Das Schreckensbild der Gestapo auf der einen und die Notwendigkeiten funktionierender Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite führen 1950 zur Gründung eines Verfassungsschutzes neben der Polizei.
Der Verfassungsschutz – ein neues Konzept
Der BND als Auslandsnachrichtendienst wurde nach dem Krieg, wie alle anderen Behörden der jungen Bundesrepublik, auf eine demokratische und rechtsstaatliche Grundlage gesetzt. Personell und organisatorisch baute er allerdings in Teilen auf seine Vorgängerinstitutionen in der NS-Diktatur auf. Im Kontrast dazu ist der deutsche Inlandsnachrichtendienst, der Verfassungsschutz, eine Neugründung, ein bewusster Bruch mit den historischen Vorgängern.1)Als indirektes historisches Vorbild kann höchstens der nur von 1920 bis 1929 tätige Weimarer Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung gelten.
Was heißt das? Der Verfassungsschutz war ein Neuanfang, geboren aus den Notwendigkeiten der Zeit. 1945 waren Überlegungen zur Sicherheit in Deutschland keine akademische Übung oder intellektueller Luxus, sondern existentiell wichtig. Alle Institutionen, sowie Versorgung und Logistik im kriegsverwüsteten Land waren zusammengebrochen. Die Menschen lebten in einer teilweise faktischen Anarchie. Plünderungen, Raubüberfälle, Vergewaltigungen waren vielerorts an der Tagesordnung.2)Ein sehr gutes Buch mit vielen Augenzeugen- und Quellenberichten über die Zeit: Ian Buruma: ´45. Die Welt am Wendepunkt. 2015.
Das Dilemma der Alliierten und dessen Lösung
Die Alliierten standen vor der Herausforderung, möglichst schnell Ordnung und Sicherheit herzustellen. Der sich schon andeutende „Kalte Krieg“ und die Angst der Amerikaner vor dem Kommunismus taten ihr Übriges. Für all diese Herausforderungen benötigten sie einen effektiven Sicherheitsapparat, dessen Aufgaben sie so bald wie möglich an Deutsche abgeben wollten. Zugleich wollten sie auf keinen Fall die Bestie des untergegangenen nationalsozialistischen Sicherheitsapparats wieder zum Leben erwecken. Insbesondere das Schreckgespenst der Gestapo hatten sie noch deutlich vor Augen. Deutschland war damals ein Land mit teilweise stark indoktrinierten, zutiefst antidemokratischen bzw. demokratieskeptischen Bürgern. Noch 1948 wünschte sich eine Mehrheit der jungen Menschen bei Umfragen einen starken Führer zurück. Würde die Büchse der Pandora wieder geöffnet, wenn man den Deutschen einen Sicherheitsapparat in die Hände gab, der sich verselbständigen konnte?
Die Herausforderung lautete:
- Wie sieht ein leicht zu kontrollierender, transparenter und zugleich wirkungsvoller Sicherheitsapparat aus?
- Wie schwächt man die Macht der Polizei, ohne dass sie an Effizienz einbüßt?
Die Lösung der Alliierten lag im Trennungsgebot:
- Die Vorfeldermittlungen wurden insbesondere für politisch motivierte Täter in eine andere Behörde ausgelagert, den Verfassungsschutz. In allen anderen Ländern werden diese – auch im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – durch die Polizei durchgeführt (FBI, Police Nationale etc.).
- Der Verfassungsschutz bekam keinerlei Exekutivbefugnisse (d.h. seine Bediensteten tragen keine Waffen und dürfen weder festnehmen noch vernehmen).
- Dermaßen beschnitten und zahnlos, besteht sein einziger Zweck darin, Informationen für die Öffentlichkeit und andere Stellen zu sammeln. Er selbst kann mit den von ihm gesammelten Informationen nichts anfangen. So wird der Wissensaustausch trotz Trennungsgebot gewährleistet.
- Außerdem wurde die Behörde, wie fast alle anderen bundesdeutschen Behörden, föderal aufgeteilt. Neben einem Bundesamt für Verfassungsschutz wurden noch elf weitere selbständige Landesämter gegründet. Fünf weitere kamen mit der Wiedervereinigung noch dazu.
- Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat keine steuernde, sondern lediglich eine moderierende und koordinierende Aufgabe. Alle 17 Behörden verfolgen das Ziel, Gefahren für die Demokratie frühzeitig zu erkennen.
Dieses Konstrukt hat viele Vorteile – und allen negativen Meldungen und Skandalen zum Trotz, ist es der transparenteste und am besten kontrollierte Nachrichtendienst weltweit.
Gründung und Aufbau des Verfassungsschutzes ab 1950 wurden akribisch von den Alliierten Hohen Kommissaren überwacht und gelenkt. Es ist wohlfeil, darauf hinzuweisen, dass auch ehemalige Nazis beim Verfassungsschutz arbeiten durften, wenn man den Kontext außer Acht lässt. So gab es in den 1950er Jahren trotz „Entnazifizierung“ keine unbelastete Behörde. Im Vergleich mit anderen Behörden arbeiteten beim frühen Verfassungsschutz sogar weniger ehemalige Anhänger des NS. Tatsächlich wurde das Personal sorgfältiger als in anderen Behörden auf seine Vergangenheit geprüft.
Die nächsten Herausforderungen waren der schnelle Aufbau und die Erweiterung des Sicherheitsapparats nach westdeutschem Modell mit fünf Landesämtern für Verfassungsschutz in den damals neuen Bundesländern nach 1989. Diese „Chaos-Zeit“ hat zu schwerwiegenden Fehlern und Versäumnissen geführt, denen – zusammen mit polizeilichen Fehlern und Fehleinschätzungen der Staatsanwaltschaften – in der Mordserie des NSU ein tragisches Denkmal gesetzt wurde.
Behörden sind aber genauso wenig statisch wie die Gesellschaft: Derzeit prägen eine neue Generation und Mitarbeiter in all ihrer Diversität das Gesicht und die Arbeitsweise der Behörde.
Judith Faessler, 21. Februar 2021
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References
1. | ↑ | Als indirektes historisches Vorbild kann höchstens der nur von 1920 bis 1929 tätige Weimarer Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung gelten. |
2. | ↑ | Ein sehr gutes Buch mit vielen Augenzeugen- und Quellenberichten über die Zeit: Ian Buruma: ´45. Die Welt am Wendepunkt. 2015. |