Wie entsteht eine wissenschaftliche Theorie?

Am 10. Februar 2023 habe ich im Hochrhein-Seminar der Gymnasien des Landkreises Waldshut einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Von verschiedenen Seiten kam die Anregung, diesen in unserem Blog zu veröffentlichen.

Worum geht es?

Ich werde in dieser schriftlichen Zusammenfassung wie im Vortrag erklären, was eigentlich eine wissenschaftliche Theorie ist und dann am Beispiel von Long-Covid den mühevollen und windungsreichen Weg hin zur Formulierung einer Theorie aufzeigen.

Dieser Aspekt der Wissenschaft ist in der Öffentlichkeit ziemlich unbekannt und wird oft unterschätzt. Im Schulunterricht lernen wir im Regelfall nur sehr reife und weit entwickelte Theorien und eindeutige Anwendungsfälle kennen, z.B. Musterbeispiele der Evolutionstheorie oder Berechnungen nach Newton. Diese Theorien fallen aber nicht vom Himmel; ihre Entwicklungsphasen werden außerhalb von Fachdisziplinen wie Wissenschaftstheorie und -geschichte so gut wie nie beleuchtet. Wer Wissenschaft und ihre Aussagen verstehen will, sollte diese Thematik und ihre Fragestellungen kennen.

Mein Ziel ist es, den Blick dafür zu schärfen,

  • wie Wissenschaft tatsächlich funktioniert,
  • was Wissenschaft realistisch betrachtet leisten kann,
  • dass Wissenschaft Irrtum, Fehlschläge und eine offene Diskussion als Lebenselixier braucht,
  • dass Wissenschaft wie jedes Menschenwerk nicht sicher ist vor Pfusch und Missbrauch,
  • wie wir die Wissenschaft vor Missbrauch schützen können.

Warum ist das wichtig?

Themen wie Corona, Klima, Energie, oder Impfen zeigen sehr klar und alltagsnah: Wir brauchen unbedingt belastbare und gesellschaftlich akzeptierte wissenschaftliche Ergebnisse, um gute wirtschaftliche, moralische und politische Entscheidungen treffen zu können. Wissenschaft ist in gewisser Weise das Fundament unserer Zivilisation!

Das Problem kennt jeder Zeitungsleser und Internetuser: Diese wissenschaftlichen Ergebnisse werden uns nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern oft in einem Spannungsfeld aus Ideologie, Politik und finanziellen Interessen erarbeitet, veröffentlicht und kommuniziert.

  • Beispiel: Der Nutzen der altbewährten Masernimpfung wurde gesellschaftlich schon lange vor Corona auf einmal spürbar und „mit Wucht“ in Frage gestellt: Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft und die Impfquote nehmen Hand in Hand deutlich ab.

In diesem Spannungsfeld entsteht die erste große Gefahr, dass Wissenschaft – das Beste, was wir haben – durch externe Angriffe in Verruf kommt und langfristig ihre Glaubwürdigkeit verliert. Das kann sogar mit einer so gut bewährten und etablierten Sache wie der Masernimpfung passieren.

Es besteht aber auch die zweite große Gefahr, dass Wissenschaft sich willig politisieren und missbrauchen lässt und auch deshalb langfristig ihre Glaubwürdigkeit verliert. Beispiele dafür haben wir im Rahmen der Coronapandemie zu viele erleben müssen:

  • Eigentlich seriöse Wissenschaftler gehen auf Shitstorm-Niveau auf Kollegen los. So gut wie jedes Thema – Schulschließungen, Ursprung des Virus, Maskenempfehlungen, Lockdowns – wurde stark emotionalisiert und entsprechend überaufgeregt in der Öffentlichkeit diskutiert.1)Überblick: Professor Dr. Ursel Heudorf: Covid-19-Pandemie – wirkliche Aufarbeitung tut not. Hessisches Ärzteblatt 5/2023, Online-Ausgabe. https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/Einzelartikel/2023/05_2023/Ansichten_Einsichten_Heudorf_lang.pdf. Speziell zur Labortheorie Wuhan: https://materie.at/gk/wissenschaftsfeindlichkeit-die-andere-seite-der-medaille/.
  • Im Rahmen der Coronathematik wurden immer wieder fehlerhafte Studien in sehr angesehenen Journalen veröffentlicht und dann aufgrund grober Fehler wieder zurückgezogen. Wurde da nur geschlampt – das wäre in so einer Situation schlimm genug – oder auch versucht, zu manipulieren?2)Ein bekanntes Beispiel: https://www.medscape.com/viewarticle/984858?src=wnl_recnlnew2_ous_221205_MSCPEDIT_&uac=293393PG&impID=4948833.

Mein Ziel im Vortrag war, dass die Schüler dieses extrem spannende Themenfeld mit all seinen Fallen und Stolpersteinen etwas klarer einschätzen können als zuvor.

Was ist eine Theorie?

Eine Theorie ist eine Aussagenmenge, die 5 Minimalforderungen oder notwendige Bedingungen erfüllt. Hier eine kurze Erläuterung am konkreten Beispiel der Evolutionstheorie:

  • Fragestellung: Wie entstehen die biologischen Arten auf unserem Planeten?
  • Theoriekern: Zusammenspiel aus Mutation, Rekombination, Vererbung, Selektion.
  • Muster-Erklärungen: Überzeugende und typische Anwendungsfälle, z.B. Finkenschnäbel, Stammbaum der Primaten …
  • Hilfs- und Beobachtungstheorien: Fossilienkunde, Geologie, Radio-Karbon-Methode zur Altersbestimmung, Genetik …. liefern Daten!
  • Forschungsperspektiven: Interessante Fragestellungen bzw. Anwendungsfelder. Wie entsteht Bewusstsein?

Das Problem liegt auf der Hand: So eine ausgefeilte und ausformulierte Form weisen Theorien erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Reife auf. Wie aber kommen sie bzw. wir so weit? Diesen Entwicklungsprozess mit allen Fallen, Ungereimtheiten, Sackgassen und Stolpersteinen veranschauliche ich am Beispiel von Long-Covid.

Long-Covid: Was heißt das?

Zum Einstieg eine Begriffsbestimmung zu Long-Covid:

„Long COVID ist der Oberbegriff für gesundheitliche Langzeitfolgen, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorhanden sein können. Der Begriff „Long COVID“ umfasst Symptome, die mehr als vier Wochen nach Ansteckung mit dem Coronavirus fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Beschwerden, die noch nach drei Monaten bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren, werden als Post-COVID-Syndrom bezeichnet.

Die gesundheitlichen Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 umfassen Beeinträchtigungen der körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit, welche die Funktionsfähigkeit im Alltag und die Lebensqualität einschränken. Die berichteten Symptome sind sehr verschieden. Sie können einzeln oder in Kombination auftreten und unterschiedlich lange andauern. Ein einheitliches Krankheitsbild Long COVID gibt es bislang nicht.

Zu den häufigsten Beschwerden zählen Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit (Fatigue), Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen sowie Muskelschwäche und -schmerzen. Auch psychische Probleme wie depressive Symptome und Ängstlichkeit sowie Störungen von Geschmack und Geruch werden häufig berichtet.“3)https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/basisinformationen/long-covid-langzeitfolgen-von-covid-19/#c15859. Man vergleiche mit WHO oder RKI.

Möchte man sich einen Überblick zum Stand der Forschung verschaffen, wird man bereits zum Einstieg mit einem nichttrivialen Problem konfrontiert: Unterschiedliche Quellen definieren den Begriff nicht immer gleich; das gilt auch für die zahlreichen Studien zum Thema. Das hat zur Folge, dass man sich die Vergleichbarkeit von Studien und Aussagen hart und mühsam erarbeiten muss, sie ist nicht per se gegeben. In der Berichterstattung der Medien wird diese Problematik sehr oft nicht erwähnt – es wird davon ausgegangen, dass alle Beteiligten denselben Begriff verwenden und munter über „Studienergebnisse zu Long-Covid“ berichtet.

Wie sieht die aktuelle „Theorie“ zu Long-Covid aus?

Hier haben wir bestenfalls ein allererstes grobes Gerüst für eine Theorie, eine Theorie in statu nascendi. Sehr viele Aspekte sind noch unbekannt, Fragen ohne belastbare Antwort:

  • Fragestellung: Woher kommen bestimmte Symptome? Status: Bisher werden an die 200 Symptome genannt, wir haben ein extrem diffuses Bild.4)https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Gesundheitliche_Langzeitfolgen.html.
  • Theoriekern: Dieser sollte eine Skizze der kausalen Zusammenhänge und Mechanismen von Covid bzw. dem Coronavirus und Long-Covid enthalten. Status: Noch unbekannt.
  • Muster-Erklärungen: Das wären z.B. klare Krankheitsbilder mit Erklärung des Kausalzusammenhanges mit dem Coronavirus. Status: Das ist nicht oder nur im vagen Umriss vorhanden.
  • Hilfs- und Beobachtungstheorien: Studien liefern z.B. die Daten zu Patienten und deren Symptomen. Status: Davon haben wir sehr viele; Kernprobleme sind aber deren Vergleichbarkeit und die enormen Qualitätsunterschiede.
  • Forschungsperspektiven: Fragen zu Coronaviren und deren Funktion, zum Immunsystem etc. Status: Sehr unklares Bild, da der eigentliche Kausalzusammenhang noch unbekannt ist.

Was ist eine Studie?

In den öffentlichen Debatten werden immer wieder Studien zitiert und diskutiert. Sie sollen das Datenmaterial liefern, in das die im Entstehen befindlichen Theorien zu Long-Covid Struktur bringen und so Erkenntnis schaffen soll. Worum geht es im Prinzip in diesen Studien? Hier ein schematischer Aufbau:

  • Wir haben x Personen im Zeitraum t nach ihrer Infektion mit Corona untersucht.
    Dabei haben wir folgendes herausgefunden: n% davon hatten das Symptom S.
    Symptom S steht mit Wahrscheinlichkeit p im kausalen Zusammenhang mit der Infektion durch das Coronavirus weil …

Kurz: Studien sind Daten bzw. Input und Anregung zur Theoriebildung!

Kohortenstudie: Der Goldstandard

Das Kernproblem für die Theorieentwicklung bei Long-Covid ist leider dasselbe wie bei Covid: Es fehlen solide und belastbare Kohortenstudien! Dabei wäre es einfach, eine solche zu erstellen bzw. durchzuführen:

  • Zu Beginn der Pandemie bilden wir z.B. 6 repräsentative Kohorten im Bundesgebiet mit je 5000 – 10000 Personen: Süd, Nord, Ost, West, Großstadt, Land. Es wird zum Auftakt eine professionelle Anamnese durch Experten durchgeführt. Dann folgen regelmäßige Untersuchungen dieser Kohorten nach einheitlichen Standards. In Folge hätten wir sehr gute und repräsentative Daten zum Infektionsgeschehen, Pandemie-Verlauf, Krankheitsverlauf, Vergleiche zwischen Personengruppen (z.B. Alt und Jung), zu Symptomen, Nebenwirkungen beim Impfen, Nachwirkungen, Maßnahmen zur Wirksamkeit der Pandemiebekämpfung, Long-Covid …. Da in diesen Kohorten auch Menschen mit anderen Infektionen (Influenza, bakterielle Pneumonie usw.) enthalten sind, können diese mit den Pandemiepatienten verglichen werden. Das ist auch wichtig, um nicht seltene Doppelinfektionen mit 2 unterschiedlichen Viren zu erkennen.

Die mehr als traurige Tatsache: Bei Corona hatten wir in Deutschland von Anfang an einen stümperhaften und wissenschaftlich praktisch unbrauchbaren Datensalat.5)Eine von zahlreichen kritischen Stimmen: https://www.focus.de/gesundheit/news/5-schwerwiegende-fehler-statistiker-muennich-rechnet-ab-riesen-datenkatastrophe-in-deutschland-ist-hausgemacht_id_107963382.html. Hier wird die politische und institutionelle Dimension von Wissenschaft sofort klar: Jeder wissenschaftlich Ausgebildete weiß, dass wir eigentlich eine Kohortenstudie brauchen und wie wichtig im Rahmen einer Pandemie zuverlässige Daten sind. Aber: Niemand hat sich auf Ebene der Entscheider konsequent dieser Kernaufgabe angenommen.

Qualitätsprobleme bei Studien: Faktor Mensch

Neben dieser Kernproblematik ist festzustellen, dass es zwar eine enorme Zahl an Studien gibt, viele davon aber signifikante Schwachstellen aufweisen. Das sorgt für eine enorme Unklarheit und Unübersichtlichkeit – was aber zu Beginn einer Theorieentwicklung normal ist. Zwar nicht in einem Ausmaß wie bei Corona – aber in aller Regel dauert es tatsächlich sehr lange, bis aus einer Fülle an Studien die ersten Theorieformulierungen gewonnen werden können.

Die mangelnde Studienqualität im Rahmen von Long-Covid erklärt sich oft durch externe Einflüsse auf das Projekt Wissenschaft: Die Politik macht Zeitdruck und schüttet gleichzeitig Förder- und Forschungsgelder aus, die Öffentlichkeit will Ergebnisse und feiert diejenigen als „Helden der Wissenschaft“, die diese (zu) schnell anbieten, die Pharmaindustrie will so schnell wie möglich Medikamente entwickeln und vermarkten, die Medien wollen möglichst schnell möglichst viele spektakuläre Stories … Menschen sind verführbar und auch Wissenschaftler sind Menschen.

Daneben sind folgende interne Einflüsse für jeden Kenner des Wissenschaftsbetriebes offensichtlich – der Autor zählt sich dazu – und sollten berücksichtigt werden, um zu einem Gesamtbild zu kommen:6)Ein guter Überblick zu Verzerrungsfaktoren: Bergstrom & West: Calling Bullshit. The Art of Scepticism in a Data-Driven World. London, 2021.

  • Die Angst vor nonkonformistischen bzw. politisch unerwünschten Ergebnissen führt bei vielen Forschern zu Zurückhaltung bei der Themenwahl bzw. einem Verzicht auf Veröffentlichung „unbequemer“ Ergebnisse. Dieser Abschreckungseffekt betrifft auch junge Wissenschaftler, die natürlich Karriere machen wollen.
  • Fördergelder und Karrieremöglichkeiten gibt es viel einfacher für „konforme“ Fragestellungen bzw. Ergebnisse. In Folge wird viel an „genehmen“ Themen geforscht. Das kann zu Lasten der eigentlich wichtigen aber oft heiklen Themen gehen.
  • Viele und leicht erhältliche Fördergelder stehen leider in keinem direkten Verhältnis zur Qualität der damit finanzierten Studien. Für die Karriere an der Uni ist heute eine lange Liste mit Veröffentlichungen extrem wichtig!
  • Wissenschaftliche Fachdebatten werden heute sehr stark unter Mobilisierung von Boulevardpresse, Internet, Talkshows und Cancel Culture ausgetragen. Das schreckt sehr viele seriöse Forscher ab, in politisch geladene Debatten einzugreifen. Obwohl sie vielleicht sehr kompetent sind und gute Ansätze haben, widmen sie sich anderen Themen.
  • Auch in dieser Hinsicht gilt: Menschen sind verführbar und auch Wissenschaftler sind Menschen.

Qualitätsprobleme bei Studien: Inhaltliche Schwachstellen

Schwierige Vergleichbarkeit der Studien: Studien verwenden

  • unterschiedliche Begriffe von Long-Covid, Post-Covid (z.B. messbare Organveränderungen) bzw. Beobachtungszeiträume,
  • unterschiedliche Methoden der Datengewinnung,
  • unterschiedliche Probanden z.B. bzgl. der Altersgruppen (jung, alt, schwer erkrankt, leicht erkrankt, mit oder ohne Vorerkrankung …)
  • unterschiedlich große Gruppen von Probanden,
  • unterschiedliche Sorgfalt und Kompetenz der Wissenschaftler.

Oft fehlt eine Kontrollgruppe aus nicht Covid-Erkrankten. Das wäre aber wichtig, um Symptome und deren Verbreitungsgrad bei nicht Erkrankten vergleichen zu können. In einer guten Kohortenstudie wären diese Patienten enthalten.

Korrelation ist keine Kausalität! Selbst wenn viele an Covid erkrankte Personen bestimmte Long-Covid Symptome aufweisen, so ist der unreflektierte Schluss unzulässig, das Coronavirus sei dafür die Ursache. Es gab zu Pandemiezeiten ja eine Fülle an Belastungsfaktoren durch Lockdowns, Heim- bzw. Videounterricht, finanzielle oder berufliche Sorgen etc. Das kann alles zu „Long-Covid“-Symptomen führen – auch ohne Infektion!

Die meistgenannten und schwerwiegendsten Symptome bei Long-Covid sind bekannt als Folge einer starken Belastung des Immunsystems z.B. nach einer harten Influenza (Erschöpfung, Konzentrationsschwäche etc.) und haben im Grunde mit dem Coronavirus speziell nichts zu tun. Diese Symptome ähneln dem chronischen Fatigue Syndrom bzw. der myalgischen Enzephalopathie (ME/CFS). Allein das Stichwort „chronic fatigue syndrom“ führt in der medizinischen Literatursuche in PubMed zu Hinweisen auf 10.000 Literaturstellen, beginnend 1957. Das Stichwort „postinfectiöses fatigue“ ergibt ca. 2.000 Literaturstellen. Viele Studien lassen das unberücksichtigt.

In vielen Studien sind Vorgeschichte und Vorerkrankungen der Patienten oft unbekannt bzw. aus der Studie nicht ersichtlich.

Eine Eigenauskunft der Studienteilnehmer zu Symptomen ist sehr fehleranfällig, auch ohne bösen Willen. Das Ausfüllen eines Fragebogens reicht inhaltlich oft nicht aus; das Prinzip Freiwilligkeit bei der Teilnahme führt prima facie nicht zu repräsentativen Ergebnissen.

Bei den stationär behandelten Patienten wird oft nicht zwischen beatmeten und nicht-beatmeten Patienten unterschieden. Die Gruppe der Überlebenden nach invasiver Beatmung leidet praktisch immer an schweren Komplikationen durch die Langzeitbeatmung, die unabhängig von der Grunderkrankung sind. Hierzu gibt es seit mehr als 20 Jahren eine überzeugende Studienlage – und die hauptverantwortlichen Krankheitsbilder wie intensivbedingte Nerven- und Muskelerkrankung sind ausreichend dokumentiert.

Die Folge dieser Fülle an potentiellen und realen Störfaktoren liegt auf der Hand und erklärt die Diskrepanz zwischen Quantität und Qualität der vorliegenden Studien: Studien haben leider oft starke qualitative Schwächen, kommen zu krass unterschiedlichen Ergebnissen und sind nicht immer so transparent, dass sie mit anderen schnell verglichen und abgeglichen werden können.7)https://www.sokrates-rationalisten-forum.de/long-covid-und-postinfektiöses-syndrom.

Status Quo zu Long-Covid

Diese Studienlage erklärt zu einem guten Teil den fragmentarischen Zustand unseres Wissens über Long-Covid: Mittlerweile werden mehr als 200 Symptome diskutiert (auch Haarausfall und Potenzstörungen) – trotzdem ist unklar, womit wir es genau zu tun haben. Ähnlich vielfältig und bunt ist die Debatte zu Therapieansätzen – von sinnfreien und sogar gefährlichen Vorschlägen wie Blutwäsche oder Tanzen bis hin zu unspektakulären und erprobten wie Aussitzen bzw. Ausschlafen ist alles vertreten. Wir wissen nicht einmal, wie verbreitet Long-Covid ist; die Aussagen dazu variieren enorm.

Summa summarum: Wir wissen sehr wenig, sind weit von einer belastbaren Theorie entfernt und haben ein ausgesprochen ungutes Diskussionsklima.

Die Diskussion nach meinem Vortrag mit den Schülern habe ich als sehr aufschlussreich und konstruktiv in Erinnerung – Danke dafür!

Ein herzliches Dankeschön geht zum Schluss an Professor Dieter Köhler für die kritische Durchsicht dieser Zusammenfassung und seine Hilfe bei der Vorbereitung des Vortrages.

PD Dr. Andreas Edmüller, 10. Februar 2023 (Vortrag) und 7. September 2023 (Zusammenfassung).

Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache

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References   [ + ]

1. Überblick: Professor Dr. Ursel Heudorf: Covid-19-Pandemie – wirkliche Aufarbeitung tut not. Hessisches Ärzteblatt 5/2023, Online-Ausgabe. https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/Einzelartikel/2023/05_2023/Ansichten_Einsichten_Heudorf_lang.pdf. Speziell zur Labortheorie Wuhan: https://materie.at/gk/wissenschaftsfeindlichkeit-die-andere-seite-der-medaille/.
2. Ein bekanntes Beispiel: https://www.medscape.com/viewarticle/984858?src=wnl_recnlnew2_ous_221205_MSCPEDIT_&uac=293393PG&impID=4948833.
3. https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/basisinformationen/long-covid-langzeitfolgen-von-covid-19/#c15859. Man vergleiche mit WHO oder RKI.
4. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Gesundheitliche_Langzeitfolgen.html.
5. Eine von zahlreichen kritischen Stimmen: https://www.focus.de/gesundheit/news/5-schwerwiegende-fehler-statistiker-muennich-rechnet-ab-riesen-datenkatastrophe-in-deutschland-ist-hausgemacht_id_107963382.html.
6. Ein guter Überblick zu Verzerrungsfaktoren: Bergstrom & West: Calling Bullshit. The Art of Scepticism in a Data-Driven World. London, 2021.
7. https://www.sokrates-rationalisten-forum.de/long-covid-und-postinfektiöses-syndrom.

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