„Verschwörungstheorie“ als Wortkeule

In den letzten Jahren ist es immer wieder vorgekommen, dass respektable und solide Erklärungsansätze erfolgreich als Verschwörungstheorien oder -mythen diffamiert wurden. Damit soll offenbar, jeweils „von interessierter Seite“, eine rationale Diskussion über bestimmte Themen vermieden bzw. im Keim erstickt werden: Wer die angegriffene Theorie verteidigt, outet sich damit als Verschwörungsspinner oder Aluhutträger und muss nicht ernst genommen werden. Diese Manipulationstaktik der Brunnenvergiftung ist so alt wie – leider – wirkungsvoll.1)Andreas Edmüller und Thomas Wilhelm: Manipulationstechniken: So wehren Sie sich. Freiburg, 2020, 5. Auflage.

Beispiel 1: Wirecard

Die Journalisten der Financial Times um Dan McCrum, die in jahrelanger zäher Arbeit den Betrugsskandal bei Wirecard aufgedeckt haben, wurden sehr lange als Verschwörungsspinner verleumdet und verächtlich gemacht, ihre professionell und sorgfältig recherchierten Berichte als unseriöse und haltlose Verschwörungsmythen abqualifiziert. Die BaFin, unsere weitgehend zahn- und wirkungslose Börsenaufsicht, reichte sogar Klage gegen die Financial Times wegen Marktmanipulation ein! Der Gerichtsprozess um Wirecard ist in vollem Gange und mittlerweile ist klar, wer Recht hatte.2)Dan McCrum: House of Wirecard. Berlin, 2022.

Beispiel 2: Diskussionen im Rahmen der Pandemie

Während der Coronapandemie hatte sich schnell ein moralisch und wissenschaftlich sehr fragwürdiges Meinungsklima in Deutschland etabliert. Kritische, kluge und sehr kompetente Köpfe, die naheliegende, berechtigte und klare Fragen hatten, mussten sich von vielen Seiten als Querdenker, Verschwörungsdeppen und Aluhutträger verleumden lassen:

  • Natürlich sind Fragen zu den außerplanmäßigen Zulassungsverfahren für die Impfstoffe berechtigt – die normalen Verfahren wurden ja nicht ohne Grund aufgebaut.
  • Wie mittlerweile sogar von Gesundheitsminister Lauterbach zugegeben, gab es tatsächlich keine wissenschaftlich belastbaren Gründe für die Schließung von Schulen und Kindergärten.
  • Auch an der Berechtigung für eine staatlich verordnete Impfpflicht lässt sich mit exzellenten staatsphilosophischen Argumenten zweifeln.

Im Rückblick betrachtet kam es während der Pandemiezeit erschreckend oft nicht auf die wissenschaftliche Qualität der Beiträge und Empfehlungen an, auf rationale Prüfung – sondern auf deren Passgenauigkeit mit der Linie der Regierung oder der anmaßenden und selbstgerechten Attitüde vieler Leitmedien als Retter der Gesellschaft vor Verschwörungstheoretikern und Sprachrohr der Regierung.3)Professor Dr. Ursel Heudorf: Covid-19-Pandemie – wirkliche Aufarbeitung tut not. Hessisches Ärzteblatt 5/2023, Online-Ausgabe. https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/Einzelartikel/2023/05_2023/Ansichten_Einsichten_Heudorf_lang.pdf.

Beispiel 3: Labortheorie Wuhan

Gleich zu Beginn der Pandemie wurden von kompetenten Wissenschaftlern gute Gründe für die Annahme vorgebracht, das Coronavirus könnte manipuliert und aus einem Forschungslabor in Wuhan per Unfall entwichen sein. Und von Anfang an sollte diese Diskussion durch massive Verleumdungskampagnen verhindert werden – die Hypothese eines Laborunfalles sollte gar nicht erst in Ruhe und mit Bedacht geprüft werden.

Heute gilt die Labortheorie als respektable Position, die nicht länger aus der Debatte ausgeschlossen werden darf. Auch in diesem Fall haben zu viele selbst ernannte „Faktenchecker“ und Leitmedien ihren Job zu lange nicht richtig gemacht und mitgeholfen, die Sachlage zu vernebeln und zu verzerren. Und Menschen zu verleumden, die nach bestem Wissen und Gewissen Aufklärung betreiben wollten.4)Einen sehr guten Überblick liefert Professor Dr. Günter Theißen: Das Virus. Frankfurt, 2022.

Es geht um Menschen!

Eigentlich wäre es die Kernaufgabe der Leitmedien in einer offenen Gesellschaft, gerade bei umstrittenen und emotionsgeladenen Themen für eine sachliche und ausgewogene Debatte zu sorgen. Meiner Meinung nach fehlen dazu mittlerweile in viel zu vielen Redaktionen Selbstverständnis, Mut, argumentative und wissenschaftliche Kompetenz.

Natürlich ist es einfach „mit der Meute zu heulen“ und einzelne Personen zu diffamieren und lächerlich zu machen, die sich nicht richtig gegen die mediale Übermacht wehren können. Gewissen Menschen macht so etwas bekanntlich sogar Spaß. Sie greifen gezielt mit unfairen Tricks die Integrität und Kompetenz ihrer Opfer an, wollen sie in der Regel aus der gesellschaftlichen Debatte ausschließen, modern ausgedrückt „canceln“.

Was uns allen dabei klar sein sollte: Derartige Verleumdungskampagnen können enorme negative Wucht entfalten. Stellen Sie sich vor, welche Wirkung das auf Freunde, Familie, Studenten, Bekannte der als Zielscheibe auserkorenen Opfer hat!

Warum funktioniert das überhaupt?

Neben den oben genannten gibt es (mindestens) drei rein „handwerkliche“ Gründe für die Qualitätsmängel unserer Debatten zu Verschwörungstheorien.

Erstens: In Deutschland hat sich schon vor Jahren der Ausdruck „Verschwörungstheorie“ als extrem abschätzige Bezeichnung etabliert. Im angelsächsischen Bereich ist das anders – dort wird in aller Regel zwischen guten und schlechten Verschwörungstheorien unterschieden. Bei uns werden aber leider immer noch fleißig alle mögliche Varianten abwertender Begriffe herumgeschoben und zwar im Normalfall ohne klare bzw. handwerklich solide Definition, also als Worthülsen. Das ständige Geraune von Verschwörungsnarrativen, Verschwörungserzählungen, Verschwörungsmythen ist viel zu oft nichts anderes als kindischer Alarmismus auf begrifflicher Ebene.

Um dem entgegenzuwirken, haben wir in unserem Dossier Verschwörungstheorie letzteren als neutralen Begriff eingeführt: Das lässt Raum für gute und schlechte Verschwörungstheorien und ist ein erster Schritt zur Versachlichung.5)dossier-verschwoerungstheorie.de. Das ist eigentlich eine naheliegende Lösung – warum tun wir uns damit ausgerechnet in Deutschland so schwer?

Ein zweiter Aspekt ist offensichtlich: Kaum jemand weiß, wie man im Bereich von Theorien rational und handwerklich solide argumentiert.

  • Was ist eigentlich eine Theorie?
  • Was zeichnet eine gute Theorie aus?
  • Woran erkennt man eine schlechte Theorie?
  • Wann haben wir es mit einer Pseudo-Theorie zu tun?

Diese und ähnliche Fragen werden von Philosophen und Wissenschaftstheoretikern seit sehr langer Zeit intensiv und akribisch diskutiert. Das Problem: Antworten und Diskussionsstand sind vielen „Experten“ für Verschwörungstheorien schlicht und einfach unbekannt. Die Qualität ihrer Argumente spiegelt diese Wissensdefizite leider sehr oft wider.

Drittens sollte man den Blick für die typischen Manipulationsstrategien und Umsetzungstaktiken der Verschwörungsgauner und -spinner schärfen. Auch das ist unverzichtbar, um im Einzelfall zu tragfähigen und fairen Argumenten zu kommen. Man hätte z.B. sehr früh erkennen können, dass die Verleumdungskampagne gegen die Vertreter der Labortheorie auf manipulativen Sand gebaut ist.

Anekdotisches und oberflächliches Wissen um Manipulationstaktiken oder ein schneller Blick ins Internet sind dafür keine ausreichende Grundlage. In Band 2 haben wir diese 4 Kernstrategien der Verschwörungsgauner herausgearbeitet und ausführlich erläutert:

  • Wie funktionieren Aufbau, Ausbau und Pflege eines Feindbildes?
  • Wie wird eine scheinbare Stützung und Bestätigung einer unhaltbaren Verschwörungstheorie erreicht?
  • Wie kann man eine unhaltbare Verschwörungstheorie gegen rationale und gute Argumente immunisieren?
  • Wie lassen sich seriösen Konkurrenztheorien diffamieren und in schlechtes Licht rücken?

Warum brauchen wir eine Verbesserung?

Wenn wir es schaffen, die Themen und Inhalte aus Band 1 und 2 ins allgemeine Bewusstsein zu rücken, dann wird unsere Argumentationskultur davon enorm profitieren:

  • Wir werden es viel öfter und schneller schaffen, Argumente und Theorien rational zu diskutieren und ihre Qualität zuverlässig zu beurteilen.
  • Es ist zu hoffen, dass man weniger oft aufrechte Whistleblower, kritische Köpfe und kompetente Aufklärer persönlich angreifen, abwerten, diffamieren und „canceln“ wird.

Das möchte ich vor allem einer Berufsgruppe ans Herz legen, die eine besondere Verantwortung für unsere Argumentations- und Debattenkultur trägt: Journalisten.

  • In allen drei oben skizzierten Beispielen haben viele Vertreter dieser Zunft eine ausgesprochen fragwürdige Rolle gespielt.
  • In keinem der drei Fälle sind die sogenannten „Leit- und Qualitätsmedien“ als Institution einer offenen Gesellschaft ihrer Verantwortung für handwerklich solide und moralisch anständige Bearbeitung heikler und emotionsgeladener Themen in der wünschenswerten Breite gerecht geworden.6)Flüchtlingskrise und Pandemie: Der Herdentrieb der Medien schadet ihrer Glaubwürdigkeit. NZZ, 31. 3. 2023. https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/corona-und-fluechtlingskrise-das-versagen-der-deutschen-medien-ld.1732546.

 

PD Dr. Andreas Edmüller, 1. August 2023

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

Falls Ihnen unser Blog gefällt – bitte empfehlen Sie uns in den sozialen Medien weiter.

References   [ + ]

1. Andreas Edmüller und Thomas Wilhelm: Manipulationstechniken: So wehren Sie sich. Freiburg, 2020, 5. Auflage.
2. Dan McCrum: House of Wirecard. Berlin, 2022.
3. Professor Dr. Ursel Heudorf: Covid-19-Pandemie – wirkliche Aufarbeitung tut not. Hessisches Ärzteblatt 5/2023, Online-Ausgabe. https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/Einzelartikel/2023/05_2023/Ansichten_Einsichten_Heudorf_lang.pdf.
4. Einen sehr guten Überblick liefert Professor Dr. Günter Theißen: Das Virus. Frankfurt, 2022.
5. dossier-verschwoerungstheorie.de.
6. Flüchtlingskrise und Pandemie: Der Herdentrieb der Medien schadet ihrer Glaubwürdigkeit. NZZ, 31. 3. 2023. https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/corona-und-fluechtlingskrise-das-versagen-der-deutschen-medien-ld.1732546.

About

View all posts by