Warum es nicht ohne Liberalismus geht

andreas 25Die Frage nach der Zukunft des Liberalismus wird zur Zeit intensiv diskutiert. Diese Frage ist allerdings nicht die wesentliche. Im Grunde geht es um die Zukunft unseres Rechtsstaates – und die ist ohne eine klare Orientierung an der liberalen Gerechtigkeitskonzeption ziemlich trübe.

Liberalismus: Was ist das?

Der Liberalismus ist eine umfassende staatsphilosophische Gerechtigkeitskonzeption, die sehr genau Ausmaß und Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols beschreibt. „Liberale“ Verfassungen, Parteiprogramme, politische Positionen und Institutionen orientieren sich mehr oder weniger konsequent daran und sind daran zu messen. Zur Erinnerung: Kernaufgabe des gerechten Staates ist der Schutz der Sicherheit seiner Bürger (vor Gewalt und Betrug), ihrer intellektuellen Freiheiten, ihrer Handlungsfreiheiten und – damit untrennbar verknüpft – ihres Eigentums. Die Begründung dieser Gerechtigkeitskonzeption ist so handfest wie überzeugend. Es geht um den konsequenten Schutz der beiden staatsrelevanten Kerninteressen, die man jedem einzelnen Bürger zuschreiben kann: Das Interesse an Sicherheit und das Interesse, nach der eigenen Fasson glücklich zu werden. Dieser zwar kleine aber klare gemeinsame Nenner wird verletzt, wenn zusätzliche Interessen mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols realisiert werden sollen, z.B. durch Umverteilung oder Subvention: Das geht immer nur auf Kosten der Kerninteressen anderer Bürger, d.h. ihrer Freiheiten und ihres Eigentums. Die klassischen Gefahrenquellen für diese Kerninteressen sieht der Liberalismus neben Angriffen von außen (durch andere Staaten) also in Übergriffen auf Freiheit und Eigentum durch Mitbürger und staatliche Institutionen.

Liberalismus: Was bedeutet das?

Diese so ehrliche wie zugegebenermaßen unromantische Konzeption des liberalen Rechtsstaates ist keine Erfindung bösartiger Besserverdiener, sondern eine der entscheidenden Errungenschaften der abendländischen Zivilisation. Sie ist untrennbar verknüpft mit den Ideen der Aufklärung, der Säkularisierung von Staat und Gesellschaft, der Selbstbestimmung des Menschen (wozu auch die wirtschaftliche und wissenschaftliche Freiheit gehören). Der liberale Rechtsstaat richtet sich gegen den Untertanenstaat, gegen ideologische Kollektivismen von links und rechts, gegen religiöse Zwänge und pseudo-moralische Bevormundung. Dadurch erst wird der Freiraum geschaffen und gesichert, den wir brauchen, um unsere je individuelle Vorstellung vom guten und glücklichen Leben zu erforschen, zu formen und zu realisieren – alleine oder in freiwillig gebildeten Wertegemeinschaften mit anderen. Übrigens: Die oben genannten Kerninteressen bilden auch den inhaltlichen Kern des Gedankens der Menschenwürde. Ein Leben in Würde ist ein Leben, das frei von Instrumentalisierung, Gängelung, Bevormundung ist. (Nein – der „Anspruch“ auf Betreuungsgeld, Länderspiele im Free-TV oder Mindestlohn hat damit Nichts zu tun). Eine Frage als Zwischenbilanz: Können wir uns wirklich eine attraktive Zukunft ohne ein im Kern liberales Gerechtigkeitsverständnis vorstellen?

Der Liberalismus ist grundsätzlich unpopulär.

Der Grund dafür ist offensichtlich: Die liberalen Schutzrechte hindern viele Interessengruppen an der Verwirklichung ihrer ideologischen, gesellschaftlichen oder religiösen Utopien. Weder der braune noch der rote Sozialismus, noch die Vertreter eines wie auch immer gearteten Religionsstaates können den liberalen Rechtsstaat akzeptieren. Sie möchten ja gerade die gesellschaftlich-politische Oberhoheit gewinnen und allen anderen Bürgern ihren „Wertekanon“ und ihr „Lebensideal“ aufzwingen. Die aktuell größte Gefahr erwächst dem liberalen Rechtsstaat aber gar nicht aus den eben genannten Extremen. Diese wurden alle schon getestet (leider), sind katastrophal gescheitert, moralisch als schreckliche Abwege erkannt. Das haben zwar immer noch nicht alle Zeitgenossen kapiert, aber der wirklich aggressive Schwung ist aus diesen Weltbeglückungsbewegungen zum Glück raus. Die aktuelle Gefahr ist tückischer, da nicht so offensichtlich und offensiv ungerecht. Ich meine den neo-modernen Wohlstandskollektivismus, der eher weltanschaulich entschärft daherkommt und einen auf den ersten Blick verlockenden Handel anbietet: Handfeste materielle Bequemlichkeit gegen eine oft nur abstrakt wahrgenommene Einschränkung der Rechte auf Freiheit und Eigentum. Die Beispiele sind bekannt: Mindestlohn, Vermögenssteuer, Bürgerversicherung und hin und wieder mal eine Firmenrettung auf Staatskosten. Kurz: Der Liberalismus ist in weiten Kreisen unbeliebt, da er allen im Wege steht, die uns auf den rechten ideologischen, religiösen und moralischen Weg bringen wollen – und denen, die ihre Mitbürger für die eigene Bequemlichkeit und Lebensplanung finanziell in die Pflicht nehmen möchten. Also, viel Feind` viel Ehr`!

Der Liberalismus ist in der Defensive.

Zur Zeit ist der Liberalismus in Deutschland tatsächlich besonders starkem Beschuss ausgesetzt. Wie eben erläutert, ist das allerdings weder verwunderlich noch beunruhigend, sondern Normalbetrieb. Die Abwehr von Bevormundung, Gängelung und Instrumentalisierung ist ja gerade das liberale Kerngeschäft und wird es bleiben, solange es Menschen gibt, die ihre Mitbürger für ihre Zwecke benutzen und missbrauchen wollen. Also, so lange es Menschen gibt. Viel besorgniserregender ist, dass dieser Beschuss tiefe Wirkung zeigt. Eine so zentrale wie gefährliche Dynamik, die wichtige Elemente der Machtkontrolle immer weiter aushebelt und darüber den Staat zur Beute von Interessengruppen macht, zeigt sich in unserer politischen Kultur:

– Union, SPD, Grüne und FDP haben offenbar schon länger das Interesse an substantieller Politik verloren, sich von inhaltlichen Überzeugungen weitgehend verabschiedet und betreiben stattdessen konsequentes Parteienmarketing. Dessen Motto, auch im letzten Wahlkampf: Wem versprechen wir welche Vorteile, damit uns möglichst viele wählen? (Dafür zahlen sollen dann die, die uns eh nicht wählen, die uns sowieso wählen – oder die so wenig Stimmen haben, dass wir darauf gut verzichten können).

– Die Bürger spielen in der Wahlkabine ohne größere Skrupel mit: Gewählt wird, statistisch gesehen, wer mir am glaubwürdigsten eine finanzielle Besserstellung nach der Wahl verspricht. Dass dies zu Lasten der Mitbürger und nachfolgenden Generationen geht, interessiert nicht so wirklich: Schuldenberge sind abstrakt, woanders noch viel höher, die Besserverdienenden haben eh zu viel Kohle und außerdem bin ich für die Klimarettung, Einsparungen beim Verteidigungsetat und den Weltfrieden; passt schon. In Ländern, in denen dieser finanzielle Transfer vor der Wahl stattfindet, spricht man von Stimmenkauf. Wir wickeln das nach der Wahl ab, nennen es soziale Gerechtigkeit – und sind stolz darauf.

– Die Bürger spielen aber auch außerhalb der Wahlkabine, hinter den Kulissen mit: Lobbyarbeit (von allen Seiten: Man muss sich ja wehren!) fordert das staatliche Gewaltmonopol systematisch, professionell und konsequent auf, bestimmte Gruppen und deren Anliegen zu bevorzugen. Das klappt ziemlich gut, allerdings wieder nur auf Kosten anderer Bürger.

Das Resultat: die Macht des Staates bzw. der Interessengruppen, die diese stärken und für ihre Zwecke einsetzen möchten, wird durch dieses fatale Spiel stetig ausgebaut, der Schutz von Freiheit und Eigentum Schritt für Schritt ausgehöhlt und abgebaut. Und dieses Spiel ist unser Spiel, das der Bürger – nicht das irgendwelcher Ideologen oder finsteren Mächte im Hintergrund. Die Spieler sind wir.

Die Schlüsselfrage: Wollen wir Bürger sein?

Tatsache ist: Macht, Einfluss und Einnahmen des Staates und seiner Institutionen nehmen immer mehr zu. Der egalitaristische Wir-sind-alle-füreinander-verantwortlich-Kollektivismus mit seinen Ansprüchen an den Einzelnen wird immer stärker. Das Bewusstsein, dass staatliches Handeln durch selbstbewusste Bürger und eine liberale und offene Gesellschaft kontrolliert und begrenzt werden muss, nimmt ab. Der Liberalismus wird das ohne jeden Zweifel unbeschadet überstehen. Als philosophische Gerechtigkeitskonzeption ist er nicht unterzukriegen und ohne ernsthafte Alternative.

Die Frage ist allerdings, wie unsere Republik diese Entwicklungen überstehen wird. Ich habe dabei keine akute Angst vor einer zeitnahen Revolution von links oder rechts, auch nicht vor dem Unfug eines christlichen oder islamischen Gottesstaates. Aber ein extrem verschuldeter, immer stärker zerbröselnder Rechtsstaat, eine entwicklungsunfähige Wir-Gesellschaft, die Freiheit mit Bequemlichkeit verwechselt und „Bürger“ ohne liberalen Bürgersinn sind auch nicht das, worüber ich mich freue. Bürgersinn? Ach ja: Zivilcourage (angesichts meinungsdominanter Mehrheiten und der eigenen Bequemlichkeit), Toleranz (dazu gehört auch der Respekt vor dem Erfolg und der Leistung anderer), Solidarität (erst alle eigenen Kräfte abrufen, bevor man Mitbürger um Unterstützung bittet), Mut zur Eigenverantwortung (gerade angesichts risikobehafteter Entscheidungen bezüglich des eigenen Lebensweges) – dieses ganze unbequeme Zeugs halt. Wer glaubt eigentlich im Ernst, dass wir darauf verzichten sollten?

PD Dr. Andreas Edmüller
November 2013

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