Rechtspopulismus eindämmen: Was tun? (Teil 6)

 

In Teil 4 habe ich dafür plädiert, den Rechtspopulismus, seine politischen Thesen und ideologischen Grundlagen ohne Abstriche in die kritische Debatte mit einzubeziehen. Das kann ihm nur schaden. In Teil 5 habe ich gezeigt, was darüber hinaus an politischem Handeln nötig ist: Wir müssen einerseits den Universalstaat Schritt für Schritt zurückbauen, damit er seine Kernaufgaben endlich wieder kompetent wahrnehmen kann. Andererseits gilt es, die für unsere Zukunft wirklich wichtigen Themen zu erkennen und in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen. Das würde dem Rechtspopulismus und dessen emotionalisierender Alarmismus-Strategie den Boden entziehen. 

Zum Abschluss skizziere ich, welche Veränderungen unsere politische Kultur zusätzlich benötigt, um dem Rechtspopulismus klar und entschlossen entgegentreten zu können. 

Wir sollten Individualrechte, Rechtsstaat und Parlamentarismus stärken

In Teil 3 hatte ich mir den seltsamen Einfall vorgenommen, dem Rechtspopulismus durch mehr Basisdemokratie zu begegnen. Das kann nicht funktionieren. Der Rechtspopulismus ist ein basisdemokratisches Phänomen und würde sich über noch mehr Öl in sein Feuer sehr freuen. Dauerwahlkampf ist genau das, was die Rechtspopulisten am liebsten machen und was sie am besten können.

Es stimmt allerdings, dass wir an den Grundlagen unserer politischen Kultur Verbesserungen vornehmen müssen. Konkret: Wir sollten den Rechtsstaat, die Individualrechte und die parlamentarische Demokratie stärken. Auf ihnen beruht unsere Gesellschaftsordnung. Und genau sie sind die Bollwerke gegen den rechten und linken Populismus; die Basisdemokratie sein Einfallstor. Was heißt das?

Was wir im Alltag unter Demokratie verstehen, ist ein komplexes Gebilde, das auf drei normativen Konzepten beruht. Dem Rechtsstaatsprinzip, dem Liberalismus – ausgedrückt im Gedanken der Menschenwürde – und der Demokratie. Rechtsstaat und Würde setzen der Demokratie und ihrer Reichweite klare Grenzen: 

  • Jeder – auch eine Mehrheit – ist an Recht und Gesetz gebunden.
  • Recht und Gesetz schützen jeden – auch den Einzelnen – vor Übergriffen und Angriffen durch andere, durch Mehrheiten und im Extremfall auch durch alle anderen. 

Der Rechtspopulismus ist zwar dem Demokratiegedanken sehr zugeneigt, dem Rechtsstaatsprinzip und starken Individualrechten aber feindlich gesinnt. Mit den demokratischen Mehrheiten, die er sich zu mobilisieren zutraut möchte er ja gerade Rechtsstaat und Individualrechte aushebeln. 

Warum sollten wir die Individualrechte stärken?

Ein Teil der Antwort findet sich bereits in meinen Argumenten für den Rückbau des Universalstaates: 

  • Wir brauchen wieder mehr Raum für Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Aufgeschlossenheit für neue Wege und Formen der Lebensgestaltung.
  • Genau darauf beruhen die Flexibilität, die Kreativität, die Stabilität und damit die Stärke einer offenen Gesellschaft.

Der zweite Teil ist ganz direkt im Zusammenhang mit dem Demokratieverständnis der Rechtspopulisten wichtig: Individualrechte verhindern 

  • die Vereinnahmung der Bürger durch eine nationale Kultur, Religion oder eine Volksgemeinschaft;
  • die Diskriminierung oder das Verbot nicht-traditioneller Formen der Lebensgestaltung;
  • die geistige und normative Gleichschaltung der Bürger.

Genau diese Dinge streben die rechten (und linken) Populisten an!1)Übrigens auch die Religionen bzw. ihre Institutionen. Ihr Werkzeug dazu sehen sie in einer starken Basisdemokratie. Sie wissen genau, dass sie dazu die Individualrechte einschränken oder ganz beseitigen müssen. Ich möchte zur Verdeutlichung noch einmal an das offene Bekenntnis des ehemaligen Innenministers Kickl der Republik Österreich erinnern: 

Klarer kann man der Menschenwürde und dem Liberalismus den Krieg nicht erklären.

Warum sollten wir den Rechtsstaat stärken?

Meine Analyse hat leider klar gezeigt, dass unser Rechtsstaat durch das Gewähren willkürlicher Privilegien für alle möglichen Interessengruppen bis hin zur Duldung rechtsfreier Zonen schrittweise ausgehöhlt und geschwächt wurde und wird.3)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/ Dies wiederum führt zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit des Staates. Und genau da setzen die Rechtspopulisten mit ihrer Systemkritik und ihrem Angebot an, als Retter in der Not einzuschreiten.

Ein Blick auf die USA zeigt aktuell, wie gefährlich eine Aushöhlung des Rechtsstaates werden kann: Ein so zentraler Schutzmechanismus wie das Impeachment, das Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten, wurde von der Stimmenmehrheit der Republikaner ganz einfach ausgehebelt. Genauer: Im Rahmen eines Impeachment wird der Senat zum Gericht; deshalb leitet seine Sitzungen dann auch ein Richter. Schon lange vor der ersten Sitzung hatte die Mehrheit im Senat in aller Offenheit und Direktheit erklärt, dass

  • das Ergebnis bereits feststehe, nämlich Freispruch;
  • man die Befragung von Zeugen nicht zulassen werde;
  • man nicht im Traum daran denke, auch nur den Schein eines neutralen Verfahrens zu wahren.

Selbst wenn man kein Jurist oder Rechtsphilosoph ist, sieht man sofort: Mit einem akzeptablen Gerichtsverfahren hat das Nichts zu tun.

Das eigentliche Problem liegt aber jenseits dieses Einzelfalles, nämlich in der Zerstörung des politischen Systems durch eine Folge von Präzedenzfällen. Der politische Wille einer demokratischen Mehrheit hat einen ganz zentralen Baustein der Verfassung einfach ignoriert und so den Rechtsstaatsgedanken offiziell außer Kraft gesetzt. Das führt natürlich zu der berechtigten Frage: Was haben sie als nächstes vor?4)Es überrascht mich immer wieder, wie viel Aufmerksamkeit islamische und wie wenig christliche Fanatiker bei uns erhalten. Christliche Fanatiker haben seit Jahrzehnten gezielt und mit Plan die Republikaner unterwandert und stehen der Verfassung der USA sehr ablehnend gegenüber. Siehe dazu: A.F. Alexander: Religious Right. The Greatest Threat to Democracy. Colorado Springs, 2011. Frances FitzGerald: The Evangelicals: The Struggle to Shape America. New York, 2017.

Wie sollten wir den Rechtsstaat stärken?

Zum einen müssen Politiker und Wähler (!) wieder einsehen, wie wichtig die konsequente Orientierung an Recht und Gesetz und wie schädlich das Zulassen von Ausnahmen, Gewähren rechtsfreier Räume und feiges Wegschauen ist. Jedes einzelne Beispiel dafür ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und ihrer These vom Systemzerfall. Ansatzpunkte für schnelles Handeln gibt es leider in Hülle und Fülle:

  • Konsequentes Vorgehen gegen Phänomene wie die Rote Flora in Hamburg und die Riegaer Straße in Berlin.
  • Konsequentes Vorgehen gegen den braunen Sumpf, z.B. in Sachsen und den roten Sumpf, z.B. die sogenannte AntiFa.
  • Konsequente strafrechtliche Verfolgung von Kinderschändern und den Personen und Organisationen, die sie decken und schützen.
  • Konsequente Anwendung der Verfassung, von Recht und Gesetz auch auf religiöse Gemeinschaften – niemand steht über dem Recht.5)Zur Erinnerung: Damit sind Phänomene wie die religiös motivierte Beschneidung von Kleinkindern gemeint.

Kurz: Unser Staat muss endlich in aller Klarheit und Konsequenz dafür einstehen und dafür sorgen, dass Verfassung, Recht und Gesetz für jeden einzelnen Bürger gelten! Diese Beseitigung rechtsfreier Bereiche und fragwürdiger Privilegien ist ein unverzichtbarer Aspekt der Stärkung des Rechtsstaates. 

Zum anderen müssen Politiker und Wähler einsehen, dass wir uns gegen Angriffe auf Rechtsstaat und Verfassung konsequent und offensiv wehren dürfen und sollten. Ich denke dabei konkret an den Einsatz des Verfassungsschutzes und eine Reform der Parteienfinanzierung. Was heißt das?

Wer ständig zündeln, Propaganda machen und die Verfassung außer Kraft setzen möchte, braucht Geld. Daraus folgt der erste Baustein meines Lösungsvorschlags: Schaffen wir doch die Finanzierung der Parteien durch den Staat wieder ab – die AfD sitzt dann schnell auf dem Trockenen. Das wirft zwei Fragen auf: Was wird dann aus den anderen Parteien und warum sollte das den Rechtspopulismus eindämmen? 

Zusammen mit einem transparenten System für Parteispenden, des Verbots von Zuwendungen aus dem Ausland und den anderen von mir skizzierten Maßnahmen werden natürlich auch die Parteien, die auf dem Boden der Verfassung stehen, finanzielle Abstriche machen müssen. Aber:

  • Sie werden das überleben. Es ging ja auch sehr lange recht gut ohne Staatsfinanzierung. Man könnte sogar die Meinung vertreten, dass es früher besser lief.
  • Die Parteien könnten und sollten diese Mittelstreichung als Chance für eine offensichtlich bei einigen dringend nötige grundlegende Reform nutzen. Ideen dazu gibt es viele: Man könnte statt oberflächlichem Marketing im Wahlkampf die inhaltliche Arbeit verstärken und schärfen.6)Ich brauche z.B. von der FDP keine Kugelschreiber oder Papierfähnchen, sondern eine sinnvolle Konzeption zur Bildungspolitik. Man könnte sich auch überlegen, wie man wieder mehr Bürger zum Mitmachen gewinnen kann. Die Spezies des Parteifunktionärs scheint es ja aktuell nicht gerne zu sehen, wenn da plötzlich kompetente Zeitgenossen mitmischen wollen, ohne 20 Jahre lang Plakate geklebt zu haben. Ich bin sicher, meinen Lesern fallen da schon nach kurzem Nachdenken weitere Möglichkeiten ein … was sind Parteien denn anderes als relativ langlebige und gut durchorganisierte Bürgerinitiativen?
  • Aus liberaler und verfassungsrechtlicher Sicht ist die Finanzierung politischer Parteien durch die Steuerzahler sowieso eine ausgesprochen fragwürdige Konstruktion.7)Gleiches gilt natürlich für die christlichen Kirchen – es ist nicht einzusehen, warum z.B. Bischofsgehälter vom Steuerzahler bezahlt werden müssen.

Warum aber sollte das die Rechtspopulisten härter treffen als die anderen? Diese naheliegende Frage führt zum zweiten Baustein meiner Antwort: Ich plädiere für einen konsequenten Einsatz des Verfassungsschutzes. 

  • Wer offiziell beobachtet und als Verdachtsfall geführt wird, hat es im Rahmen eines transparenten Systems für Parteispenden vermutlich sehr schwer, nennenswerte Geldsummen einzusammeln: Welche Firma oder welcher Privatmann möchte da auf einer Spenderliste auftauchen?

Zur Erinnerung: Der Verfassungsschutz ist ein Teil des Konzeptes der wehrhaften Demokratie. Dieses wurde als Lehre aus der Zerstörung der Weimarer Republik durch antiliberale Extremisten und Spinner entwickelt. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht mit allen legalen und gerechten Mitteln gegen diese Leute wehren sollten.

Ich verfolge die Diskussionen zum Thema Verfassungsschutz sehr intensiv und stelle immer wieder fest, dass sehr viele schlicht und einfach sehr wenig über Historie, Kontrolle, Aufgaben und Mittel des Verfassungsschutzes wissen. Der Motivation, sich trotzdem zu Wort zu melden schadet das allerdings nicht. Aber leider sind Agentenfilme mit Sean Connery, Tom Cruise oder Arnold Schwarzenegger keine verlässliche Informationsquelle. 

Genau zu diesem Thema konnte ich eine Expertin für unseren Blog gewinnen. Ihre Ausführungen zum Thema Verfassungsschutz werden demnächst hier zu lesen sein – ich freue mich schon jetzt auf diese Abrundung meiner Ausführungen zum Rechtspopulismus!

Warum sollten wir die parlamentarische Demokratie stärken?

Neben der entschlossenen Stärkung von Individualrechten und Rechtsstaat benötigen wir als wirkungsvolle Reaktion auf den Rechtspopulismus eine konsequente Stärkung der parlamentarischen Demokratie – und gerade nicht der Basisdemokratie. Wie sieht meine Argumentation aus?

Ein Grund, warum die rechtspopulistische Taktik so erfolgreich ist, liegt in der Schwächung des Parlamentarismus durch den Universalstaat: Unsere Parlamente tun sich zunehmend schwer, eine klare gesetzgeberische Linie zu verfolgen und Probleme entschlossen anzugehen.8)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/

Dafür gibt es – wie gesehen – verschiedene Gründe:

  • Problem 1: Die Verzettelung des Universalstaates in alle möglichen Himmelsrichtungen führt zur Fragmentierung der Parteienlandschaft.
  • Problem 2: Mit der jahrzehntelangen Entwicklung hin zum Universalstaat ist ein ursprünglich weitgehend geteiltes Verfassungs- und Gerechtigkeitsverständnis als Konsensbasis erodiert. Deshalb wird es immer schwieriger, wirklich belastbare und der Sache angemessene Kompromisslösungen auszuhandeln.
  • Problem 3: In den Parlamenten sitzen natürlich Politiker, die wieder gewählt werden wollen. Dafür ist die „öffentliche Meinung“ bzw. die Beurteilung ihrer Arbeit durch die Wähler sehr wichtig. Wenn Meinung und Wähler aber immer mehr durch rechts- und linkspopulistische Emotionalisierung, Aufgeregtheit, Vereinfachung und Patentrezepte bestimmt und beeinflusst werden, ist zu erwarten, dass der Großteil der Parlamentarier sich dadurch beeinflussen lässt – leider.

Durch einen Ausbau basisdemokratischer Elemente würden diese drei Probleme höchstwahrscheinlich verschärft. Für die beiden ersten Probleme hätten wir durch den von mir vorgeschlagenen Rückbau des Universalstaates, die Stärkung des Rechtsstaatsprinzips und der Individualrechte wirkungsvolle Lösungen. Die Antwort auf Problem 3 legt die Stärkung des Parlamentarismus nahe.

Welche Vorteile hat die parlamentarische Demokratie?

Ich habe oben schon dafür plädiert, dass sich unsere Politik unabhängig vom rechtspopulistischen Dauer-Shitstorm auf die wirklich wichtigen Zukunftsthemen fokussieren sollte. Diese zu erkennen, zu verstehen und angemessen zu bearbeiten ist allerdings nicht leicht, oft genug auch unpopulär und fehleranfällig. 

  • Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die Außen- und Handelspolitik, aktuell zur detaillierten Gestaltung des Brexit: Hierzu wird es zahlreiche Verhandlungen „hinter den Kulissen“ geben, geprägt von Expertenwissen (zumindest auf Seiten der EU) und Vertraulichkeit. Dafür ist Vertrauen in die Verhandlungsführer und deren Integrität nötig – sie benötigen eine „lange Leine“. Selbstverständlich geht es auch hier nicht ohne demokratische Kontrolle – aber eben auch wieder durch Parlamentarier, die sich in der Materie gut auskennen (sollten) und mögliche Ergebnisse realistisch einschätzen und beurteilen können. Auf dem Stänker-Niveau von Facebook oder Twitter ist das garantiert nicht zu leisten.

Gleiches gilt für die meisten wichtigen Themen der Politik: Einfache Patentlösungen funktionieren leider nur sehr selten. Komplexität ist die Regel. Schon der Besuch einer Sitzung Ihres Gemeinde- oder Stadtrates macht das deutlich. Anders ausgedrückt: Der wirklich sinnvolle Einsatz basisdemokratischer Elemente ist für Diskussion, Verhandlung und Entscheidung sehr begrenzt. 

Deshalb haben wir Parlamente. Parlamente sind ein geschützter Raum, in dem kompetente Personen unseres Vertrauens in Ruhe arbeiten können sollten. Sie sollen den Abgeordneten ruhige und detaillierte Sacharbeit ermöglichen – und zwar ohne den täglichen Druck der Straße, ohne die kurzfristige Abhängigkeit einer meistens irrationalen, uninformierten und unberechenbaren „öffentlichen Meinung“, ohne die Furcht, sich für jeden kleinen Fehler am Empfängerende einer Hasskampagne wiederzufinden.

Das heißt ja nicht, dass Parlamente unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeiten. Aber: Wir sollten die Abgeordneten erst einmal in Ruhe arbeiten lassen. Diesen geschützten Raum für langfristig angelegte und an der Sache orientierte Arbeit bieten Parlamente. Historisch betrachtet sind wir in Europa damit doch sehr gut gefahren! 

Natürlich fühlen die Rechtspopulisten sich auf der Straße mit Megaphon und Transparenten, im Internet mit Hasskampagnen und Verschwörungstheorien wohler. Der Grund ist offensichtlich: An den Erfordernissen seriöser politischer Arbeit im Parlament scheitern sie erfahrungsgemäß sehr oft und sehr schnell. Das zeigt ein Blick auf die Parlamente, in die sie eingezogen sind und in denen sie ein mehr als klägliches Bild abgeben. Interne Streitereien und Spaltungen, inhaltliche Leere, politische Konzeptionslosigkeit und individuelle Unfähigkeit charakterisieren ihre Aktivitäten im Parlament.

Ein weiterer und ganz entscheidender Grund für eine konsequente Stärkung des Parlamentarismus ist, was wir an empirischen Daten zur politischen  Kompetenz der Bürger haben. Es ist sehr traurig, aber wahr: Die allermeisten Wähler wissen viel zu wenig, um sich eine belastbare Meinung zu politischen Fragen bilden zu können. Und von einer konstruktiven Mitarbeit an komplexen Lösungen ist dabei noch gar nicht die Rede! Mir ist schon klar, dass dieser Punkt den meisten Lesern ein gewisses Unbehagen bereiten wird – dieser Realität müssen wir uns aber stellen.9)Bryan Caplan: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies. Princeton, 2007. Jason Brennan: Against Democracy. Princeton, 2016. 

Wir sollten also den Rechtspopulisten nicht den Gefallen tun und „mehr Basisdemokratie wagen“. Wir sollten vielmehr über Fragen wie die folgenden nachdenken:

  • Wie kriegen wir besser informierte Wähler?
  • Wie kriegen wir mehr kompetente Abgeordnete in die Parlamente, die den dort zu bearbeitenden Fragestellungen tatsächlich gewachsen sind?
  • Wie kriegen wir mehr Sachverstand und Expertenwissen in die Ministerien? „Digitalisierung“ oder „Wirtschaft“ kann eben nicht jeder Abgeordnete – und aus deren Kreisen werden Minister in aller Regel ausgewählt.
  • Wie kriegen wir eine bessere Verzahnung der Parlamente und Ministerien  mit Wissenschaft, Expertenwissen und Expertenkönnen hin?

Mein Fazit

Die Stärkung von Individualrechten, Rechtsstaat und Parlamentarismus ist ein wichtiger Baustein einer Strategie zur Eindämmung des Rechtspopulismus.

  • Schritt 1: Das bestehende System soll durch harte, beständige und unnachgiebige Kritik diskreditiert werden. Sehr viele Kritikpunkte und Schwachstellen können durch die Stärkung von Rechtsstaat und Individualrechten behoben werden – was den Rechtspopulisten viel Wind aus den Segeln nimmt.
  • Schritt 2: Die kritisierten Schwachstellen werden als irreparables Systemversagen interpretiert. Ein Rechtsstaat, der sich entschlossen und fair gegen alle Angriffe wehrt funktioniert und zeigt, dass er funktioniert. In Kombination mit professioneller Arbeit in demokratisch gewählten Parlamenten wird die These vom Systemversagen sehr schnell und wahrnehmbar widerlegt.
  • Schritt 3: Die eigene Partei oder Bewegung wird als einzig mögliche Rettung verkauft. Wie gesagt: Ein funktionierender liberaler Rechtsstaat braucht keine Rettung – er ist das Beste, was wir erreichen können. In Parlamenten geben Rechtspopulisten erfahrungsgemäß ein eher bescheidenes Bild ab. Ich nehme an, dass deshalb sehr schnell die Frage auftauchen wird, wer uns vor ihnen und ihrer Inkompetenz retten soll. 

Nun haben wir erste Ideen, was gegen den Rechtspopulismus zu tun ist. Wie wird daraus ein Gesamtbild bzw. eine wirkungsvolle Strategie?

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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PD Dr. Andreas Edmüller, 24. Februar 2020

References   [ + ]

1. Übrigens auch die Religionen bzw. ihre Institutionen.
2. https://www.zeit.de/2019/06/herbert-kickl-innenminister-fpoe-agenda-setting-medien-empoerung
3, 8. https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/
4. Es überrascht mich immer wieder, wie viel Aufmerksamkeit islamische und wie wenig christliche Fanatiker bei uns erhalten. Christliche Fanatiker haben seit Jahrzehnten gezielt und mit Plan die Republikaner unterwandert und stehen der Verfassung der USA sehr ablehnend gegenüber. Siehe dazu: A.F. Alexander: Religious Right. The Greatest Threat to Democracy. Colorado Springs, 2011. Frances FitzGerald: The Evangelicals: The Struggle to Shape America. New York, 2017.
5. Zur Erinnerung: Damit sind Phänomene wie die religiös motivierte Beschneidung von Kleinkindern gemeint.
6. Ich brauche z.B. von der FDP keine Kugelschreiber oder Papierfähnchen, sondern eine sinnvolle Konzeption zur Bildungspolitik.
7. Gleiches gilt natürlich für die christlichen Kirchen – es ist nicht einzusehen, warum z.B. Bischofsgehälter vom Steuerzahler bezahlt werden müssen.
9. Bryan Caplan: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies. Princeton, 2007. Jason Brennan: Against Democracy. Princeton, 2016.

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