Das Ibiza-Video mit den Herren Gudenus und Strache (beide FPÖ) in den „männlichen“ Hauptrollen, zeigt zwei Dinge in aller Deutlichkeit:
- Illegale Parteienfinanzierung als Routinevorgang, „allzeit bereit“ zur Bestechlichkeit, tiefe Verachtung liberaler Schutzrechte wie dem der Presse- und Meinungsfreiheit und die vollständige Verständnislosigkeit gegenüber einer offenen und pluralistischen Gesellschaft sind bei Gudenus und Strache Teil ihrer politischen DNA, sie gehören zum selbstverständlichen Gesinnungsbestand.
- Strache ist ein zutiefst unreifer, dummer, charakterloser und unappetitlicher Mensch. Und vor allem: Ein ganz kleiner Wicht, der wahnsinnig gerne ein großer böser Wicht wäre.
Obwohl Straches politische Karriere zu Ende sein dürfte, hat er eine enorme Gefahr hinterlassen: Man kann davon ausgehen, dass die FPÖ randvoll mit Gesinnungsgenossen und Charakterfreunden ist, die in seinem Sinne weiterwirken werden. Da können wir uns noch auf einiges gefasst machen – aber leider gibt es da ein weiteres Problem.
Die eigentliche Gefahr sind die Wähler
Auf die eigentliche Gefahr hat uns das Ibiza-Video erst in Kombination mit der anschließenden Wahl zum Europaparlament aufmerksam gemacht. Sie wurzelt tiefer, nämlich in den Menschen, die derartige „Politiker“ wählen. Anders ausgedrückt: Politiker- und Parteienschelte ist zwar journalistisches Standardthema, bleibt aber viel zu oft an der Oberfläche. Das eigentliche Problem nämlich sind die Wähler. Was heißt das?
Strache hat vom letzten Listenplatz der FPÖ aus so viele Vorzugsstimmen erhalten (weit über 40000), dass es für ein Mandat in Brüssel ausreichen würde; die FPÖ insgesamt hat etwa 17% der Stimmen gewonnen.1)Besonders für Strache eingesetzt haben sich übrigens die rechtsradikalen Identitären: https://www.oe24.at/oesterreich/politik/Mehr-als-42-000-Vorzugsstimmen-EU-Mandat-Strache-darf-nach-Bruessel/382236932 Klar ist: Diese Wähler haben ihre Stimme Strache und der FPÖ in voller Kenntnis der Sachlage gegeben. Die naheliegende Erklärung: Sie befürworten es, wenn eine Partei den Staat bzw. die Steuergelder zur eigenen Beute oder der dubioser „Geschäftspartner“ macht, sie verachten Individualrechte und Rechtsstaatsprinzip, sie akzeptieren Korruption und Betrug … allerdings nur bei der FPÖ. Da scheint das alles irgendwie einem „höheren Zweck“ zu dienen. Bei anderen Parteien sieht man darin selbstverständlich einen empörenden Angriff auf „unsere“ Werte, Anständigkeit und Ehrlichkeit. Kurz: Diese Wähler sehen im „liberalen“ Rechtsstaat den Feind, der bekämpft und zerstört werden muss.
Die Entschärfungstaktiken greifen nicht
Strache selbst hat die ganze Sache gleich zu verharmlosen versucht, indem er sie zur bsoffenen Gschicht erklärt hat. Motto: Gä kumm, des häd ja am jeden von uns passier`n können … womit er für das FPÖ-Klientel Recht haben dürfte: Wenn die besoffen sind, reden sie vermutlich genau so daher wie ihr Ex-Chef. Ich vermute, das klappt bei sehr vielen auch nüchtern ganz gut.
Aber natürlich ist das keine plausible Erklärung – und schon gar keine Entschuldigung. Erstens war Strache keineswegs so betrunken, dass er nicht mehr gewusst hat, was er sagt. Er hat – im Gegenteil – genau gewusst, was er sagt. Er liefert im Video ein stimmiges und konsistentes Bild seiner politischen Überzeugungen und macht aus diesem Bild heraus ebenso stimmige Angebote an die vermeintliche Oligarchen-Nichte. So richtig blau oder high scheint er dann erst in den später aufgenommenen Teilen des Videos zu sein, die wir bis heute nicht zu sehen bekommen haben.2)Ich möchte sie auch nicht sehen. Zudem sei an den Volksmund erinnert: Kinder und Betrunkenen sagen die Wahrheit!
Auch die alternative Ablenkungstaktik greift nicht: Ja, es war eine Falle – aber das ändert Nichts an dem, was Strache im Video gesagt und getan hat. Er wusste ja nicht, dass es eine Falle ist. Dass die Fallensteller vermutlich aus fragwürdigen Motiven heraus gehandelt haben, ändert daran nicht das Geringste: Strache hat uns einen sehr glaubwürdigen, ehrlichen und überzeugenden Blick hinter seine Maske des Biedermannes und auf sein Verständnis von Politik und Gerechtigkeit ermöglicht.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht mir überhaupt nicht darum, auf den Österreichern herumzutrampeln. Das wäre unfair, denn leider haben sowohl diese Gesinnung als auch die zugehörigen Charaktere in vielen Ländern zur Zeit Hochkonjunktur: Trump, Farage, Johnson, Orban, Salvini und diverse Hoffnungsträger der AfD unterscheiden sich nicht wesentlich von Strache und stehen alle für die Internationalität der Problemlage.
Wie sollten wir mit diesen Wählern umgehen?
Die Wahl in Österreich, der Erfolg der Brexit-Partei im UK, die starke Stellung der AfD im Osten Deutschlands und der nach wie vor sehr große Zuspruch zu Trump zeigen, dass bei diesen Wählern rationale Argumente nicht greifen. Die liegen mittlerweile lange und klar genug auf dem Tisch … und werden schlicht und einfach ignoriert. Dieser Personenkreis ist vernünftigen Argumenten, die an Rechtsstaat, Individualrechte und liberale Gerechtigkeit appellieren nicht (mehr) zugänglich. Der Grund dafür ist so offensichtlich wie erschreckend: Sie wollen konsequent ein anderes System und sagen das zum Teil auch ganz offen.
Ähnlich immun dürften diese Wähler gegen „soziale Wohltaten“ sein; ein paar Euro mehr im Geldbeutel, machen aus einem nationalistischen oder religiösen Spinner, der ein autoritäres Regime anstrebt keinen Anhänger einer liberalen und offenen Gesellschaft. Natürlich nehmen sie das Geld – aber ihre Meinung ändern sie deshalb sicher nicht.3)Sie nehmen ja auch gerne Mandate in Parlamenten an, die sie eigentlich ablehnen; auch Steuergelder für parteinahe Stiftungen oder im Rahmen der Wahlkampfkostenerstattung sind beliebt. Und EU-Skeptiker greifen sehr gerne und tief in den Topf mit EU-Fördermitteln.
Die Frage, auf die wir eine Antwort benötigen ist vielmehr die folgende: Was tun wir jenseits rationaler Argumentation und sozialstaatlicher Zuwendungen konkret, um Rechtsstaat, Individualrechte und offene Gesellschaft gegen diese Menschen zu verteidigen? In den folgenden Essays werde ich dazu konkrete Vorschläge ausarbeiten – wie üblich aus liberaler Perspektive.
PD Dr. Andreas Edmüller, 8. Juni 2019
References
1. | ↑ | Besonders für Strache eingesetzt haben sich übrigens die rechtsradikalen Identitären: https://www.oe24.at/oesterreich/politik/Mehr-als-42-000-Vorzugsstimmen-EU-Mandat-Strache-darf-nach-Bruessel/382236932 |
2. | ↑ | Ich möchte sie auch nicht sehen. |
3. | ↑ | Sie nehmen ja auch gerne Mandate in Parlamenten an, die sie eigentlich ablehnen; auch Steuergelder für parteinahe Stiftungen oder im Rahmen der Wahlkampfkostenerstattung sind beliebt. Und EU-Skeptiker greifen sehr gerne und tief in den Topf mit EU-Fördermitteln. |