Begriffsnebel

manipulationenEine so beliebte wie weit verbreitete Manipulationstaktik ist die bewusste Verwendung schwammiger, eigentlich inhaltsleerer oder schlicht und einfach unzutreffender Begriffe. Ziel ist es, den Sachverhalt, über den mit Hilfe des Begriffs geredet werden soll, verzerrt darzustellen. Das funktioniert in beide Richtungen.

Ein emotional negativ belegter Begriff wird gerne verwendet, um das, wovon die Rede ist, unattraktiv oder unmoralisch aussehen zu lassen. Und zwar vor jeder Argumentation. Dazu ein paar alltagsnahe Beispiele:

Der Vorschlag, die Erbschaftssteuer abzuschaffen, kommt mit schöner Regelmäßigkeit aus dem neoliberalen Lager der Topverdiener.

Beide Begriffe, neoliberal und Topverdiener, sind mittlerweile mit recht starken emotionalen Assoziationen verknüpft – und zwar negativen. Wer mag sich da noch zu Wort melden und die Erbschaftssteuer als offensichtlich ungerecht bezeichnen?

Das Vermögen der Bundesbürger ist sehr ungleich verteilt. Wann wird die Regierung endlich etwas dagegen tun?

Der gedankliche Sprung von der ungleichen hin zur ungerechten Verteilung ist für viele Bundesbürger nach Jahrzehnten sozialstaatlicher Konditionierung fast schon ein automatischer – obwohl Ungleichheit und Ungerechtigkeit ja zwei ganz verschiedene Begriffe sind. Wenn Sie mir das jetzt nicht glauben, empfehle ich einen kurzen Blick in den Duden. Zum weitergehenden Abbau begrifflicher Verwirrung bietet sich die Lektüre meines Buches Plädoyer für die Freiheit und gegen die Gleichheit (KDP, 2013) an.

Ein emotional positiv belegter Begriff wird gerne mal eingesetzt, um eine eher unattraktive oder moralisch fragwürdige Angelegenheit in ein positives Licht zu rücken. Wie wirkungsvoll diese Taktik sein kann, wenn sie regelmäßig und von „Meinungsbildnern“ eingesetzt wird, zeigt ein Blick auf unsere politische Kultur: Die Begriffe Generationenvertrag und Sozialversicherung sind für die meisten Bundesbürger positiv belegt. Tatsache ist aber, dass mit ihrer Hilfe Sachverhalte verschleiert werden, das Denken vieler Menschen in die gewünschte Richtung gesteuert und somit manipuliert werden soll. Das wird klar, sobald man diese Begriffe näher betrachtet.

Generationenvertrag und Sozialversicherung: Was heißt das eigentlich?

Der Begriff des Generationenvertrages soll das Bild bzw. den Eindruck vermitteln, dass die älteren Bürger mit den jüngeren einen Vertrag geschlossen haben. Ziel bzw. Inhalt dieses Vertrages sei es, dass kein Bürger ohne zureichende Altersversorgung, also Rente, dasteht. Dieses Bild und die damit verknüpften Emotionen sind durchaus positiv: Man denkt an Solidarität, eine Abmachung, von der jeder was hat, an ein Gemeinschaftswerk … und ist schon in die Falle getappt. Die Realität ist eine ganz andere; der Begriff des Generationenvertrages hilft dabei, das zu verschleiern. Um diese begriffliche und politische Manipulation deutlich zu machen, genügt ein Blick auf den Vertragsbegriff und die Realität unseres Rentensystems.

Ein Vertrag schafft Verbindlichkeit

  • Wir alle kennen und schätzen die Institution des Vertrages. Verträge erzeugen Normen, also ein klar umrissenes System aus Rechten und Pflichten der Vertragspartner. Verträge sind eines der wichtigsten und nützlichsten Instrumente, um in unserer Gesellschaft zurechzukommen.
  • Die Verbindlichkeit von Verträgen ist tief in unserem Gerechtigkeitsverständnis verwurzelt: Pacta servanda sunt. Verträge sind also nicht nur allgemein bekannt und sehr nützlich; sie haben hohen normativen Wert, eine sehr starke Verbindlichkeit.

Woraus resultiert die Verbindlichkeit eines Vertrags?

Bei Vorliegen eines Vertrages gehen wir davon aus, dass bestimmte (notwendige) Bedingungen erfüllt sind:

  • Jeder Vertragspartner hat dem Vertrag unter zumutbaren Rahmenbedingungen (im Idealfall weitgehende Freiwilligkeit) zugestimmt.
  • Jeder Vertragspartner hat seine Zustimmung in Erwartung eines konkreten Nutzens erteilt, der seine Lage verbessert (im Idealfall eine signifikante Besserstellung).
  • Die Vertragspartner stimmen einem in Inhalt und Umfang klar umrissenen, d.h. begrenzten System an Rechten und Pflichten zu; der Inhalt des Vertrages ist klar.
  • Verträge sind korrigierbar, d.h. sie können wieder gelöst werden. Dies kann auf verschiedenen Wegen sichergestellt bzw. umgesetzt werden: Durch im Vertrag eingebaute zeitliche Gültigkeitsklauseln, durch Nichtigkeitsklauseln oder durch Kündigungsklauseln.

Ein Beispiel

Beim Kauf eines Autos sind diese Bedingungen erfüllt: Keine der Vertragsparteien zwingt die andere zu dem Handel. Jeder Vertragspartner stimmt in der Erwartung zu, seine Lage durch den Kaufvertrag zu verbessern. Der Vertragsinhalt ist klar; alle wichtigen Inhalte und Bestimmungen des Vertrages liegen klar und offen zutage. Und natürlich gibt es eine Rücktrittsklausel bzw. Nichtigkeitsklausel. Letztere greift z.B., falls  der Tachostand manipuliert oder ein Unfallschaden verschwiegen wurde. Sind eine oder mehrere dieser Bedingungen verletzt, würde niemand mehr von einem Vertrag reden.

Das Fazit 

Der Vertrag als gesellschaftliches bzw. juristisches Instrument ist deshalb so attraktiv und verbindlich, weil damit Freiwilligkeit, Nutzen für Jede(n), inhaltliche Klarheit und Korrigierbarkeit einhergehen. Genau deshalb ist der Vertragsbegriff positiv belegt.

 

Ist der Generationenvertrag ein Vertrag?

Es ist jetzt leicht zu sehen, dass unser Rentensystem nicht auf einem Vertrag beruht bzw. der sogenannte Generationenvertrag gar kein Vertrag ist:

  • Es kann keine Rede von freiwilliger Zustimmung sein. Die allermeisten Einzahler wurden nie vor die Wahl gestellt, ob sie das System der staatlichen Rente akzeptieren wollen oder nicht. Die Teilnahme daran ist nur für einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung freiwillig.
  • Dadurch wird auch die zweite Bedingung verletzt. Egal, ob jemand im staatlichen Rentensystem für sich und seinen Lebensplan einen Nutzen erkennen kann oder nicht: Er muss mitmachen. Das gilt auch, wenn jemand in alternativen Vorsorgeformen für sich einen höheren Nutzen sieht. Oder wenn die zu erwartende Rente in keinem akzeptablen Verhältnis zur Summe der Einzahlungen steht, also ein Renditeproblem vorliegt.
  • Es kann keine Rede davon sein, dass die Inhalte dieses Pseudo-Vertrages klar umrissen sind. Sowohl die Höhe der Einzahlungen als auch die Höhe der Renten hängen von relativ kurzfristigen und unberechenbaren politischen Entscheidungen ab. Es werden weder die Höhe der Einzahlungen noch die Höhe der Renten vorab festgelegt oder garantiert.
  • Schließlich ist dieser Pseudo-Vertrag aus verschiedenen, absolut klaren Gründen nichtig: Erstens ist ein Austritt aus dem Rentensystem kaum möglich. Falls doch, so kann man die eingezahlten Beiträge bei Austritt nicht „mitnehmen“. Beim Ableben eines Einzahlers verbleiben seine Einzahlungen im System; vererbt werden kann nichts. Zweitens handelt es sich bei unserem Rentensystem bekanntlich um ein Schneeballsystem: Die laufenden Auszahlungen werden aus den laufenden Einnahmen bestritten – und das funktioniert nur, solange das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen eine kritische Grenze nicht überschreitet. Schneeballsysteme sind Betrugssysteme und genau deshalb bei uns verboten. Es sei denn, der Staat zieht die ganze Sache auf …. dann schaut die Staatsanwaltschaft weg. Schließlich ist dieser Generationenvertrag ein System zu Lasten Dritter: Die jährlichen Zuschüsse werden aus dem Steurtopf bestritten, in den auch diejenigen Bürger einzahlen müssen, die nicht Teil des Rentensystems sind.

Das Fazit

Wer über unser Rentensystem mit Hilfe des Vertragsbegriffes redet, betreibt dreisten Etikettenschwindel. Dieses System genügt den Mindestanforderungen an einen Vertrag nicht einmal ansatzweise. Der sogenannte Generationenvertrag ist vielmehr ein System von Zwangsabgaben aller Steuerzahler, dessen inhaltliche Ausgestaltung sich an den Interessen der jeweils amtierenden Regierung orientiert. Zudem hat dieses System sehr starke strukturelle Ähnlichkeiten mit betrügerischen Schneeballstrukturen. Meine Frage an Sie, lieber Leser: Falls ein Versicherungsunternehmen Ihnen einen derartigen Pseudo-Vertrag für Ihre Altersvorsorge anbieten würde – würden Sie unterschreiben?

 

Ist die Sozialversicherung eine Versicherung?

Richtige Versicherungen wie eine Lebens- oder Haftpflichtversicherung kommen durch einen Vertrag zustande. Diese Versicherungsverträge genügen den oben angeführten Bedingungen der Freiwilligkeit, des Nutzens für Jede(n), der inhaltlichen Klarheit und Korrigierbarkeit. Betrachtet man eine zweite Säule unseres Sozialsystems, nämlich die sogenannte Gesundheitsversicherung, so kommt man zum selben Ergebnis wie eben: Auch hier kann keine Rede von einem Vertrag sein.

  • Die allermeisten sogenannten Versicherten der Krankenkassen sind das nicht durch freien Entschluss – sie sind pflicht“versichert“. Zwangsverpflichtet wäre der korrekte Ausdruck, der ist aber politisch betrachtet nicht so nett und könnte zu unangenehmen Fragen der Betroffenen führen.
  • Wenn jemand für sich in anderen Formen der Absicherung oder Vorsorge mehr Nutzen sieht als in den staatlich verordneten, so darf er das zwar zum Ausdruck bringen – schließlich herrscht bei uns Meinungsfreiheit. Das wird ihm aber nichts nützen – er muss trotzdem im System bleiben. (Es sei denn, er liegt über einer bestimmten Gehaltsgrenze). Bei der Wahlfreiheit oder der Freiheit der Lebensgestaltung schaut es nämlich gleich ganz anders aus. Schließlich weiß der Staat viel besser, was gut für den Bürger ist als der Bürger selbst. Wäre ja auch noch schöner, wenn da jeder auf einmal …
  • So etwas wie einen klar umrissenen Vertragsinhalt gibt es auch nicht. Einzahlungen und Leistungsspektrum hängen von Entscheidungen der Politik ab und nicht von einem Vertragstext. Das weiß jeder Kassenpatient.
  • Schließlich ist auch dieser Pseudo-Vertrag nichtig: Erstens ist ein Austritt aus dem staatlich verordneten System kaum möglich; eingezahlte Beiträge kann man bei Austritt bzw. Übertritt in eine Privatversicherung nicht „mitnehmen“.  Zweitens kann das System nur durch Zwangsabgaben Dritter aufrecht erhalten werden: Zuschüsse werden aus dem Steuertopf bestritten, in den auch diejenigen Bürger einzahlen, die nicht Teil des gesetzlich verordneten Kassensystems sind. Und Privatpatienten subventionieren bekanntlich durch ihre viel höheren Leistungstarife das staatliche System in beachtlichem Umfang. (Dafür dürfen Sie sich dann als unsolidarisch tadeln lassen). Drittens werden die Gehälter des Personals im Gesundheitssystem durch ein staatliches Quasi-Monopol konsequent niedrig gehalten.

Mein Fazit

Die Rede vom Generationenvertrag oder einer Sozialversicherung ist nichts anderes als eine Form begrifflicher Manipulation. Begriffe wie staatlich verordnete Zwangsabgaben oder staatliches Zwangssystem entsprechen der Realität wesentlich besser. Sie klingen halt nicht so schön.

PD Dr. Andreas Endmüller, 31. Juli 2015

 

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