgemeinschaft wie viele andere auch – und genau daran sollte sich die Haltung des Staates zur Ehe orientieren. Ende der Debatte – eigentlich.1)Das wusste auch schon Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. Stuttgart 1967/1995. Entstanden 1792.
Die religiöse Position
Von christlicher Seite wurden wieder einmal mit Schwung die üblichen Nicht-Argumente vorgebracht. Das verwundert nicht, wurde doch eines der letzten Überbleibsel christlicher Sexualunmoral diskutiert. Und die ist vielen Christen nach wie vor heilig – zumindest in der Theorie.
Die traditionelle Ehe sei tief in unserer Kultur verwurzelt und müsse deshalb bewahrt werden. Die Antwort: Jede lebendige Kultur entwickelt sich weiter und dazu gehört, dass regelmäßig Traditionen und vermeintliche Selbstverständlichkeiten auf den normativen Prüfstand gestellt werden. Oft überleben sie diese Prüfung allerdings nicht. Das ging schon dem Kuppeleiparagraphen so (bis in die 70er Jahre mussten Vermieter sich den Trauschein von Paaren vorlegen lassen) und auch die Strafbarkeit homosexueller Handlungen haben wir mit guten Gründen abgeschafft. Ganz zu schweigen von so farbigen christlichen Traditionen wie Hexenverbrennung, Inquisition und Sklaverei. Kurz: Das Traditionsargument greift einfach nicht.
Bleibt noch der Appell an Naturrecht bzw. Definition: Die Ehe sei als Gemeinschaft zur Erzeugung von Kindern definiert bzw. bestimmt und könne folglich nicht auf lesbische und homosexuelle Paare ausgedehnt werden. Erstens ist diese Definition der Ehe mit Sicherheit nicht allgemeingültig. Für viele Menschen, Gesellschaften und Kulturen ist die Ehe vielmehr ein Versprechen bzw. Vertrag, füreinander Verantwortung in allen Lebenslagen zu übernehmen. Das kann sowohl in polygamen als auch gleichgeschlechtlichen Konstellationen erfolgen. Zweitens (siehe oben) liegt es an uns, juristisch relevante Begriffe bzw. Sachverhalte neu zu definieren, falls das angebracht sein sollte. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: So hat sich die juristische Stellung der Frau in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt – gegen die bekannten christlichen Argumente zur natürlichen bzw. gottgegebenen Stellung der Frau (unter dem Mann). Kurz: Das Definitionsargument greift (wieder einmal) nicht.2)In Die Legende von der christlichen Moral (Marburg, 2015) gehe ich in Kapitel 5 detailliert auf die Untauglichkeit des Naturrechtskonzeptes zur Normenbegründung ein.
Übrigens: Auch das Verständnis der „christlichen“ Ehe hat sich immer schon auf Basis normativer Überlegungen verändert. Im Alten und Neuen Testament wird die Polygamie als selbstverständlich legitime Eheform behandelt, das Halten von Lustsklavinnen durch Ehegatten (männlich) wird im Kontext der 10 Gebote klar erlaubt und ziemlich genau geregelt. Im Mittelalter war es selbstverständlich, dass nur eine Ehe eingehen darf, wer eine Familie unterhalten kann – auch diese Selbstverständlichkeit ist heute keine mehr. Und im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Stellung der Frau in der christlichen Standardehe einschneidend verändert: Sie darf seit neuestem sogar Verträge abschließen. Also: Was uns hier als „traditionelle christliche Ehe“ verkauft werden soll ist ein zeitbedingtes und sich stetig wandelndes Konstrukt, das zunehmend wenig mit seinen zahlreichen Vorgängerkonstrukten zu tun hat.
Bisweilen tritt das definitorische Argument in Kombination mit dem Hinweis auf, Ehe und Familie stünden laut Verfassung unter dem besonderen Schutz des Staates. Die liberale Antwort dürfte klar sein: Natürlich ist es Aufgabe des Staates, die Bürger vor Vertragsbruch bzw. Betrug zu schützen. Warum das ganz besonders für die Lebensform Ehe bzw. nur für Ehen zwischen Mann und Frau gelten sollte, müsste plausibel begründet werden – und gerade das ist ja nicht möglich. Auch Verfassungen gehören von Zeit zu Zeit auf den normativen Prüfstand.
Mein Fazit: Niemand darf und soll religiöse Gemeinschaften daran hindern, bestimmte Formen des Zusammenlebens für ihre Mitglieder nach den jeweils eigenen Vorstellungen zu bewerten und z.B. nur bestimmte Eheformen kirchlich zu sanktionieren. Aber der (liberale) Staat hat religiöse Gemeinschaften daran zu hindern, ihre Vorstellungen den anderen Bürgern aufzuzwingen. Wenn dazu eine Änderung der Gesetze oder sogar der Verfassung nötig sein sollte: Packen wir`s an – im Namen der Gerechtigkeit!
Die atheistische Position
Es ist ja kein Geheimnis, dass ich dem Phänomenbereich Religion und religiösen Institutionen ausgesprochen kritisch gegenüberstehe. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass im atheistischen Lager zwar mit großem Engagement die Ehe für Alle verteidigt wurde – allerdings oft mit zu beengtem Argumentationshorizont. Was heißt das? Natürlich müssen wir uns als Bürger gegen christliche bzw. religiöse Bevormundungen und Entmündigungen wehren. Religion ist Privatsache.
Aber genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Sollten wir uns dann als Bürger nicht auch gegen nicht religiös motivierte Bevormundung und Entmündigung durch den Staat wehren? Wie plausibel ist es, für die Ehe für Alle oder ein Recht auf Sterbehilfe zu plädieren, gleichzeitig aber dem Staat zu erlauben den Bürgern vorzuschreiben, wie sie sich für den Fall von Krankheit oder Alter abzusichern haben? Oder wie sie den Großteil ihres Geldes auszugeben haben? Oder welche politischen Parteien und Stiftungen sie finanzieren müssen? Oder welche Industriezweige bzw. Unternehmen sie subventionieren müssen?
Als Fazit ein Denkanstoß ans religionskritische Lager: Nicht jede Bevormundung hat (ausschließlich) religiöse Wurzeln. Sollten wir, um konsistent und glaubwürdig zu sein, nicht auch entschlossen gegen nicht religiös motivierte Bevormundungen die Stimme erheben?
PD Dr. Andreas Edmüller, 24. Oktober 2017
References
1. | ↑ | Das wusste auch schon Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. Stuttgart 1967/1995. Entstanden 1792. |
2. | ↑ | In Die Legende von der christlichen Moral (Marburg, 2015) gehe ich in Kapitel 5 detailliert auf die Untauglichkeit des Naturrechtskonzeptes zur Normenbegründung ein. |