„Deep State“ – Dilettantischer Versuch eines Faktenchecks im Bayerischen Rundfunk (Teil 1)

Worum geht es?

Der Bayerische Rundfunk hat am 18.3. einen „Faktencheck“ zum Thema Deep State veröffentlicht.1)https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/deep-state-wie-sich-der-mythos-ausbreitet-faktenfuchs,Ufht7iy Ein genauer Blick zeigt, dass es sich dabei nicht um seriösen Journalismus, sondern um oberflächlichen Alarmismus handelt – und das ist sehr höflich und zurückhaltend formuliert. Dieser #Faktenfuchs ist ein sehr anschauliches Beispiel für das schon in meinem Beitrag „Verschwörungstheorie“ als Wortkeule thematisierte Phänomen, den Begriff Verschwörungstheorie als Manipulationsinstrument einzusetzen. 2)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/verschwoerungstheorie-als-wortkeule/ Und er zeigt einmal mehr, warum wir endlich eine ehrliche, offene und konsequent geführte Debatte über Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks benötigen.

Zum Begriff des Deep State

Der Begriff des Deep State ist schon lange bekannt und verbreitet – und ein sehr schillernder. Er bezeichnet je nach Verwendung bzw. Kontext das Phänomen, dass bestimmte Gruppen im Staat oder durch Einflussnahme auf den Staat Pläne verfolgen und Ziele anstreben, die nicht den offiziell kommunizierten der Legislative oder Exekutive entsprechen. Salopp formuliert versuchen sie, im Geheimen ihr eigenes Machtsüppchen zu kochen und staatliche Macht vorbei an den üblichen Kontrollinstanzen für ihre Zwecke zu nutzen. Es kann mit „Deep State“ auch gemeint sein, dass eine Bürokratie eine Art Eigenleben entwickelt und kaum noch durch die Spitzen der Exekutive zu beeinflussen ist, deren Pläne verschleppt, sabotiert, ins Gegenteil verdreht. Wobei mit „Eigenleben“ auch ein so behäbiges wie bequemes Kreisen um sich selbst in Zeitlupe gemeint sein kann. 

Eine präzisere und allgemeine Bestimmung des Begriffes ist wenig sinnvoll; es kommt immer auf den konkreten Einzelfall, die konkrete Verwendung des Begriffs und auf die damit verknüpften Argumente an. Nur so lässt sich sagen, was genau gemeint ist und ob die jeweiligen Behauptungen plausibel sind.  

Das überrascht nicht. Es geht vielen Begriffen so, die in politischen Diskussionen verwendet werden; sie können im konkreten Kontext alles mögliche bedeuten. Hier zwei bekannte Beispiele: 

  • Der Begriff Neoliberalismus kann als Abwertung bzw. Schimpfwort dienen (für alles mögliche, das dem Verwender politisch irgendwie missfällt), als neutrale, mehr oder weniger vage Beschreibung einer irgendwie marktwirtschaftlich orientierten Position, als positiv belegte Sammelbezeichnung für ein Bündel von finanziellen Reformvorschlägen oder als unbequeme aber rettende philosophische Leitidee für eine Verfassungskrise … es kommt auf den konkreten Kontext an. 
  • Gleiches gilt für den Begriff woke: Für die einen ist es ein rechtsradikaler Kampfbegriff, für die anderen eine Bezeichnung für ein halb besorgniserregendes, halb lächerliches gesellschaftliches Phänomen, wieder andere verwenden ihn neutral und wollen einfach nur wissen, was sich dahinter verbirgt – und auch als stolze Selbstbezeichnung kommt „woke“ vor. 

Fakt ist, dass ausführliche Diskussionen um den Deep State auf allen Ebenen geführt werden:

  • Es gibt die akademische Debatte mit entsprechender Fachliteratur, z.B. in der Politikwissenschaft. Das Buch Phantoms of a Beleaguered Republic, erschienen bei Oxford University Press, ist nur eines von vielen Beispielen.3)https://global.oup.com/academic/product/phantoms-of-a-beleaguered-republic-9780197543085?cc=us&lang=en&# An dieser recht umfangreichen Debatte nehmen übrigens auch sehr bekannte Autoren wie Francis Fukuyama teil – diesen Namen hat man vielleicht auch schon einmal beim BR gehört.4)https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23276665.2023.2249142#d1e106
  • Natürlich gibt es auch die windigen, unseriösen Bücher zum Thema Deep State, die Verschwörungskonstrukte verbreiten. Und – auf allen Seiten – die inkompetenten Journalisten und Möchtegern-Experten mit löchrigen und aktivistisch geprägten „Recherchen“. Mit einem dieser Beispiele beschäftige ich mich gerade. 
  • Politische Abenteurer und Verschwörungsgauner, die mit ihren Verschwörungskonstrukten eigene Ziele verfolgen, spielen auch mit – und die „sozialen“ Medien bieten allen eine Bühne.7)Seriös und sorgfältig analysierte Beispiele dafür finden Sie in beiden Bänden von Dossier Verschwörungstheorie, die ich mit Judith Faessler verfasst habe: https://dossier-verschwoerungstheorie.de/ 

Wie verwendet der #Faktenfuchs den Begriff Deep State?

Die verantwortliche Journalistin versucht nicht einmal im Ansatz, diesen vielfältigen und eben auch sehr oft seriösen und sinnvollen Verwendungen des Begriffes gerecht zu werden. Ihr geht es erkennbar darum, den Begriff als typisch für unhaltbare Verschwörungstheorien hinzustellen und damit von vornherein alle, die ihn verwenden, in schlechtes (und rechtsextremes) Licht zu rücken. Das zeigt bereits der Blick auf die Einleitung. Darin ist ausschließlich von sehr unseriösen Verwendungen des Begriffes die Rede:

„Darum geht’s:

  • Seit Mitte der 2010er-Jahre verbreiten rechtsextreme und verschwörungsideologische Kreise die Erzählung von einer angeblich geheimen Elite, die im Hintergrund die Regierung kontrolliere und demokratische Prozesse manipuliere.
  • Der Mythos wurde von US-Präsident Donald Trump und der AfD verbreitet. Beide nutzen ihn gezielt, um politische Gegner und staatliche Institutionen zu diskreditieren.
  • Laut Experten fördert die „Deep State“-Erzählung ein feindseliges Weltbild und kann zur Radikalisierung beitragen. 

Die Rhetorik vom „Staat im Staat“ ist ein wiederkehrendes Element in Verschwörungstheorien. Vor allem rechtsextreme und verschwörungsideologische Akteure verbreiten den Begriff auf Telegram, X und Facebook. Aber auch rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien und Politiker nutzen ihn, um staatliche Institutionen zu untergraben und politische Gegner zu delegitimieren.

Was steckt hinter der „Deep State“-Erzählung – und warum hält sie sich so hartnäckig? Dieser Frage geht dieser #Faktenfuchs nach.“

Zum einen wird – wie leider so oft – völlig uninformiert und unreflektiert mit allen möglichen „Verschwörungsbegriffen“ um sich geworfen: „Verschwörungsideologische Kreise bzw. Akteure“, „Mythos“, „„Deep State“-Erzählung“. Das soll vermutlich Kompetenz signalisieren, ist aber nichts anderes als oberflächliches Jargongeplapper: Ideologien sind keine Mythen sind keine Erzählungen … auf eine halbwegs nuancierte Begriffsbestimmung wartet der Leser und Gebührenzahler vergeblich.

Zum anderen wird durch diese Skizze vorab der Begriff Deep State für den Leser gleich fest im rechtsextremen Umfeld verankert. Zum Abschluss des #Faktenfuchses wird diese Einordnung bestätigt:

„Fazit

Die „Deep State“-Verschwörungserzählung wird vor allem in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Kreisen verbreitet. Der Glaube an eine geheime Elite, die im Verborgenen die Strippen zieht, ist ein Grundgedanke verschiedener Verschwörungsmythen — darunter QAnon. Zwar gibt es Beispiele, bei denen der Begriff „Deep State“ tatsächliche Verflechtungen zwischen Staat und organisiertem Verbrechen beschreibt, etwa in der Türkei. Allerdings wird der Begriff aktuell vor allem von rechtspopulistischen Politikern genutzt, um politische Gegner und demokratische Institutionen zu diskreditieren.

In Deutschland greift die AfD dieses Narrativ auf, während verschwörungsideologische und rechtsextreme Medien und Accounts auf Social Media zu dessen Verbreitung beitragen. Experten warnen, dass der Mythos ein „Freund-Feind-Denken“ verstärkt, das Gewaltpotenzial in sich birgt.“

In diesem Fazit wird zwar wie im Artikel erwähnt, dass der Begriff des Deep State auch manchmal zu Recht verwendet wird. Das wird aber gleich mit zwei nicht korrekten Behauptungen und einer Verfälschung kombiniert: Es ist die Rede vom „organisierten Verbrechen“ und davon, dass der Begriff „vor allem“ von rechtspopulistischen Politikern zu Zwecken der Diskreditierung genutzt werde; als Beispiel wird auf die Türkei verwiesen. Das ist Unsinn: 

  • Erstens kommt das „organisierte Verbrechen“ sicher nicht in allen seriösen Analysen zum Deep State als Faktor vor. Oft ist – wie gesehen – ganz einfach eine träge oder zur Sabotage neigende Bürokratie gemeint. Oder – wie Lofgren argumentiert – evangelikale Christen, die über die Tea Party die Republikaner in den USA unterwandert haben. Selbst intrinsisch motivierte Bürokratie- und Religionskritiker wie ich ziehen da schon noch eine klare Trennlinie zum „organisierten Verbrechen“. 
  • Zweitens werden die verschiedenen Diskursebenen ausgeblendet: In der akademischen Debatte oder im seriösen Journalismus wird der Begriff gerade nicht vor allem in seiner „rechtspopulistischen“ Variante verwendet. Zu einem Ergebnis wie der #Faktenfuchs kommt man eigentlich nur, wenn man vor allem oder ausschließlich „rechtspopulistisch“ dominierte Debatten oder Accounts anschaut – und dann ist dieses „Ergebnis“ natürlich kein Wunder: Wer sich in erster Linie auf den Fanseiten und -accounts der Anhänger des TSV 1860 informiert, wird natürlich zu dem Resultat kommen, dass der FC Bayern ein ganz übler Haufen und das Grünwalder Stadion eine Kultstätte von Weltrang ist …8)Wobei beides selbstverständlich auch härtester wissenschaftlicher Prüfung standhält. Dass unser Sechzger noch immer nicht ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde ist ohne jeden Zweifel auf die finsteren Machenschaften des FC Bayern und Strippenziehern wie Uli Hoeneß zurückzuführen.
  • Drittens wird ignoriert, dass auch und gerade in den USA der Deep State Gegenstand akademischer Forschungen und seriöser journalistischer Recherchen und Diskussionen ist.

Mein Fazit zum Grundtenor des #Faktenfuchses

Wir haben es beim #Faktenfuchs des BR zum Deep State nicht mit seriösem Journalismus oder einem soliden Faktencheck zu tun. Offensichtlich geht es darum, den Begriff des Deep State so windschief darzustellen, dass jeder, der ihn verwendet dadurch automatisch in schlechtes Licht gerückt und unter Rechtfertigungszwang gestellt wird. Bildlich gesprochen: Er soll sofort auf die Anklagebank gesetzt werden.

Diese Manipulationsstrategie ist altbekannt und hat einen eigenen Namen: Brunnenvergiftung.9)Andreas Edmüller und Thomas Wilhelm: Manipulationstechniken. So wehren Sie sich. Freiburg, München, Stuttgart, 2020, 5. Auflage. In Kapitel 9 skizzieren wir diese klassische Manipulationstaktik. Auflage 6 ist in Vorbereitung. Wer den „vergifteten“ Begriff verwendet, stellt sich damit in üble Gesellschaft, nämlich „rechtsextreme und verschwörungsideologische Kreise“. Mittel- und langfristig wollen die Manipulatoren mit solchen Tricks die „begriffliche Lufthoheit“ für sich herstellen: Sie bestimmen dann vorab darüber, mit welchen Begriffen eine Debatte zu führen ist – und welche tabu zu sein haben … aber nur, wenn wir auf sie hereinfallen. Ein konkretes Beispiel für diese Art von Manipulationsversuch liefert der #Faktenfuchs gleich selbst – darum geht es dann in Teil 2.

PD Dr. Andreas Edmüller, 30. April 2025

References   [ + ]

1. https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/deep-state-wie-sich-der-mythos-ausbreitet-faktenfuchs,Ufht7iy
2. https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/verschwoerungstheorie-als-wortkeule/
3. https://global.oup.com/academic/product/phantoms-of-a-beleaguered-republic-9780197543085?cc=us&lang=en&#
4. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23276665.2023.2249142#d1e106
5. https://www.academia.edu/44993846/The_Deep_State_in_the_Ancient_World_Bureaucracies_as_Constraining_and_Enabling_Socio_Political_Structures
6. Zur Veranschaulichung hier einige weitere Artikel zum Thema: https://www.politico.com/magazine/story/2017/09/05/deep-state-real-cia-fbi-intelligence-215537/; https://www.brookings.edu/articles/musk-and-ramaswamy-meet-the-real-deep-state/; https://www.eurasiareview.com/10042025-the-deep-state-may-not-be-as-bad-oped/
7. Seriös und sorgfältig analysierte Beispiele dafür finden Sie in beiden Bänden von Dossier Verschwörungstheorie, die ich mit Judith Faessler verfasst habe: https://dossier-verschwoerungstheorie.de/
8. Wobei beides selbstverständlich auch härtester wissenschaftlicher Prüfung standhält. Dass unser Sechzger noch immer nicht ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde ist ohne jeden Zweifel auf die finsteren Machenschaften des FC Bayern und Strippenziehern wie Uli Hoeneß zurückzuführen.
9. Andreas Edmüller und Thomas Wilhelm: Manipulationstechniken. So wehren Sie sich. Freiburg, München, Stuttgart, 2020, 5. Auflage. In Kapitel 9 skizzieren wir diese klassische Manipulationstaktik. Auflage 6 ist in Vorbereitung.

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