Kubicki und das Elend der FDP

Und wieder Krawall – diesmal nicht in Hamburg, sondern in Chemnitz.1)Andreas Edmüller: Hamburg und die Wähler. Dieser Blog, 17.7.2017. Und wieder Reaktionen diverser Politiker, die einem gestandenen Liberalen die Haare zu Berge stehen lassen. Okay, stimmt: Kopfschütteln passt bei mir besser. 

Nachdem also rechtsradikale Randalierer sich mal wieder selbst zum Volk ernannt haben, bei der Gelegenheit auch gleich den Hitlergruß geübt haben – Motto: Jetzt zeigen wir es denen aber mal, was wir für Kerle sind! – und trotz erkennbarem Übergewicht tapfer hinter dem einen oder anderen Fremdvölkischen hergelaufen sind 2)Nur Hase durfte da nicht mitmachen; siehe das eingebettete Video von Quamar in: Verschwörungstheorien im Netz. Bild online; 31.8.2018…. also nachdem das Volk mal wieder so ein bisserl gevolkt hat, musste Herr Kubicki von der FDP auch gleich erklären, woher so was kommt. Nämlich: 

Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel.3)Severin Weiland: Wirbel um Merkel-Äußerung von FDP-Vize Kubicki. Spiegel online, 29.8.2018.

Nun ist mir Herr Kubicki eigentlich nie als Vertreter einer durchdachten, systematischen liberalen Position und Agenda aufgefallen. Die FDP übrigens auch nicht. Kubicki ist halt als übriggebliebener Funktionär der Westerwelle-FDP irgendwie immer noch da und gefällt sich in erster Linie im Produzieren launiger Sprüche, mit denen er es dann öfter mal in die Presse und das Fernsehen schafft. Und das eine oder andere mal über die 5%-Hürde. Heutzutage reicht das ja schon, um als ernstzunehmender Politiker durchzugehen. Und schadet ja eigentlich auch nicht.

Aber diesmal ist das kein salopper Spruch, der vielleicht ein bisschen daneben geraten ist. Es handelt sich bei Kubickis Vorwurf ganz einfach um eine kapitale und fatale Dummheit. Dumm, weil sie den simplen Faktencheck nicht einmal ansatzweise überlebt; noch dümmer, weil sie damit das rechtsradikale Narrativ stärkt.

Der Faktencheck

Sachsen hat schlicht und einfach schon seit langer Zeit eine große Zahl an rechtsradikalen Wählern und „Aktivisten“.

  • 2004 wurde die NPD mit 9,2 % der Stimmen in den sächsischen Landtag gewählt.
  • 2009 hat sie immerhin noch 5,6% erzielt – obwohl ihre Abgeordneten im Landtag 5 Jahre lang vor allem so eine Art Wutbürger-Slapstick abgeliefert haben.
  • 2014 ist die NPD dann trotz nach wie vor hohem Unterhaltungswert mit 4.9 % sehr knapp an der Hürde von 5% gescheitert; dafür tauchte die AfD mit 9,7 % im Landtag auf.
  • Es fällt auf, dass die AfD in Sachsen gerade dort sehr stark ist, wo vor deren Auftreten die NPD gute Wahlergebnisse erzielt hat.4)Sachsen: Hochburg des Rechtsextremismus. Faktenfinder.tagesschau.de vom 28.8.2018 Herr Kubicki, worin könnten denn diese Dinge wurzeln?
  • Und, lieber Herr Kubicki, erinnern Sie sich an Hoyerswerda 1991? Da hat das selbsternannte und hochmotivierte Volk in Gestalt von etwa 500 völkischen Gestalten eine Unterkunft fremdvölkischer Vertragsarbeiter belagert und bebrüllt – und ein Flüchtlingsheim gleich mit. Damit auch jeder den Volkswillen klar versteht, wurde selbiger mit Brandflaschen und Steinen zum Ausdruck gebracht. Resultat: Die Vertragsarbeiter und die Flüchtlinge wurden in andere Städte verlegt – die sächsische Polizei war damals schon so effektiv wie jüngst in Chemnitz. Wurzelt das auch in Merkels Wir schaffen das, Herr Kubicki?
  • Laut Verfassungschutzbericht liegt Sachsen seit Jahren bei rechten Gewalttaten an der Spitze der Bundesrepublik (nur Brandenburg ist da im Ausdruck des Volkswillens noch einen Tick entschlossener; das macht den Sachsen aber vermutlich nix aus – sind ja Blutsbrüder).
  • Der Experte für Rechtsextremismus Begrich fasst die Lage in Sachsen so zusammen: Wer vor mehr als 20 Jahren vor den Asylbewerberheimen randalierte und Migranten angriff, teilt die kollektive biographische Erfahrung, seinen rassistischen Auffassungen mittels Gewalt nicht nur Gehör verschafft, sondern vielerorts auch zum Durchbruch verholfen zu haben. Skepsis und Ablehnung gegenüber den Regularien und Instituten der Demokratie haben in dieser Generation zugenommen.5)Sachsen: Hochburg des Rechtsextremismus. Faktenfinder.tagesschau.de vom 28.8.2018 Wo war eigentlich Frau Merkel 1991, Herr Kubicki?

Mein Fazit: Der braune Sumpf in Sachsen, lieber Herr Kubicki, wurzelt nicht in Merkels Wir schaffen das. Der hat ganz andere und viel tiefere Wurzeln. Es gibt dieses widerliche Phänomen seit Jahrzehnten. Diese Rechtsradikalen benutzen immer schon alle möglichen Themen und Probleme, um sich als „das Volk“ aufzuplustern und gegen unsere Rechtsordnung zu kämpfen. Das gilt eben auch für die Flüchtlingsthematik, die unsere Regierung nicht gut bewältigt – aber auch dafür trägt Merkel sicher nicht die alleinige Verantwortung.6)Siehe dazu diverse meiner Beiträge zu diesem Blog.

Kubicki und das rechte Narrativ

Gratuliere Herr Kubicki! Sie haben es tatsächlich geschafft, als angeblich Liberaler rechtsradikale Verschwörungstheorien zu bestätigen. Das rechtsradikale Narrativ geht etwa so – ich bleibe bewusst kurz und holzschnittartig, weil auch eine detailliertere Betrachtung das Ganze nicht sinnvoller oder stimmiger erscheinen lässt:

  • Das deutsche Volk wird seit langer Zeit von dunklen Mächten manipuliert und mehr oder weniger verdeckt in seiner Existenz angegriffen.
  • Ziel ist die Zerstörung des deutschen Volkes und seiner Kultur oder wahlweise auch dessen Ersetzung durch Nichtdeutsche. Die seien aus irgendeinem Grunde den Verantwortlichen angenehmer als wir Deutsche. Der Fachbegriff dafür ist Umvolkung.
  • Zum Glück für das deutsche Volk hat dessen geistige Elite, also die Jungs mit Brandflaschen, Steinen, Übergewicht und Hitlergruß, diesen perfiden Plan vollumfänglich durchschaut.
  • Und dieser Personenkreis hat auch gleich messerscharf erkannt, dass Merkel eine der Strippenzieherinnen ist, die hinter diesem Geheimplan steckt.
  • Und zum Glück für uns alle ist das nicht nur eine verkopfte, rein intellektuelle, sondern auch eine tatkräftige und handlungsstarke Elite: Die stemmen sich jetzt als Speerspitze des Volkes voller Tatendrang und Kampfeswillen gegen Merkels Vernichtungsplan. 
  • Und der Feind ist so übermächtig (noch) und undeutsch perfide (immer schon), dass man da durch gezielte Aktionen wie der in Chemnitz Zeichen setzen und das deutsche Volk aufwecken muss – alle sollen Merkels Machenschaften erkennen und sich dagegen auflehnen. Ein guter und aufrechter Deutscher kann da einfach nicht anders ….
  • … und Kubicki sieht das ja auch so: Merkel ist Schuld an dem ganzen Schlamassel – wir wehren uns ja nur!

Mein Fazit möchte ich in Form einer Frage formulieren: Warum schafft die FDP es einfach nicht, den Liberalismus zu verstehen, in ein politisches Programm auszuformulieren, klare liberale Positionen daraus abzuleiten und Liberale vor die Kameras und Mikrophone zu schicken?

PD Dr. Andreas Edmüller, 1.September 2018

References   [ + ]

1. Andreas Edmüller: Hamburg und die Wähler. Dieser Blog, 17.7.2017.
2. Nur Hase durfte da nicht mitmachen; siehe das eingebettete Video von Quamar in: Verschwörungstheorien im Netz. Bild online; 31.8.2018
3. Severin Weiland: Wirbel um Merkel-Äußerung von FDP-Vize Kubicki. Spiegel online, 29.8.2018.
4, 5. Sachsen: Hochburg des Rechtsextremismus. Faktenfinder.tagesschau.de vom 28.8.2018
6. Siehe dazu diverse meiner Beiträge zu diesem Blog.

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