Hetzjagden und Fake News

Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.1)Spiegel online vom 27.8.2018: Bundesregierung verurteilt Hetzjagden.

Mit diesen Worten hat Regierungssprecher Seibert Vorfälle in Chemnitz kommentiert, die sich nach dem tödlichen Messerangriff von Flüchtlingen auf Daniel H. bei den bzw. im Umfeld der ersten Demonstrationen ereignet haben. Und damit hat er etwas losgetreten, was man eigentlich nur noch mit Einschränkungen als eine sinnvolle Diskussion bezeichnen kann. Das Ganze kann aber einschneidende Folgen für Land und Regierung haben.

Die semantische Frage

dreht sich um die Verwendung des Begriffes Hetzjagd. Im Duden ist dazu nur die eigentliche Begriffsklärung aus der Jagd zu finden.2)Duden – Deutsches Universalwörterbuch. 2003 (5. Auflage Aber es ist eh klar, dass so etwas, also Jagd auf Wild mit Hunden, nicht stattgefunden hat. Also wird Herr Seibert den Begriff wohl metaphorisch gebraucht haben – und dazu gibt es ganz einfach keine klare bzw. einheitliche Standard-Bedeutung. 

Hetzjagd steht für mein Sprachempfinden für Situationen, in denen viele oder mehrere Menschen auf einen oder wenige losgehen, vor sich hertreiben, um ihn oder sie zu erwischen und ihm oder ihnen körperlich etwas anzutun. Auf Basis der Nachrichten- bzw. Faktenlage kann man meines Erachtens diesen Begriff durchaus verwenden.3)Hierzu wieder einmal ein Kompliment an die so oft gescholtene ARD. Eine sehr klare und sachliche Zusammenfassung findet sich auf faktenfinder.tagesschau.de vom 7.9.2018, Stand 15:17 Uhr. Anderen mag dieser Ausdruck eine Übertreibung beinhalten – ich gebe aber zu bedenken, dass man das Ganze ja auch aus der Perspektive derer ausdrücken oder interpretieren kann, hinter denen da bestimmte Gestalten her waren. Dass die sich tatsächlich gehetzt fühlen, kann ich nachvollziehen. Frage: Warum taucht in der ganzen Debatte diese Perspektive nicht oder nur ganz am Rande auf?

Übrigens: Metaphorische Ausdrucksweise ist in Politik und Alltag durchaus üblich. Wer im Rahmen der Hamburger Krawalle z.B. von apokalyptischen Zuständen spricht, wird verstanden – auch wenn es nicht wirklich die Apokalypse war. Auch sonst wird in der Politik ja gerne mal sehr metaphorisch gesprochen: Lügenpresse, Volksverräterin, Mutter aller Probleme …. 

Also: Die immense Aufregung über Seiberts Wortwahl wirkt auf mich sehr gekünstelt und an den Haaren herbeigezogen. Zumal ja klar ist, um welche Vorfälle es geht. Mein Verdacht: Diese Aufregung ist vorgetäuscht und eine Nebelkerze, die den klaren Blick auf andere Fragen behindern soll. Das führt zur

Frage nach den Fakten

Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat am 7.9. (auch noch ausgerechnet in BILD) behauptet, er hätte Gründe für die Annahme, es habe in Chemnitz gar keine Hetzjagden gegeben und das fragliche Video sei eine Fälschung mit dem Ziel, von dem Mord an Daniel H. abzulenken. Die Staatsanwaltschaft ermittelt übrigens wegen Totschlags – aber das sei nur am Rand erwähnt, obwohl es sich dabei um mehr als eine semantische Unschärfe handelt. Angeblich kam die Anregung zu dieser Stellungnahme von Bundesinnenminister Horst Seehofer.4)Focus online vom 7.9. 2018: Maaßen nannte Erkenntnisse über Chemnitz-Video auf Seehofers Geheiß.

Die Herausforderung für Maaßen: Neben dem fraglichen Video gibt es diverse andere Aufnahmen, Augenzeugenberichte und Anzeigen bei der Polizei, die alle darauf hinweisen, dass es Gewalttaten am Rande der Demonstrationen gab – gegen Journalisten, Flüchtlinge, Kameraleute. Genaueres werden wir wissen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen hat. Stand heute: Auch die Staatsanwaltschaft hält das Video offenbar für echt. Aber klar ist eines: Das fragliche Video, auf das Herr Maaßen sich zu beziehen scheint, ist lediglich eines von vielen Indizien dafür, dass es Gewalt von Rechtsradikalen im Umfeld der Demo gab.5)faktenfinder.tagesschau.de vom 7.9.2018, Stand 15:17 Uhr.

Mein Zwischenfazit: 

  • Wenn Maaßen mit seiner Behauptung richtig liegt, dann haben wir es mit einer gigantischen Inszenierung zu tun und es gebührt ihm großer Dank, das aufgedeckt zu haben.
  • Angesicht so vieler unabhängiger Quellen, die alle diverse Gewalttaten zu belegen scheinen, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Maaßen mit seiner Behauptung falsch liegt.
  • Ganz wichtig: Maaßen hat nicht in erster Linie behauptet, dass der Begriff Hetzjagd eine Übertreibung sei. Er behauptet, Seibert und Merkel hätten – warum auch immer – krasse Fake News verbreitet; die fraglichen Vorfälle bzw. das Video seien inszeniert. Das ist der harte und enorm gewichtige Kern der ganzen Debatte!

Wie geht es weiter?

Auch das ist klar: Sollte Maaßen seine Behauptung nicht klar und wasserdicht begründen können, dann muss er zurücktreten. Warum?

  • Maaßen ist als Leiter des Verfassungsschutzes zu strikter politischer Neutralität verpflichtet. Die hat er verletzt und somit keinerlei Vertrauen mehr als Verfassungsschützer verdient: Sein Gang an die Öffentlichkeit an Merkel vorbei ist eine klare politische Parteinahme und Verletzung seiner Pflicht zur Neutralität. Wahrscheinlich können AfD und Rechtsradikale ihr Glück immer noch nicht fassen.
  • Seine Aussage ist nachweislich Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen: In diesem Milieu wurden die Chemnitzer Vorfälle von Anfang an als Inszenierung bezeichnet. Und Maaßens Aussage ist jetzt schon bleibender Bestandteil rechtsradikaler Verschwörungstheorien; das ist nicht mehr einzudämmen. Ihm muss absolut klar gewesen sein, was er da anrichtet und welche Steilvorlage er den Rechtsradikalen damit liefert. Warum unterstützt er Leute, die unsere Verfassung weghaben möchten – als oberster Verfassungsschützer? 
  • Unabhängig davon hat er zu einem für den inneren Frieden wichtigen Thema Blödsinn erzählt, also einen kapitalen fachlichen Bock geschossen. Auf seiner Position als obersten Verfassungsschützer brauchen wir aber jemand mit fachlicher Kompetenz, dem solche Schnitzer nicht passieren. Was glauben Sie, wie in Zukunft z.B. seine Aussagen zu Terrorismus oder innerer Sicherheit aufgenommen werden?
  • Maaßen ist mit seiner Behauptung den Personen, die die Ermittlungen zu den Chemnitzer Vorfällen führen, in den Rücken gefallen. Ich gehe davon aus, dass er sein Vertrauen bei Polizei und Staatsanwaltschaft damit verspielt hat.
  • Und: Was denken wohl die zahlreichen Mitarbeiter in Bundesamt und Landesämtern für Verfassungsschutz? Ich jedenfalls möchte so einen Vorgesetzten nicht haben.

Klar ist aber auch: Seehofer muss mit Maaßen gehen.

  • Seehofer hat Maaßens Gang an die Öffentlichkeit angestoßen bzw. mindestens wohlwollend akzeptiert und somit in kritischer Lage kapitale Unwahrheiten verbreitet bzw. verbreiten lassen – mit genau den absehbaren Folgen, die ich oben skizziert habe. Ein Innenminister darf so etwas ganz einfach nicht machen – das ist zutiefst unanständig gegenüber der Bundeskanzlerin.
  • Ein Innenminister der gezielt rechtsradikale Verschwörungstheorien bedient, hat keinen Cent Gehalt verdient. Er muss gehen.
  • Ein Innenminister darf solche inhaltlichen Fehler nicht machen – gerade in aufgeheizter Stimmung sind fachliche Akribie, Zuverlässigkeit und Augenmaß nötig. Wer wird ihm denn in Zukunft noch was glauben?
  • Wie Maaßen ist Seehofer den zuständigen Ermittlern in den Rücken gefallen – die stehen jetzt da wie die Deppen und werden sich schwer damit tun, von Verschwörungstheorien abweichende Ergebnisse glaubwürdig zu vertreten. 
  • Und: Möchten Sie jemand als Chef haben, der einen derart freizügigen und sorglosen Umgang mit dem Thema Wahrheit an den Tag legt? Bei seinen Mitarbeitern dürfte Seehofer unten durch sein – als Unternehmensberater kann ich das auch aus der Distanz ganz gut beurteilen.

Aber vielleicht täusche ich mich ja bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten und die beiden haben Recht. Dann bin ich gerne bereit, mich von ganzem Herzen bei ihnen zu bedanken und ihnen meine uneingeschränkte Anerkennung auszusprechen. 

PD Dr. Andreas Edmüller, 8. September 2018

References   [ + ]

1. Spiegel online vom 27.8.2018: Bundesregierung verurteilt Hetzjagden.
2. Duden – Deutsches Universalwörterbuch. 2003 (5. Auflage
3. Hierzu wieder einmal ein Kompliment an die so oft gescholtene ARD. Eine sehr klare und sachliche Zusammenfassung findet sich auf faktenfinder.tagesschau.de vom 7.9.2018, Stand 15:17 Uhr.
4. Focus online vom 7.9. 2018: Maaßen nannte Erkenntnisse über Chemnitz-Video auf Seehofers Geheiß.
5. faktenfinder.tagesschau.de vom 7.9.2018, Stand 15:17 Uhr.

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