Die Kunst des Widerspruchs

Das Ergebnis folgender Umfrage würde mich interessieren:

Wenn man seinem Diskussionspartner klar und deutlich widersprechen möchte und ihm unmissverständlich aufzeigen will, dass man seine Meinung nicht teilt, welche der folgenden Verhaltensweisen halten Sie für angemessen? Bitte kreuzen Sie an:

Es ist angemessen, 

  1. den Diskussionspartner niederzubrüllen
  2. ihn lautstark auszupfeifen
  3. ihm Prügel anzudrohen
  4. ihm eine auf die Fresse zu geben à la Nahles
  5. ihn von der Meute jagen zu lassen à la Gauland
  6. ihn öffentlich bloßzustellen
  7. ihn bei Facebook anzuprangern 
  8. Keines von allem

Es wäre keine große Überraschung, wenn nur wenige sich für Antwort 8 entscheiden würden. Denn Kampfkommunikation ist mittlerweile zur Standard-Gesprächsform geworden, Kriegsrhetorik zum wichtigsten Stilmittel der Debattenführung

Statt sich mit anderen Meinungen argumentativ auseinander zu setzen, werden diese Meinungen zerpflückt und zertreten  – zusammen mit dem Meinungsvertreter.

Natürlich geht es in öffentlichen Debatten mehr um laute als um leise Töne. Jeder soll schließlich hören, wo die Musik spielt. Das ist auch in Ordnung. Doch leider zählt heute nur noch die Devise: „Scheiß’ auf Argumente, knüpft den Mistkerl auf!“

Das öffentliche Diskussionsniveau schwappt auch in andere Bereiche über:

  • Da wird die Stationsleitung vor versammelter Mannschaft vom Chefarzt mal so richtig zur Minna gemacht. Das gab’s früher auch schon, aber es gehörte nicht zum guten Ton.
  • Da wird der Kollege auf dem Meeting mal so richtig eingenordet und zusammen gestaucht. Das gab es früher auch schon, aber es gab weniger Schulterklopfer, die einem dafür gratulierten.
  • Da wird der unliebsame Gastprofessor während der Vorlesung gnadenlos ausgebuht. Das gab es früher auch schon, aber da nahm es keiner ernst – außer den Marxisten.

Gehör verschafft sich nur, wer am lautesten brüllt. Dabei werden Twitter und Facebook zu den wichtigsten Resonanzböden. Und ums Zuhören geht es sowieso nicht. Zuhören ist lästig und führt nur zu Missverständnissen, weil ohnehin jeder nur hört, was er hören will. Denn wer recht hat, das steht eh schon fest. Ich. Und Ich. Und Ich. Und ich. Und dann maximal noch die, die meiner Meinung sind.

In diesem Multiversum von Meinungs-Separatisten ist die Sorge angebracht, dass wir tatsächlich verlernen, wie man kritische Diskussionen miteinander führt und wie man Argumente austauscht.

Doch warum sollte man überhaupt einen argumentativen Austausch pflegen? 

Die Antwort ist klar: der Einzelne allein kann in der Welt wenig ausrichten. Wir müssen mit anderen Menschen zusammenarbeiten, wenn wir etwas bewegen oder verbessern wollen. Dazu müssen wir Meinungen äußern und Argumente austauschen und uns auf Dinge einigen. Probleme lösen sich nicht von alleine. Kritisches Feedback spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn nur durch kritisches Feedback sind wir in der Lage zu lernen und bessere Problemlösungen zu finden. Kooperation ist also unerlässlich. Und dazu müssen wir in der Lage sein, aus Fehlern zu lernen oder die Wahrheit herausfinden zu können. Und genau dafür braucht man die kritische Debatte, den argumentativen Austausch – eine Diskussionskultur, die den Widerspruch pflegt, aber auf wertschätzende Art und Weise. Die Frage ist jetzt natürlich: wie stellt man das an? Wie widerspricht man wertschätzend? Was gehört zu einer kritischen Diskussionskultur?

Begründet widersprechen

Die Grundstrategie ist einfach. Sie lautet: Begründet widersprechen. Immer dann, wenn ich anderer Meinung bin oder jemandem widersprechen möchte, so tue ich das, indem ich selbst eine Begründung heranziehe. Ich widerspreche also nicht einfach nur, sondern ich begründe zusätzlich, warum ich widerspreche.

Dabei gibt es zwei Stoßrichtungen. Entweder ich zeige auf, inwiefern die Position des Gegenübers unhaltbar oder mangelhaft ist, oder ich zeige, welche Gründe für meine Gegenposition sprechen. Im ersten Fall formuliere ich Einwände, im zweiten Fall beziehe ich Stellung für meine Position.

 

Einwand + Begründung

Auch bei der Formulierung von Einwänden ist es wichtig, dass Gründe herangezogen werden, um den Einwand zu unterstützen. Je besser die Gründe, umso stichhaltiger der Einwand.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Ich glaube, dass Konflikte durch die Einmischung des Chefs nicht immer am besten gelöst werden. Denn der Chef kennt die Situation der Mitarbeiter nicht gut genug.“

Die untersuchende Frage

Einwände lassen sich häufig dadurch sehr gut zum Ausdruck bringen, dass man eine Frage stellt, die auf einen kritischen Aspekt der anderen Meinung zielt. Der Vorteil von Fragen ist: sie haben einen untersuchenden und prüfenden Charakter. Sie sind weniger konfrontativ:

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Welche Belege gibt es denn aus deiner Sicht dafür, dass dies am besten ist? Und was heißt für dich in diesem Fall, dass eine Konflikt gelöst ist?“

Relativierende Ich-Botschaft

Bei der Formulierung von Einwänden können relativierende Ich-Botschaften hilfreich sein. Man macht dadurch auf eindeutige Weise deutlich, dass es sich um eine subjektive Sichtweise bei dem Einwand handelt. Das nimmt ihm die Schärfe.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Ich würde mir dabei Sorgen machen, dass die Mitarbeiter sich nicht richtig an die Entscheidung gebunden fühlen.“

Gegenmeinung + Begründung

Die zweite Stoßrichtung besteht darin, seinen eigenen Standpunkt zu formulieren und diesen zu begründen:

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Ich bin eher der Meinung, dass die Teammitglieder zuerst selbst versuchen sollten, eine Lösung für ihren Konflikt zu finden. Denn dadurch sind sie stärker in der Verantwortung.“

Bei Einwand + Begründung oder bei Gegenmeinung + Begründung ist es wichtig auf zwei Dinge zu verzichten: Strohmänner und Abwertungen. Was ist darunter zu verstehen?

Einen Strohmann zu bauen, bedeutet, die Position des anderen zu übersteigern, sie einseitig zu überdrehen und zu verzerren, um sie dann leichter widerlegen zu können.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Der Chef entscheidet diktatorisch, was zu tun ist und setzt seinen Willen durch. Das ist mit Sicherheit nicht sinnvoll……..“

Solche Strohmänner sind in der Diskussion nicht hilfreich. Sie verzerren den Standpunkt des anderen und führen zu einer Abwehrhaltung. Ich sollte vielmehr das Gegenteil tun. Ich benutze das Prinzip der Nachsicht und versuche, den Standpunkt meines Diskussionspartners im besten Licht darzustellen.

Die Position des Gesprächspartners abzuwerten bedeutet, ihn in der Diskussion nicht ernst zu nehmen und ihm den nötigen Respekt zu versagen.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Diese Behauptung ist natürlich Schwachsinn und sie kann nur von jemandem kommen, der keine Ahnung vom Konfliktmanagement hat.“

Durch diese abwertende Aussage habe ich jetzt wahrscheinlich gerade einen neuen Konflikt geschaffen.

Diese zwei Grundstrategien für kritische Diskussionen sind nicht immer für jeden bekömmlich. Manche Menschen reagieren einfach empfindlich auf Einwände oder empfinden eine zu starke Konfrontation, wenn man seine eigene Meinung klar und deutlich vertritt. Daher gibt es darüber hinaus noch einige psychologisch geschickte Möglichkeiten, seine Gegenmeinung oder Einwände zu formulieren.

 

Kompliment + Meinung + Begründung

Bevor ich meine Meinung nenne, spreche ich dem Diskussionspartner ein Kompliment oder eine Anerkennung aus. Wichtig dabei ist: es sollte nicht nur ein taktisches Manöver sein, sondern ernst gemeint.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Das ist interessant, dass du diese Art Lösung bevorzugst. Ich bin eher der Meinung, dass die Teammitglieder zuerst selbst versuchen sollten, eine Lösung für ihren Konflikt zu finden. Denn dadurch sind sie stärker in der Verantwortung.“

Ankündigen + Meinung + Begründung

Bei dieser Vorgehensweise bereitet man den Diskussionspartner darauf vor, dass gleich ein Widerspruch kommen wird. Der Vorteil dabei ist, die eigene Meinung klingt für den Diskussionspartner nicht so schroff und abrupt. Andrerseits wird eindeutig geklärt, dass man die Meinung nicht teilt.

  • Im folgenden Punkt möchte ich dir widersprechen…..
  • Das sehe ich ganz anders…..
  • Hier stehe ich auf einem völlig anderen Standpunkt….

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „In dieser Hinsicht bin ich ganz anderer Meinung wie du. Ich bin eher der Meinung, dass die Teammitglieder zuerst selbst versuchen sollten, eine Lösung für ihren Konflikt zu finden. Denn dadurch sind sie stärker in der Verantwortung.“

Zusammenfassung + Übereinstimmung + Unterschied (Meinung) + Begründung

Diese Methode funktioniert auf folgende Weise: ich fasse zuerst die Äußerung meines Diskussionspartners zusammen, dann stelle ich fest, worin ich mit ihm übereinstimme. Im Anschluß daran mache ich klar, in welchen Bereichen ich eine andere Meinung habe und wie ich diese Meinung begründe.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Du denkst in Konflikten ist am ehesten der Vorgesetzte mit einer Entscheidung gefragt. Ich stimme dir zu, dass der Vorgesetzte auf jeden Fall beteiligt bei der Konfliktlösung sein sollte. Was ich anders sehe ist, dass er oder sie in jedem Fall eine Entscheidung für die Konfliktparteien treffen sollte. Vielmehr sind die Mitarbeiter selber gefragt. Nur dadurch steigt die Verantwortung.“

Sowohl – als auch + Begründung

Ein klassischer Fehler ist, die Gegenmeinung immer konträr oder kontradiktorisch zur Meinung des Diskussionspartners einzustufen, nach dem Motto: entweder – oder.

Häufig können Meinungen einfach nebeneinander gestellt werden, nach dem Motto: sowohl – als auch. Bei der Sowohl – als auch Methode kann es nützlich sein, ein einschließendes Wir zu formulieren, um den Gedanken zu unterstützen, dass wir nicht wirklich einen Widerspruch haben.

Max: „Konflikte zwischen Teammitgliedern werden am besten dadurch gelöst, dass der Vorgesetzte eine Entscheidung trifft.“

Moritz: „Entscheidungen des Vorgesetzten können sehr wichtig sein. Darüberhinaus sollten wir daran denken, dass es bei einer nachhaltigen Konfliktlösung entscheidend ist, dass die Konfliktparteien Verantwortung übernehmen. Eine aktive Mitwirkung der Mitarbeiter ist daher aus meiner Sicht hilfreich.“

Es ist nicht sonderlich schwer, anständig miteinander zu diskutieren und in einen echten Dialog zu treten. Es kommt im wesentlichen nur darauf an, dass man sich auf die Qualität seiner Argumente konzentriert und dabei respektvoll miteinander umgeht. Dumm ist nur, wenn man keinerlei Argumente hat. Dann ist es vielleicht am besten, dass man schweigt. Welch himmlische Ruhe würde einkehren, wenn so manch lärmender Zeitgenosse einfach mal verstummen würde!

Eine andere Frage ist natürlich, was man tun sollte, wenn jemand rationalen Argumenten gar nicht zugänglich ist, wenn er nur auf Krawall gebürstet ist. Kann man mit jemandem diskutieren, der einen niederbrüllt, diffamiert, beleidigt oder auf andere Weise angreift? Aber das ist eine Thema für einen anderen Blogartikel.

Thomas Wilhelm

 

 

 

 

 

 

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