Seit einiger Zeit wird die Frage sehr intensiv diskutiert, ob wir an unseren (steuerfinanzierten) Schulen flächendeckend Islamunterricht einführen sollten. In einigen Bundesländern ist das schon geschehen. Das Hauptargument der Befürworter ist bekannt: Es solle der „wahre“, also gemäßigte, tolerante und friedliche Islam als Schutz gegen Fundamentalismus und religiöse Radikalisierung gelehrt werden.1)Bischof Bedford Strohm, Ratsvorsitzender der EKD auf tagesschau.de vom 27.5.2016: EKD will Islamunterricht an allen Schulen. Das will auch die Islamlehrerin Lamya Kaddor auf ekir.de vom 11.2.2016: Islamunterricht schützt vor Radikalisierung. Wie gerade Frau Kaddor auf diese Idee kommt, verstehe ich nur bedingt: 5 ihrer Schüler sind als Teil der Lohberger Brigade in den Dschihad nach Syrien gezogen und haben dort sehr viel Unheil angerichtet. Zur Plausibilisierung dieses Gedankens wird gerne auf die friedliche und von Toleranz geprägte Lesart des Christentums verwiesen, die schon lange und sehr erfolgreich unseren Schülern nahegebracht werde – und zwar durch staatlich ausgebildete Religionslehrer.
Was ist von islamischem Religionsunterricht zu halten? Die Antwort kann in einem Wort zusammengefasst werden: Nichts! Im folgenden werde ich dafür plädieren, konfessionellen Religionsunterricht grundsätzlich aus unseren Schulen zu verbannen und an seine Stelle (endlich) eine an Aufklärung und Vernunft orientierte kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomenbereich Religion und dessen typischen Auswüchsen zu setzen.
Säkularisierung bei uns
Tatsächlich ist das Christentum nach dem 2. Weltkrieg (bei uns) weitgehend säkularisiert und befriedet worden. Genauer: Die heute bei uns von den meisten Christen offiziell vertretene Lesart ihres Glaubens bzw. der Bibel hat wichtige Inhalte der säkularen Moral übernommen (speziell in der theologischen Kerndisziplin der Sexualmoral) und akzeptiert weitgehend unsere Verfassung als politischen Ordnungsrahmen (zumindest offiziell). Diese inhaltliche Neuausrichtung wird deutlich, wenn man sich mit dem Auftreten des Christentums und seiner Kirchen in der Weimarer Republik, seiner Zusammenarbeit mit Hitler und der nachfolgenden Rolle im Nationalsozialismus beschäftigt.2)Karlheinz Deschner: Mit Gott und den Faschisten. Stuttgart, 1965. Ernst Klee: Die SA Jesu Christi. Frankfurt, 1989.
Selbstverständlich ist diese „rechtsstaatliche Säkularisierung“ des Christentums leider nicht. Ein Blick nach Ungarn auf die Rolle der katholischen Kirche bei der Beschneidung von Grundrechten in Zusammenarbeit mit Orbán macht das schnell klar. Auch in Russland kann Putin auf die orthodoxen Christen und ihre kirchlichen Organisationen als zuverlässige Verbündete zählen. Bei uns zeigt der gesamte Themenkomplex Missbrauch, dass speziell die katholische Kirche sich nach wie vor als „Kirchenstaat im Rechtsstaat“ versteht. Vertuschen, Verschleiern, Abwiegeln, Verdrängen, Mauern sind die Mittel der Wahl zur Bewältigung bzw. zum Aussitzen dieser Krise.
Wie funktioniert Säkularisierung?
Für diese partielle „Normalisierung“ in der BRD den Religionsunterricht auch nur teilverantwortlich zu machen – das scheint mir sehr weit hergeholt. Wesentlich wirkungsvoller war und ist in dieser Beziehung doch ein säkularer Rechtsstaat, der zentral wichtige Bereiche unserer politischen Ordnung konsequent von religiösen Einflüssen freihält und vor allem eine offene Gesellschaft ermöglicht, die es den Bürgern erlaubt, sich und ihre Lebensführung religösen und kirchlichen Einflüssen risiko- und anstrengungsfrei zu entziehen.
Genau dagegen wehrt sich bei uns das organisierte Christentum immer noch mit Händen und Füßen. Staatliche Zuwendungen auf vielen Ebenen (Kirchensteuer, Bischofsgehälter etc.), Konkordatslehrstühle (Hitlers Belohnung für erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Zerstörung der Weimarer Republik), staatlich finanzierte Lehrstühle für Theologie, starker Einfluss auf alle öffentlich-rechtlichen Medien und eben auch flächendeckender Religionsunterricht usw. sind Überbleibsel christlicher Macht. Sie sind im säkularen Rechtsstaat nicht zu rechtfertigen und werden trotzdem von vielen Christen und ihren Kirchen erbittert verteidigt.
Eine historische Frage: Wann hätte das organisierte Christentum jemals einen wirklich signifikanten Beitrag zur Eigensäkularisierung geleistet? Sind die Kirchen (bei uns) aus eigener Einsicht wenigstens von den absurdesten ihrer Positionen zur Sexualmoral (vorehelicher Geschlechtsverkehr, Verhütung, gleichgeschlechtliche Liebe etc.) oder zur Stellung der Frau abgewichen? Nein – sie mussten das (zähneknirschend) tun, wollten sie den Kontakt zur offenen Gesellschaft und den Bürgern nicht völlig verlieren. Und sie hatten einfach keine Machtmittel mehr, um ihre Positionen dem Rest der Gesellschaft aufzuzwingen.
Der christliche Religionsunterricht spiegelt diese Entwicklung wider: Er ist mit Sicherheit kein Motor der Säkularisierung (gewesen), sondern bildet vermutlich stark zeitverzögert ab, was offene Gesellschaft und Rechtsstaat dem Christentum abverlangen. Ein Beispiel: Als ich die katholische Knabenvolksschule in meiner niederbayerischen Heimatstadt in den sechziger Jahren besuchte, wurden von unserer Katechetin jeden Mittwoch in der Religionsstunde die Inhalte der Predigt aus dem vorangegangenen Schulgottesdienst abgefragt. Wer keine gute Antwort hatte, wurde brutal geohrfeigt, in manchen Fällen sogar nach Strich und Faden verprügelt. Natürlich nur zu unserem Besten. Danach wurde gebetet. Unsere Eltern haben es erst nach jahrelangen Diskussionen geschafft, diese Psychopathin entfernen zu lassen. Das war damals aber ein sehr harter und risikoreicher Kampf – auch und gerade gegen die zuständigen kirchlichen Stellen.3)Nein, mich hat es so gut wie nie erwischt. Meine Freunde und ich waren zwar meistens mit interessanteren Dingen als dem Schulgottesdienst beschäftigt, geheimdienstlich aber exzellent organisiert.
Mein Fazit: Ja, es hat sich in wenigen Jahrzehnten viel verändert bei uns. Aber diese Veränderungen hin zu einem friedlicheren Glaubensverständnis haben Rechtsstaat und offene Gesellschaft vom Christentum und seinen Kirchen eingefordert und erzwungen – gegen deren immer noch anhaltend starken und zähen Widerstand. Der Religionsunterricht hat diese Entwicklung hin zur Säkularisierung sicher nicht aktiv unterstützt oder verstärkt. Eher die Option, nicht daran teilzunehmen. Warum aber sollte islamischer Religionsunterricht eine andere Rolle spielen können als der christliche?
Schutz gegen Radikalisierung im Unterricht?
Die ganze Diskussion um die angebliche Schutzwirkung von islamischem Religionsunterricht ist für mich als überzeugten Liberalen sehr befremdlich, um nicht zu sagen gespenstisch. Nach den rassistisch motivierten NSU-Morden oder den Terrorverbrechen der Baader-Meinhof Bande hat ja auch niemand vorgeschlagen, unseren Schülern die „eigentlich friedlichen“ Seiten einer rassistischen, rechts- oder linksradikalen Weltsicht näherzubringen. Man hat wohl eher versucht, im Unterricht deren Absurditäten, Fehler, Widersprüche und moralische Verwerflichkeit herauszuarbeiten – völlig zu Recht. Nur so, also durch vernünftige Analyse, Aufklärung und Erkenntnis, kann eine offene Gesellschaft sich dauerhaft vor den wechselnden Angriffen politischer Fundamentalismen und Radikalismen schützen! Das moralische und intellektuelle Rüstzeug dafür sollte natürlich auch im Schuluntericht vermittelt werden.
Warum sollten wir beim Problemfall Religion bzw. religiös motivierter Terror anders vorgehen? Ein kurzer Blick auf die Geschichte der großen Religionen, speziell auf Islam und Christentum, zeigt doch in aller schrecklichen Deutlichkeit, dass Gewalt, Terror, Folter, Unterdrückung, Kriegshetze und eine tief verwurzelte Verachtung jeweils großer Teile der nicht- oder andersgläubigen Menschheit für diese konstitutiv sind. Auch die Beispiele für ein halbwegs friedliches und zwangfreies Miteinander verschiedener Religionen oder auch nur Glaubensrichtungen sind sehr spärlich gesät – Zwist, Machtstreben, eine enorm hohe Gewaltbereitschaft und Unversöhnlichkeit bestimmen Jahrhundert für Jahrhundert klar und eindeutig das historische Bild. Beide Religionen ziehen eine tiefrote und sehr breite Blutspur durch die Jahrhunderte hinter sich her.4)Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Band 1-10. Reinbek, 1986 bis 2013. Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt, 2001.
Wie gesagt, im europäischen Kulturkreis haben wir es auf Basis der Aufklärung geschafft, die Säkularisierung des Christentums immer weiter voranzutreiben und religiöse Einflüsse Schritt für mühsamen Schritt einzudämmen. Das erklärt, warum in vielen europäischen Staaten das Christentum tatsächlich vergleichsweise wenig aggressiv auftritt: Wir lassen einfach nichts anderes mehr zu.
Aufklärung und Säkularisierung sind aber leider (noch) kein globales Phänomen. Den Islam haben sie bis heute nicht in nennenswerter Breite und Tiefe erreichen können. Der Leser sei eingeladen, den „islamischen Kulturkreis“ einmal Region für Region durchzugehen und explizit islamisch-religiös geprägte Staaten und Gesellschaften wie Saudi Arabien oder den Iran auf ihr Freiheitspotential, ihr Moralverständnis und ihre jeweilige politische Gerechtigkeitskonzeption zu prüfen. Zur Abrundung dieser Bestandsaufnahme empfehle ich eine Abschätzung, wie zahl- und einflussreich die islamischen Theologen und Geistlichen sind, die weltweit Kampf, Terror und Krieg gegen Anders- und Nichtgläubige predigen, fordern und unmissverständlich legitimieren. Um eine unbedeutende Randgruppe handelt es sich jedenfalls nicht. Und dann bitte ich darum, die beiden folgenden Fragen ehrlich zu beantworten:
- Wie plausibel ist es, von dieser Religion in ihrem aktuellen Zustand einen wirkungsvollen Beitrag zur weltanschaulichen Toleranz, zum Aufbau einer gerechten politischen Ordnung und einer offenen Gesellschaft zu erwarten?
- Was könnte, realistisch betrachtet, islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen daran ändern?
Mein Fazit in Frageform
- Wäre es alleine schon aus Gründen intellektueller Redlichkeit nicht angemessen, im Unterricht die inhaltlichen Absurditäten, Fehler, Widersprüche und moralischen Fehlleistungen von Christentum und Islam herauszuarbeiten und unseren Schülern zu vermitteln?
- Wäre eine solide fundierte Einsicht in die intellektuellen Defizite, moralischen Verirrungen und die daraus erwachsenen Untaten dieser Religionen und „religiösen Denkens“ insgesamt nicht der bessere Schutz gegen religiösen Fundamentalismus und religiöse Radikalisierung?
- Warum soll stattdessen versucht werden, diese Religionen in einem positiven Licht erscheinen zu lassen, dem sie in der historischen Realität nicht einmal ansatzweise entsprochen haben und auch aktuell nicht bzw. nur bedingt entsprechen?
PD Dr. Andreas Edmüller, 7. September 2016
References
1. | ↑ | Bischof Bedford Strohm, Ratsvorsitzender der EKD auf tagesschau.de vom 27.5.2016: EKD will Islamunterricht an allen Schulen. Das will auch die Islamlehrerin Lamya Kaddor auf ekir.de vom 11.2.2016: Islamunterricht schützt vor Radikalisierung. Wie gerade Frau Kaddor auf diese Idee kommt, verstehe ich nur bedingt: 5 ihrer Schüler sind als Teil der Lohberger Brigade in den Dschihad nach Syrien gezogen und haben dort sehr viel Unheil angerichtet. |
2. | ↑ | Karlheinz Deschner: Mit Gott und den Faschisten. Stuttgart, 1965. Ernst Klee: Die SA Jesu Christi. Frankfurt, 1989. |
3. | ↑ | Nein, mich hat es so gut wie nie erwischt. Meine Freunde und ich waren zwar meistens mit interessanteren Dingen als dem Schulgottesdienst beschäftigt, geheimdienstlich aber exzellent organisiert. |
4. | ↑ | Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Band 1-10. Reinbek, 1986 bis 2013. Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt, 2001. |