Rechtspopulismus eindämmen: Was funktioniert nicht? (Teil 3)

In Teil 1 habe ich zwei Argumentationsstrategien gegen den Rechtspopulismus näher untersucht und erklärt, warum sie nicht funktionieren. In Teil 2 habe ich das für zwei eher handlungsorientierte Ansätze gezeigt. Zum Abschluss meiner Bestandsaufnahme widme ich mich einem extrem gefährlichen Vorschlag: Stärken wir die Basisdemokratie im Kampf gegen Rechts!

Stärkung und Ausbau basisdemokratischer Elemente funktionieren nicht

Gerade in Reaktion auf das Wahlergebnis in Thüringen fordert z.B. Mehr Demokratie wagen e.V. eine konsequente Stärkung basisdemokratischer Elemente.1)https://www.mdr.de/thueringen/landtagswahl/verein-fordert-neuen-anlauf-fuer-mehr-direkte-demokratie-100.html Auch von grüner Seite wird diese Idee bisweilen vertreten. Ich nehme an, dass dahinter neben einem guten Schuss Wunschdenken und Naivität das Erfolgserlebnis im Zusammenhang mit einigen Volksbegehren der jüngeren Zeit steht. Vielleicht auch die beschwingende Erfahrung, plötzlich „Volkspartei“ zu sein.

Mir ist allerdings nicht klar, wie man angesichts der Entwicklung des Rechtspopulismus in Europa auf so einen Einfall kommen kann. Es sei denn, man möchte diesen ganz gezielt fördern und den Rechtsstaat weiter beschädigen. 

Das Problem ist offensichtlich: Der Rechtspopulismus ist ein lupenreines demokratisches, ja sogar basisdemokratisches Phänomen! 

  • Trump, Farage, Johnson, Salvini, Le Pen, Orban, Strache, Bolsonaro, Höcke und wie sie alle heißen haben sich nicht durch undemokratische Tricks und Schiebereien in die Parlamente und Regierungen geschummelt. 
  • Sie und ihre Projekte wie der Brexit wurden unter demokratischen Rahmenbedingungen von sehr vielen Bürgern ganz bewusst in freien Wahlen gewählt. Sie genießen beim Wahlvolk enorme Popularität. 
  • Alle Argumente zu rechtspopulistischen Positionen waren und sind jedermann leicht zugänglich und auch nicht besonders schwer zu verstehen.  

Es gefällt mir auch nicht, aber Fakt ist: Die Rechtspopulisten sind unter demokratischen Rahmenbedingungen so stark geworden. Genauer:

  • Eine hohe Wahlbeteiligung hilft ihnen in der Regel, weil sie es sehr gut verstehen, ihre Anhänger und Sympathisanten zur Stimmabgabe zu motivieren.
  • Rechtspopulisten verstehen es sehr gut, bisherige Nicht-Wähler für sich zu gewinnen und auch diesen Personenkreis zur Stimmabgabe zu bewegen.
  • Rechtspopulisten fällt es leicht, schwungvolle und „interessante“ Wahlkämpfe zu organisieren und zu führen. Sie konzentrieren sich auf emotionale Themen, ignorieren alles, was „langweilig“ ist und fühlen sich weder an Wahrheit, Vernunft oder Anständigkeit gebunden. Das verschafft ihnen einen deutlichen Vorteil gegenüber der (etwas) seriöseren politischen Konkurrenz und kommt offensichtlich bei vielen Wählern sehr gut an.
  • Wenn Parlamente schwache Arbeit leisten, sollten in einer Demokratie neue und unverbrauchte Kräfte eine Chance erhalten. Wer kann bestreiten, dass die etablierten politischen Kräfte dem Rechtspopulismus in vielen Ländern durch eigene Schwäche und Unvermögen den Weg bereitet haben?2)Diesen Aspekt habe ich in meiner Analyse ausführlich behandelt: https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/

Warum funktionieren Stärkung und Ausbau basisdemokratischer Elemente nicht?

Es ist leicht zu sehen, warum eine Stärkung basisdemokratischer Elemente und Mechanismen völlig ungeeignet ist, den Rechtspopulismus einzudämmen. Ein Blick auf dessen Sammlung von Erfolgsrezepten genügt:

  • Mehr Volksbegehren oder Volksabstimmungen würden unsere Gesellschaft in eine Art Dauer-Wahlkampf zu ausgesprochen emotionshaltigen und polarisierenden Themen verwickeln. Dass und warum dabei die Vorteile auf Seiten der Rechtspopulisten liegen, habe ich oben schon gezeigt. Diese ständigen Wahlkämpfe bergen aus meiner Sicht das große Risiko, Zusammenhalt und Stabilität der Gesellschaft weiter zu schwächen und die Verfassung als Konsensbasis noch stärker auszuhöhlen. Als Alternative könnte sich eine Art politischer Wurstigkeit oder Apathie einstellen – das war in Großbritannien zu Ende der ganzen Brexit-Diskussionen zu beobachten. Auch das Ergebnis davon ist bekannt.
  • Die Wähler der Rechtspopulisten sind weitgehend immunisiert gegen rationale Argumente. Für sie steht die Treue zur eigenen Partei oder Bewegung an oberster Stelle. Das sichert im Rahmen von Volksabstimmungen grundsätzlich eine sehr solide und erfolgsversprechende Ausgangsbasis.
  • Im Wahlkampf gelten allgemein laxere Regeln für die Diskussion und den Umgang mit Argumenten als im parlamentarischen Alltag. Dem Rechtspopulismus ist es eh schon gelungen, die liberalen Diskussionsregeln teilweise außer Kraft zu setzen und die Primitivität zu enttabuisieren.3)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-saga-vom-starken-retter-der-not-teil-6/ Die Einführung zusätzlicher basisdemokratischer Elemente würde ihm dafür ein noch größeres Exerzierfeld verschaffen. Ich sehe ein großes Risiko, dass im Laufe der Zeit alle Beteiligten diesen Weg hin zum rhetorischen Faustrecht mitgehen werden (müssen). Wollen wir eine derartige Entwicklung in unserer Gesellschaft?
  • Das rechtspopulistische Demokratieverständnis ist nicht an Individualrechte und Rechtsstaatlichkeit gebunden. Sehr anschaulich und offen hat das der ehemalige FPÖ-Innenminister Kickl formuliert: Das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht!4)https://www.zeit.de/2019/06/herbert-kickl-innenminister-fpoe-agenda-setting-medien-empoerung Kurz: Demokratie ist für AfD, FPÖ, Lega Nord und Konsorten ein sehr wirkungsvoller Hebel, um Rechtsstaat und liberale Individualrechte außer Kraft zu setzen. Je mehr Demokratie, desto länger und gefährlicher der Hebel …

Also: Wer tatsächlich glauben sollte, dass mehr Demokratie ein taugliches Mittel gegen den Rechtspopulismus darstellt, muss  diese Argumente und Überlegungen entkräften.5)Er sollte auch darüber nachdenken, warum die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, in ihrem Deutschlandplan einen Ausbau der direkten Demokratie fordert: https://generationdeutschland.de/wp-content/uploads/2019/03/Deutschlandplan-der-Jungen-Alternative-Freiheitliche-Positionen-für-unsere-Heimat.pdf 

Zur Abrundung soll noch eine sehr heikle aber naheliegende Frage gestellt und kurz beantwortet werden: 

Warum haben die basisdemokratischen Taktiken der Rechtspopulisten bei so vielen Wählern so großen Erfolg? 

Die unbequeme Antwort findet sich bei Ökonomen wie Bryan Caplan und Philosophen wie Jason Brennan.6)Bryan Caplan: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies. Princeton, 2007. Jason Brennan: Against Democracy. Princeton, 2016. Diese haben umfangreiches Datenmaterial gesichtet, ausgewertet und sind für die USA zu folgenden Ergebnissen gekommen:

Die allermeisten Wähler 

  • wissen kaum etwas über politische Themen (z.B. Außen- und Innenpolitik, Wirtschaft, Finanzen, Inhalte der Verfassung);
  • glauben fest an nachweislich falsche oder ungeeignete Lösungsansätze für politische Fragestellungen;
  • sind systematisch irrational. Das heißt, es fehlen die Anreize, die beiden eben angesprochenen Defizite durch Bildung abzubauen: Direkte negative Folgen einer inkompetenten Ausübung des Wahlrechtes sind für den Einzelnen nicht zu befürchten.

Aus meiner Erfahrung heraus gehört noch ein Punkt auf die Liste der – leider – typischen Eigenschaften:

  • Die allermeisten Wähler sind nicht in der Lage, normative Argumente, also Argumente im Bereich von Moral und Gerechtigkeit, auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen oder gar selbst zu entwickeln. Diese normative Argumentationskompetenz sollte eigentlich in der Schule konsequent vermittelt werden. Leider verschwenden wir dort sehr viel Zeit mit Sinnlosigkeiten wie Religionsunterricht.7)Dazu: https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/weg-mit-dem-religionsunterricht-teil-1/

Um Missverständnisse zu vermeiden: Das heißt per se nicht, die Wähler seien „flächendeckend dumm“. Die Erklärung der angesprochenen Defizite kann vielschichtig sein: Zeitmangel bei intelligenten Zeitgenossen kann erklären, warum sie im Bereich von Politik, Wirtschaft und Finanzen so ahnungslos sind; sozialer Konformitätsdruck in bestimmten Gemeinschaften wäre ein weiterer Ansatz. 

Aber: Diese Kombination von Eigenschaften öffnet natürlich geschickten Manipulatoren – und das sind die Rechtspopulisten – ein weites und erfolgsversprechendes basisdemokratisches Betätigungsfeld. 

Und jetzt meine Frage an den Leser: Glauben Sie wirklich, dass sich die Wählerschaft bei uns wesentlich von der in den USA in Bezug auf die oben genannten Aspekte unterscheidet?

Mein Fazit

Eine Stärkung basisdemokratischer Elemente wäre eine Steilvorlage für die Rechtspopulisten:

  • Schritt 1: Das bestehende System soll durch harte, beständige und unnachgiebige Kritik diskreditiert werden. Mehr Basisdemokratie ermöglicht und erzwingt geradezu die rechtspopulistische Dauerkritik anhand hoch emotionaler Themen. Rechtspopulisten lieben den Dauerwahlkampf übrigens auch, weil sie dann keinen Leistungsnachweis durch seriöse parlamentarische Arbeit erbringen müssen.
  • Schritt 2: Die kritisierten Schwachstellen werden als irreparables Systemversagen interpretiert. Ständige gesellschaftliche Zerrissenheit im Dauerwahlkampf und bei vielen emotional geladenen Fragestellungen verstärkt die rechtspopulistische These, das System sei am Ende.
  • Schritt 3: Die eigene Partei oder Bewegung wird als einzig mögliche Rettung verkauft. Mehr Basisdemokratie birgt das hohe Risiko, dass die Rechtspopulisten sich noch „überzeugender“ als Retter in der Not anbieten dürfen. Erfolge bei Volksabstimmungen oder Volksbegehren werden ihnen den Weg in die Parlamente und in Koalitionen noch leichter machen. Und dort wollen sie hin.

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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PD Dr. Andreas Edmüller, 6. Februar 2020

References   [ + ]

1. https://www.mdr.de/thueringen/landtagswahl/verein-fordert-neuen-anlauf-fuer-mehr-direkte-demokratie-100.html
2. Diesen Aspekt habe ich in meiner Analyse ausführlich behandelt: https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/
3. https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-saga-vom-starken-retter-der-not-teil-6/
4. https://www.zeit.de/2019/06/herbert-kickl-innenminister-fpoe-agenda-setting-medien-empoerung
5. Er sollte auch darüber nachdenken, warum die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, in ihrem Deutschlandplan einen Ausbau der direkten Demokratie fordert: https://generationdeutschland.de/wp-content/uploads/2019/03/Deutschlandplan-der-Jungen-Alternative-Freiheitliche-Positionen-für-unsere-Heimat.pdf
6. Bryan Caplan: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies. Princeton, 2007. Jason Brennan: Against Democracy. Princeton, 2016.
7. Dazu: https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/weg-mit-dem-religionsunterricht-teil-1/

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