Rechtspopulismus eindämmen: Was tun? (Teil 5)

In Teil 4 habe ich skizziert, wie wir auf argumentativer Ebene mit den Rechtspopulisten umgehen sollten: Wir sollten sowohl ihre konkreten politischen Positionen als auch ihre ideologischen Grundlagen ausführlich diskutieren, kritisch beleuchten – und auseinandernehmen. Es wird sich dann schnell zeigen, dass sie inhaltlich wenig zu bieten haben und eine mehr als fragwürdige Gerechtigkeitskonzeption vertreten.

Gute Argumente reichen leider nicht aus

Als Realist halte ich die Durchschlagskraft dieser argumentativen Bausteine allerdings für begrenzt. 

  • Zweitens ist der Personenkreis, den man mit rationaler Argumentation erreichen und überzeugen kann überschaubar. Leider.
  • Drittens wird damit nicht angemessen auf die Schwachstellen reagiert, aus denen ein guter Teil der Staatsverdrossenheit vieler Bürger entstanden ist und entsteht. Diese Schwachstellen müssen wir nachhaltig beseitigen, damit dem Rechtspopulismus langfristig enge und stabile Grenzen gezogen werden können. Das können Worte alleine nicht leisten.2)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-3/

Meine Analyse hat auch gezeigt, worin der Kern der Herausforderung besteht: 

  • Diese Schwachstellen resultieren wesentlich aus der Selbstschwächung des Wohlfahrts- bzw. Universalstaates. 

Eine breite Mehrheit in Politik und Wählerschaft ist aber (noch) nicht zu dessen Rückbau bereit. Solange wir in diesem Dilemma verharren und unentschlossen weiterwursteln, werden der Rechtspopulismus und sein linkes Gegenstück Zulauf finden und die „politische Mitte“ weiter ausdünnen.

Wir müssen den Wohlfahrts- und Universalstaat entschlossen und zügig zurückbauen

In Teil 2 habe ich ausführlich erläutert, dass und warum das Verteilen sozialer Wohltaten und der immer weitere Ausbau des Universalstaates den Rechtspopulismus nicht eindämmen können, sondern ihn sogar stärken: Dessen Anhänger sehen darin keine gerechten Lösungen, sondern Oberflächenkosmetik und plumpe Bestechungsversuche. Außerdem vernachlässigt der Universalstaat schon jetzt durch Überdehnung und Verzettelung seine Kernaufgaben (innere und äußere Sicherheit, stabiles und verlässliches Rechtswesen, leistungsfähiges Bildungssystem) und bewältigt neue „Baustellen“ immer schlechter. Damit macht er sich aber zunehmend angreifbar für die zum Teil berechtigte Kritik der Rechtspopulisten und verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit bei den Bürgern.3)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-verstehen-die-reaktion-der-buerger-auf-die-selbstschwaechung-des-staates-teil-4/ 

Kurz und klar: Der Universalstaat ist der Nährboden für den Rechtspopulismus.

Also: Wenn wir den Rechtspopulismus wirkungsvoll und langfristig bekämpfen wollen, dann müssen wir den Universal- und Wohlfahrtsstaat Schritt für Schritt zurückbauen. Damit schaffen wir wieder mehr Raum für das, was die Würde des Menschen ausmacht: 

  • Fähigkeit zu und Freude an Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Aufgeschlossenheit für neue Wege. 

Genau darin – nicht im umfassenden Betreuungsanspruch des Wohlfahrts- und Universalstaates – sehe ich den normativen Kern unserer Verfassung. Menschen, die sich und ihr Miteinander daran orientieren, sind das beste Bollwerk gegen Rechts- und Linkspopulismus. 

Was brauchen wir für diese Wende im Politik- und Staatsverständnis? 

Erstens einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens und zweitens eine langfristige Strategie. Beides haben wir aktuell nicht: Unsere Gesellschaft verliert wie gesehen immer mehr ihre Konsensbasis und damit ihre Fähigkeit zu klarem, entschlossenem und langfristig angelegtem Handeln. Was heißt das? 

  • Im Grunde sind alle politisch einflussreichen Parteien in Deutschland mehr oder weniger stark im Denken des Universalstaates gefangen. Sie hängen mittlerweile einem tendenziell kommunitaristischen Staats- und Menschenbild an. Staatliche Bevormundung und Betreuung des Bürgers dominieren ihre Lösungsansätze – der Würdegedanke wurde im Laufe der Jahrzehnte von einem Freiheitskonzept zu einem Absicherungskonzept umgedeutet.4)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/sozialstaat-und-menschenwuerde-teil-1-2/ Teil 1-5. Es ist ja kein Zufall, dass das Feindbild Neo-Liberalismus so populär ist.5)https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/links-rechts-mitte-oder-liberal/
  • Da politische Richtungswechsel in einer Demokratie nur über Wahlen zu erreichen sind, haben wir es zudem mit einer ganz handfesten Schwierigkeit zu tun. Mittlerweile hängen sehr viele Bürger mit ihrem Lebensstandard ganz oder teilweise am staatlichen Tropf. Können wir erwarten, dass diese in der Wahlkabine sich selbst staatliche Zuwendungen streichen? Jede Partei, die sich für einen Rückbau des Universalstaates einsetzt, muss also Angst vor „Bestrafung“ durch den Wähler haben. Dieser Mechanismus stabilisiert den Trend zum Universalstaat und blockiert dessen Rückbau.

Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus? 

  • Wir brauchen erstens eine ehrliche und grundsätzliche Debatte, an welchen Werten wir unser Miteinander in Zukunft ausrichten wollen. Dabei sollte aus liberaler Sicht die mittlerweile in Vergessenheit geratene Bedeutung des Würdegedankens als individualistisches Freiheitskonzept herausgearbeitet werden. Wir hatten 1989 die große Chance, diese Debatte zu führen, in eine Verfassungsrevision münden zu lassen – und haben das komplett verschlafen. 
  • Zweitens müssen wir die grundsätzliche und systemimmanente Ungerechtigkeit des Universalstaates in aller Klarheit herausarbeiten: Immer mehr Umverteilung führt zu immer mehr Entmündigung, Bevormundung, Gängelung und Instrumentalisierung – und zu immer weniger Freiheit.6)Andreas Edmüller: Plädoyer für die Freiheit und gegen die Gleichheit. KDP, 2013 
  • Drittens müssen wir endlich die prinzipielle Unfähigkeit des Universalstaates erkennen, langfristig und dauerhaft die von ihm geweckten Wünsche, Ansprüche und Erwartungen zu erfüllen. Dieser Aspekt dürfte der einfachste sein. Unter den klassischen Defiziten des Universalstaates leiden wir ja mittlerweile alle: Er erfüllt die klassischen Kernaufgaben eines jeden Staatswesens immer weniger. Innere und äußere Sicherheit sind gefährdet, das Rechtswesen ist am Limit, das Bildungssystem erodiert immer schneller. Die Infrastruktur zerbröselt mit jedem Tag mehr und zentral wichtige Zukunftsaufgaben werden nicht oder nur sehr zögerlich angepackt. Es ist eigentlich leicht zu erkennen, dass eine Konzentration auf das wirklich Wichtige und eine Abkehr vom Universalstaat und dessen Verzettelungspolitik erfolgen muss.

Über diese Grundsatzdebatte können wir als Gesellschaft zu einem belastbaren Konsens kommen: 

  • Wir müssen die Kernaufgaben des Staates wieder in den Mittelpunkt rücken und stabilisieren. Sie sind für jeden Bürger wichtig und die Grundlage für alles andere. 
  • Wir müssen uns von der Idee verabschieden, der Staat sei für die Behebung aller Kümmernisse im Leben der zuständige und geeignete Ansprechpartner. 

Aus dieser Debatte über Zweck und Aufgaben des Staates ergeben sich dann natürlich die Themen, die wir dem Rechtspopulismus und seiner Emotionalisierungsstrategie entgegensetzen sollten.

Wir sollten an den für unsere Zukunft wirklich wichtigen Themen arbeiten

In Teil 2 habe ich erklärt, warum die Übernahme rechtspopulistischer Themen nicht funktioniert und sogar sehr gefährlich ist: Wir überlassen den Rechtspopulisten damit die Gestaltung der politischen Themen- und Tagesordnung, vernachlässigen die wirklich wichtigen Themen, verändern unsere politische Kultur immer weiter in Richtung eines wirren und unberechenbaren „emotionsgetriebenen Alarmismus“ und machen die Populisten politisch salonfähig.  

Wir sollten genau das Gegenteil tun und uns auf die Themen konzentrieren, die mittel- und langfristig wirklich wichtig sind. Diese Themen gewinnen wir natürlich aus der im letzten Abschnitt empfohlenen Grundsatzdebatte. Einige davon habe ich bereits genannt: 

  • Die Digitalisierung in ihren vielen Facetten, die extrem wichtige Reform des Bildungssystems, die Architektur und Positionierung der EU im globalen Spannungsfeld mit USA, China und Russland, die Zukunft der NATO und deren Strategie, der seit langem sich abzeichnende Mangel an Fachkräften für unsere Wirtschaft, innere Sicherheit und Rechtswesen – und den unvermeidbaren aber allseits verweigerten Rückbau des Wohlfahrts- und Universalstaates. 

Übrigens: Ein Beispiel für dieses Vorgehen liefert zumindest im Ansatz aktuell die bayerische Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern. Söder hat – sehr zu meiner Überraschung –  aus Seehofers Fehlern gelernt, sofort eine klare rote Linie gegen die AfD gezogen und inhaltlich die Initiative mit für Bayerns Zukunft wichtigen Themensetzungen ergriffen. Die AfD ist damit erkennbar überfordert und kann mit dieser Situation nicht umgehen. Die Folge: Die Rechtspopulisten streiten wie so oft mit sich selbst, führen untereinander Kleinkriege im Landtag und fallen dort in erster Linie durch inhaltliche Irrelevanz auf.7)Ein Beispiel von mehreren: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-bayern-raimund-swoboda-erklaert-ruecktritt-aus-partei-und-fraktion-a-1260265.html

Wir hätten mit meinen Vorschlägen eine sehr überzeugende Antwort auf die rechtspopulistische Strategie:

  • Schritt 1: Das bestehende System soll durch harte, beständige und unnachgiebige Kritik diskreditiert werden. Der oft durchaus berechtigten Kritik der Rechtspopulisten wird durch entschlossene Verbesserungen bei den Kernaufgaben des Staates und konsequenter Arbeit an den wirklich wichtigen Zukunftsthemen ganz einfach die Substanz entzogen. 
  • Schritt 2: Die kritisierten Schwachstellen werden als irreparables Systemversagen interpretiert. Wenn der Staat erkennbar entschlossen und mit Plan auf erkannte Defizite in seinen Kernaufgaben reagiert und sich mit Energie den entscheidenden Zukunftsfragen widmet, wird die These vom Systemversagen entkräftet: „Das System“ hat seine Schwachstellen erkannt, behebt sie und stellt sich der Zukunft.
  • Schritt 3: Die eigene Partei oder Bewegung wird als einzig mögliche Rettung verkauft. Ein Retter in der Not wird nicht gebraucht; das System ist lern-, reform- und handlungsfähig. Zumal der „Retter in der Not“ ein eher klägliches Bild abgibt, sobald politische Ernsthaftigkeit gebraucht und gefordert wird.

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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PD Dr. Andreas Edmüller, 23. Februar 2020

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