Lernen, Denken und Künstliche Intelligenz

Vor einigen Tagen war ich zu einer ausgesprochen interessanten Podiumsdiskussion der Münchner FDP zu diesem Thema eingeladen: ChatGPT als Game Changer: Sprengkraft für Bildung und Wirtschaft.

Als klassischer Liberaler bin ich bekanntlich kein Freund der „Weichei“-FDP – aber das Thema interessiert mich und der Kaffee am Veranstaltungsort Cafe Reitschule ist sehr gut. Zudem beschäftigt mich als Hochschullehrer im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz diese Frage schon länger:

  • Woran erkenne ich Seminar- und Abschlussarbeiten, die von einer KI erstellt wurden?

Im Anschluss an die wirklich gehaltvolle und professionelle Diskussion konnte ich mit den Experten im persönlichen Gespräch mein Anliegen intensiv besprechen und bin zuversichtlich, zumindest in nächster Zeit von meinen Studenten nicht leicht ausgetrickst werden zu können. Danke für die Einladung – ich habe viel gelernt!

Wie lernt man Denken und Argumentieren?

In der Debatte kam dann noch ein Thema zur Sprache, das mich sehr stark ins Grübeln gebracht hat. Alle Experten waren sich einig, dass man KI nicht aus dem Schulunterricht raushalten könne. Man müsse – wohl oder übel – deren Existenz akzeptieren und ihre Möglichkeiten zum Erstellen von Texten positiv nutzen. Wie heutzutage üblich folgten Aufrufe und Anregungen zur Modernisierung und Digitalisierung unseres Bildungssystems.

Meine persönliche Meinung dazu ist klar: Zumindest bisher haben Internet und soziale Medien es nicht geschafft, die intellektuellen Fähigkeiten der Bevölkerung oder deren Bildung zu verbessern – ich sehe eher eine deutliche Entwicklung in die andere Richtung. Und ich befürchte, der Einsatz von KI im Unterricht wird dies noch beschleunigen bzw. verschlimmern. Warum?

Die Experten auf dem Podium vertraten die Meinung, man solle und könne KI nutzen, um kritisches Denken und argumentatives Vermögen zu entwickeln und zu schulen: Die Lehrer sollten im Unterricht kritische Fragen zu (natürlich) KI-generierten Texten stellen und mit ihren Schülern darüber diskutieren. Klingt prima facie plausibel, ist es aber nicht.

Einem der Experten habe ich im persönlichen Gespräch diese Frage gestellt:

  • Wie haben Sie Programmieren gelernt: Durch Lesen und Diskutieren von Programmen bzw. Algorithmen oder durch Programmieren?

Die Antwort war ihm sofort klar: Lernen durch selbständiges Tun – anders geht es nicht! Genau diese Frage markiert das zentrale Problem, das KI und ChatGPT für unser Bildungssystem stellen:

  • Argumentieren, Denken und kritische Reflexion erlernt man, indem man selber Argumente entwickelt und ausformuliert, sich dann präziser Kritik stellt und diese dann genauso präzise beantwortet. Das geht meines Erachtens nur in schriftlicher Form! Der Präzisionsgrad einer mündliche Diskussion reicht dafür nicht aus. Verschriftlichung ist nicht ohne Grund ein zentraler Stützpfeiler unserer Kultur.

Also: Präzises und korrektes Argumentieren und Denken in allen Facetten lernt man, indem man selbst immer wieder eigenständig argumentiert – und zwar in schriftlicher Form. Lernen durch Tun!

Wer glaubt, es reiche aus, mit Schülern über KI-generierte Texte zu diskutieren, um deren Denk- und Argumentationsvermögen zu entwickeln, begeht einen fatalen Fehler. Ich fürchte, dass sich dadurch die bereits in weiten Bevölkerungsgruppen etablierte oberflächliche Plapperkultur weiter verfestigen wird: Argumentative Hilflosig- und Beliebigkeit gepaart mit Denkfaulheit.

Deshalb plädiere ich dafür, weite Teile des Unterrichts frei von digitalen Medien zu halten. Wir müssen unsere Schüler konsequent fordern, eigenständig zu denken und zu argumentieren – und zwar auf Basis selbst angefertigter Texte. Genau so wie früher!1)Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich nach Jahrzehnten bei meinen Lehrern am Tassilo-Gymnasium in Simbach am Inn bedanken: Sie waren uns Schülern gegenüber genau darin sehr konsequent, engagiert – und kompetent!

Das hat sehr viel mit Verschwörungskonstrukten zu tun

Die gleiche Problematik haben wir ausführlich in unserem eben erschienenen Band 2 des Dossier Verschwörungstheorie behandelt. Ein Teilaspekt unserer Diagnose, warum so viele Menschen immer wieder auf allen möglichen Unsinn hereinfallen und z.B. an absurde Verschwörungskonstrukte oder Esoterik-„Theorien“ glauben, ist dieser:

Mangel an argumentativer Kompetenz
Ein weiterer Aspekt muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden – obwohl kaum jemand sich angesprochen fühlen wird: Bei sehr vielen Zeitgenossen ist die argumentative Kompetenz eher schwach entwickelt. Sie tun sich sehr schwer, gute von schlechten Argumenten zu unterscheiden, Theorievorschläge kompetent zu bewerten und liegen regelmäßig in wichtigen Denkfeldern falsch, z.B. beim Umgang mit Statistik, Risiken und Wahrscheinlichkeiten. Das ist auch kein Wunder: Argumentative und logische Kompetenz fällt nicht vom Himmel und spielt an unseren Schulen als Unterrichtsfach so gut wie keine Rolle. Im Gegenteil: Dort werden Irrationalität und fragwürdige Weltbilder im konfessionellen Religionsunterricht sogar staatlich gefördert und als wesentliche Elemente sinnvoller Lebensgestaltung verkauft. In anderen Fächern liegt der Schwerpunkt viel zu sehr auf der Vermittlung von Fakten, Wissen und Inhalten; der systematische Aufbau von Argumentationskompetenz kommt zu kurz. Hinzu kommt, dass sich durch den Einfluss des Internets unsere Lesegewohnheiten und Konzentrationsfähigkeit offensichtlich in Richtung kurz, einfach und oberflächlich verändert haben. (Andreas Edmüller & Judith Faessler: Verschwörungstheorien als Waffe. Wie man die Tricks der Verschwörungsgauner durchschaut und abwehrt. Band 2 Dossier Verschwörungstheorie, Remscheid, 2023, S. 207.)

Als Lösung schlagen wir vor, an allen Schulen und in allen Klassen das Fach RDEH einzuführen: Rationales Denken, Entscheiden und Handeln. Falls Sie Details dazu wissen wollen: Sofort das Buch bestellen!

PD Dr. Andreas Edmüller, 21. Juli 2023

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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References   [ + ]

1. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich nach Jahrzehnten bei meinen Lehrern am Tassilo-Gymnasium in Simbach am Inn bedanken: Sie waren uns Schülern gegenüber genau darin sehr konsequent, engagiert – und kompetent!

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