Handeln Reiche unmoralischer?

Im Februar 2012 machte in den Medien eine interessante Schlagzeile die Runde. Danach handeln reiche Menschen unmoralischer als weniger reiche.

In der Welt hieß es: Reichtum macht unmoralisch

Das gleiche Thema bei Fokus kam unter der Überschrift: Reiche Menschen – gierig, rücksichtslos und unmoralisch

Im HandelsblattMacht Reichtum unmoralisch?

In der SüddeutschenDickes Auto – keine Manieren

In der Bild: Studie belegt: Reichtum macht unmoralisch

Bei RTL: Forscher beweisen: Reiche haben keine Moral

Hier die Zusammenfassung der Nachricht aus der Welt Online 1)Online-Ausgabe vom 28.2.2012: „Im Straßenverkehr gelten Fahrer von „dicken Karren“ als rücksichtslos und dreist. Einer aktuellen Studie zufolge entspricht dieses Vorurteil tatsächlich der Realität. Reiche Menschen in teuren Autos verletzen die Verkehrsregeln eher als Fahrer von Mittelklassewagen. Und noch mehr: Angehörige der Oberschicht lügen und mogeln der Untersuchung zufolge auch eher als Mitglieder unterer sozialer Schichten, berichten Wissenschaftler im Fachblatt „PNAS“. Ihre Begründung: Reiche Leute haben einfach eine positivere Einstellung zur Gier. Sie finden nichts dabei, sich zu nehmen, was sie haben wollen, und verletzen dabei eher gängige Regeln und Moralvorstellungen.“

Bemerkenswert ist, dass die verschiedenen Artikel zu diesem Thema in den unterschiedlichen Medien zum Teil identischen Wortlaut besitzen. Zu vermuten ist daher, dass die Textgrundlage eine vorformulierte Pressemitteilung oder Agenturmeldung war. Mich hat das Thema und vor allem die Studie 2)Piff et al., Higher social class predicts increased unethical behavior, PNAS, 26.1.2012 interessiert, auf die in den Artikeln immer wieder Bezug genommen wurde. Also habe ich 10 Dollar investiert und mir die Studie ein bisschen näher angesehen. Mein Fazit vorweg: die Studie ist nicht wirklich repräsentativ, ohne große Aussagekraft, begrifflich unsauber, und sie zieht voreilige Schlussfolgerungen.  Doch etwas mehr im Detail.

Die Psychologen Piff et al. stellen die Hypothese auf, dass Menschen der sozialen Oberschicht (gemessen an Faktoren wie Wohlstand, beruflichem Prestige und Bildungsgrad) eher zu unethischem Verhalten neigen als Mitglieder sozial niedriger Schichten. Als einen der Gründe identifizieren sie die positive Einstellung zu Gier. Um ihre Hypothese zu überprüfen haben die Forscher 2 Feldstudien und 5 Experimente durchgeführt.

 

Dicke Autos im Ethik-Test

Feldstudie 1 und 2: In diesen Feldstudien ließen die Forscher beobachten, wie sich die Fahrer verschiedener Fahrzeugklassen (Kategorien 1-5) an einer belebten Kreuzung in San Francisco verhalten. Insbesondere interessierte sie, welche Fahrzeuge häufiger anderen Fahrzeugen die Vorfahrt nahmen. In der zweiten Feldstudie überprüfte man, welche Fahrer eher Fußgänger an einem Fußgängerüberweg die Straße überqueren lassen. Im ersten Fall haben von 27 Oberklassefahrzeugen (Kategorie 5) 8 Fahrzeuge die Vorfahrt genommen. Von 24 Fahrzeugen der absoluten Unterklasse (Kategorie 1) dagegen nur 2.

Folgende Bemerkungen dazu: a) Aus dem Verhalten von 27 Fahrern von Fahrzeugen der Oberklasse auf ein generell rüpelhaftes Verhalten von Mitgliedern der sozialen Oberschicht zu schließen, erscheint mir mutig.

b) Selbst wenn es korrekt wäre, dass die Datenmenge repräsentativ ist, ließe sich daraus nicht auf ein allgemein unethisches Verhalten in der sozialen Oberschicht schließen. Das Einzige, was man schließen könnte, ist folgendes: an Kreuzungen in San Francisco gibt es eine Tendenz, dass Fahrzeuge der Oberklasse, eher die Vorfahrt nehmen als Fahrzeuge der untersten Klasse. So what?

c) Ich will gar nicht auf die Schwierigkeiten eingehen, die sich aus der Frage ergeben, wie genau festgestellt wird, dass ein Fahrzeug einem anderen die Vorfahrt genommen hat, oder welchen Bias es bei den insgesamt nur vier Beobachtern gab. Insgesamt kam man bei der Feldstudie nämlich zu einem Korrelationskoeffizienten von 0,36. Ein Wert zwischen 0 und 0,2 drückt dabei einen schwachen korrelativen Zusammenhang aus, ein Wert zwischen 0,2 und 0,6 einen mittleren Zusammenhang und erst ein Wert zwischen 0,6 und 1 einen starken Zusammenhang. Während Psychologen häufig schon mit einem Wert von 0,3 glücklich sind, erreicht man in der Physik oft Korrelationen von 0,9.

Auch die zweite Feldstudie „zeigte“ übrigens, dass Fahrer von Oberklassefahrzeugen eher dazu neigen, an Zebrastreifen Fußgängern nicht den Vortritt zu lassen als Fahrer von unterklassigen Fahrzeugen. Dabei wurden übrigens nur 5 Fahrzeuge der untersten Kategorie in dieser zweiten Feldstudie erfasst. Daraus wiederum auf eine größere Tendenz zu unethischem Verhalten bei Mitgliedern der Oberschicht zu schließen, ist vollkommen überzogen. Ich empfehle die gleiche Studie mal in Neapel durchführen zu lassen.

Undergraduates – das Böse im Menschen

In einer dritten Studie wurden den Probanden 8 Szenarien vorgelegt. Und sie mussten entscheiden, wie wahrscheinlich es wäre, dass sie sich in diesen Situationen eher unethisch verhalten würden. Danach nahmen die Probanden eine Selbsteinschätzung vor, bei der sie sich auf einer Skala sozioökonomisch selbst einordnen sollten. Hier zeigte sich – laut Forscher -, dass ein Zusammenhang zwischen einer höheren Klasseneinstufung und der Wahrscheinlichkeit zu unethischem Verhalten besteht. Aber aufgepasst: Korrelation 0,13. Übrigens waren die Studienteilnehmer alle Undergraduate-Studenten einer Universität. Ob da wirklich alle relevanten sozialen Schichten erfasst wurden?

In Studie 4 – einer ebenfalls wieder mit Studenten durchgeführten Studie – mussten die Probanden erneut eine sozioökonomische Selbsteinschätzung durchführen, und danach – während einer Wartezeit – kam ein Experimentator in den Raum und stellte eine Schüssel mit Bonbons auf den Tisch. Er sagte: „Diese Süßigkeiten sind eigentlich für die Kinder in einem anderem Laborexperiment gedacht. Aber sie können sich gern etwas davon nehmen, wenn sie wollen.“ Und wer griff nun beherzter zu? Menschen, die sich nach Selbsteinschätzung auf der sozialen Leiter eher höher einstuften. Die Probanden, die sich höher einstuften, nahmen im Mittel 1,17 Süßigkeiten. Die, die sich niedriger einstuften, nahmen 0,67 Süßigkeiten im Durchschnitt.

Erstens erscheint mir in diesem Fall nicht richtig, davon zu sprechen, dass sich die Probanden, die sich ein Bonbon genommen haben, wirklich unethisch verhielten. Sie haben vielleicht weniger an andere Personen gedacht und sich mit größerer Selbstverständlichkeit etwas genommen, was ihnen angeboten worden war. Daraus am Ende zu konstruieren, dass diese Personen eher zu unethischem Verhalten neigen, ist ganz einfach voreilig. Ich halte außerdem die Methode der sozialen Selbsteinschätzung für problematisch, weil die Einstufung durch ganz unterschiedliche Dinge beeinflusst werden kann (subjektives Selbstwertgefühl, Anpassung an die Erwartung des Experimentators, etc). Die Schlussfolgerung, die dieser Test maximal erlaubt: Menschen, die sich einer höheren sozialen Schicht zurechnen, nehmen Angebote wie Bonbons eher an, auch wenn dieses Angebot mit einem Verlust für andere Personen verbunden ist.

Eigennutz und Gier

Eine letzte Studie möchte ich noch besprechen, nämlich ein Experiment, in dem Piff et al. einen Zusammenhang zwischen sozialem Status, Gier und moralischem bzw. unmoralischem Verhalten herstellen wollten. Dabei will ich mich nur auf ein Instrument konzentrieren, das die Psychologen benutzten, um eine positive Einstellung zu Gier zu identifizieren. Es handelt sich dabei um eine Liste von Aussagen, die man auf einer Skala von „stimme nicht zu“ bis „stimme vollkommen zu“ bewerten kann. Hier sind die Aussagen (meine Übersetzung):

Um in unserer Gesellschaft erfolgreich zu sein, muss man jede Gelegenheit nutzen.

Es ist nicht moralisch falsch, zuerst an seinen eigenen Nutzen zu denken und dann an den anderer Menschen.

Man sollte eher den Nutzen der Gruppe beachten als den eigenen Nutzen (reverse-scored).

Die Verfolgung der eigenen Interessen sollte nur dann erlaubt sein, solange das Gemeinwohl nicht gefährdet wird (reverse-scored).

Ich mag Wettbewerb.

Es ist abstoßend, wenn man andere Menschen für eigene Zwecke ausnutzt. (reverse-scored).

In den Schulen sollte mehr Wert darauf gelegt werden, die Schüler zu mehr Rücksicht auf die Gemeinschaft zu erziehen.

Wie man mit Hilfe dieser Aussagen die Tendenz zu Gier messen will, ist mir vollkommen schleierhaft. Was damit eher gemessen wird, ist der Grad von Eigeninteresse vs. Fremdinteresse, aber keinesfalls Gier. Piff et al. stellen daher ganz dubiose Zusammenhänge her und arbeiten begrifflich unsauber. An keiner Stelle wird beispielsweise der Begriff „Gier“ in irgendeiner Weise geklärt oder definiert. Es wird einfach unterstellt, dass ein höherer Grad von Eigeninteresse eine Form von Gier darstellt. Das ist falsch. Ein Mensch kann sich in allen seinen Handlungen an seinem eigenen Interesse orientieren, ohne gierig sein zu müssen.

Der Erkenntniswert dieser Studie ist gleich Null. Es wird lediglich ein statistisches Auswertungsbrimborium mit einer dürftigen, nicht repräsentativen Datenbasis veranstaltet. In der PR Maschinerie aber werden diese Null-Erkenntnisse zu wissenschaftlichen Harcore-Facts aufgemotzt.

Das Ärgerliche daran ist, dass unsere ach so kritischen Journalisten dabei vergnüglich mitspielen. Sie tun das entweder aus Unwissenheit (dann „Gute Nacht Qualitäts-Journalismus“) oder aus Kalkül (dann „Herzlichen Dank für den Zynismus“).

Thomas Wilhelm

References   [ + ]

1. Online-Ausgabe vom 28.2.2012
2. Piff et al., Higher social class predicts increased unethical behavior, PNAS, 26.1.2012

About

View all posts by

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert